Interreligiöses Gebet am 15. Mai 2020
Zusammenhalten in besonderen Zeiten
Die Kontaktsperre hat alle kalt erwischt, auch uns vom Café Abraham. Zusammen mit der Friedenskirche hatten wir eine gemeinsame Lesung in Niederschönhausen geplant, gleich zum Beginn des Ra-madan. Wir wollten wie im letzten Jahr zusammen mit Gästen aus dem Interkulturellen Zentrum für Dialog und Bildung e.V. aus Koran und Bibel lesen, gemeinsam in der Kirche beten und mit dem Sonnenuntergang zusammen das Fastenbrechen. Der Ramadan als Gelegenheit, sich zu begegnen, sich kennenzulernen. Gekommen ist es anders. Coronakrise. Globaler Lockdown. Allgemeine Schockstarre. Alles schien wichtiger als der interreligiöse Dialog. Nichts schien mehr möglich. Dann kam nach Ostern die Meldung, die Gebetshäuser dürften wieder öffnen, mit Hygieneauflagen.
Das erste Signal kam aus der Moschee. Imam Dr. Khaled Al-Seddiq lag es sehr am Herzen, besonders in diesen verwirrenden Zeiten eine Botschaft des Zusammenhalts zu senden und sprach die Einladung zu einem gemeinsamen Gebet bei sich in seiner Moschee aus. Pfarrer Eike Thies, der mit Dr. Khaled Seddiq im Herbst vorigen Jahres das ge meinsame Fotoprojekt »Gebetsbilder« organisiert hatte, war sofort begeistert. Aus der Gemeinde der Synagoge am Fraenkelufer in Kreuzberg konnte der angehende Rabbiner Josh Weiner gewonnen werden. Josh Weiner ist in Jerusalem und London aufgewachsen. Jetzt ist er im fünften und letzten Jahr seiner rabbinischen Ausbildung am Zacharias-Frankel-College.
Aus dem Dialog wurde ein Trialog. Es gibt keine liturgischen Vorgaben für solch ein Unternehmen. Wie sollen wir eine solche Begegnung gestalten? Mit traditionellen Gebeten? Wer zieht was an? Wie gehen wir mit den Hygienevorschriften um? Es ist unbekanntes Terrain für uns alle. Es wurde eine bewegende gemeinsame Stunde. In der Runde saßen die Pankower Teilnehmer*innen des Gesprächskreises »Café Abraham« und vor allem die Frauen aus der muslimischen Frauengruppe der Moschee. Sind es immer die Frauen, die die Gemeinde zusammenhalten? Die drei Theologen berichteten aus ihrem Gemeindeleben, wie ungewohnt es ist, in leeren Gebetshäusern zu stehen, zum Pessachfest, zu Ostern, zum Ramadan. Normalerweise kommen im Wedding zum täglichen Gebet bis zu 1200 Betende zusammen, anstatt der jetzigen 50 Menschen. Auf dem türkisfarbenen Teppichboden sieht man die Klebestellen für die Betenden. Josh Weiner verwies auf die 3000 jährige Geschichte seines Volkes. Jüdinnen und Juden sind es gewohnt, in den Traditionen und Schriften Hinweise für den Umgang mit kritischen Situationen zu finden. Das sei ein Vorteil. Die jüdische Geschichte ist reich an Erfahrung mit allen erdenklichen Nöten: Krieg, Hunger, Vertreibung. Immer gibt es Rituale der Gemeinschaft, um Trost zu finden. Nun – die verweigerte Gemeinschaft. Physische Isolation – das hat es in der 3000 jährigen Geschichte noch nicht gegeben. Damit einen Umgang zu finden, war sehr schmerzhaft. In seiner Synagoge dürfen jetzt wieder 23 Menschen zum Gebet zusammen kommen – der Raum ist klein. Schwer war es für ihn, zu sehen, wie Trauernde in der 7-tägigen Totenwache allein bleiben mussten, wo es eigentlich üblich ist, dass die Gäste Essen bringen, die Hinterbliebenen umsorgen, mit ihnen weinen und beten. Er erinnerte an die Situation in Halle, viele seiner Freunde waren während des Anschlags in der Synagoge. Wie schwer es ist, diese Erfahrung zu verarbeiten. Er erinnerte an die Anschläge in Hanau. Gemeinschaft kann Trost und Kraft spenden. Vor allem deshalb sei er gekommen.
»Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig! Denn auf dich traut meine Seele, und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis das Unglück vorübergehe. Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten, zu Gott, der meine Sache zu einem guten Ende führt.« (Psalm 57, Vers 2-3). Mit diesem Bibelwort antwortete die kleine Runde aus Muslim*innen, Christ*innen, Jüdinnen und Juden gemeinsam auf die vorgetragenen Gebete auf Arabisch, Hebräisch und Deutsch. Es fühlte sich selbstverständlich an. Gemeinsam in dieser kleinen Runde im muslimischen Gebetsraum mit den schönsten Gottesnamen auf Arabisch als Kalligrafien an den Wänden, in der vierten Etage eines unscheinbaren Gebäudes in einem Gewerbegebiet. Wir hatten vorher darüber gerätselt, wie verstehen wir dieses Tref-fen, beten wir nebeneinander, miteinander, jede Glaubensgruppe für sich? Mir scheint, in dieser Stunde gab es keinen Zweifel – wir sind Kinder eines Gottes, einer gemeinsamen Schöpfung und stehen gemeinsam in der Verantwortung im Umgang miteinander – dieses Gebet war ein gemeinsamer Ruf!Wir verabschiedeten uns mit dem Friedensgruß Shalom, Salam, Friede sei mit uns!
Renate Wegener, Café Abraham