//

Predigt · Ökumenischer Gottesdienst im Gedenken an Antje Vollmer · Pfr.i.R. Ruth Misselwitz

Posted on Apr 19, 2023 in im Kiez, Predigten

Matt. 5,9
14 Uhr · »Kirche zu den Vier Evangelisten«

Liebe Schwestern und Brüder,
Antje Vollmer hat für diesen Gottesdienst als Leitwort und Predigttext den Vers „Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen“ bestimmt. Er ist die siebente Seligpreisung in der Bergpredigt Jesu aus dem Matthäusevangelium im 5. Kapitel. Die Bergpredigt ist der erste öffentliche Auftritt Jesu.
Mit dieser Rede stellt sich Jesus seiner Anhängerschaft vor. Es ist seine Programmatik, die Leitlinien seiner Theologie. Auf dieser Grundlage baut er sein ganzes späteres Reden und
Handeln auf. Es ist aber auch der umstrittenste Text innerhalb der 2000jährigen
Kirchengeschichte. Die markantesten und umstrittensten Sätze in dieser Predigt sind
wohl die von der Feindesliebe und von der geschlagenen Wange, die man noch einmal hinhalten soll. Immer wieder hat sich die Welt und die Kirche an diesen Worten gestoßen, wollte oder konnte sie nicht verstehen, hat sie ins Gegenteil uminterpretiert, oder aber schlichtweg ignoriert.
Sie sind aber nicht zu beseitigen – sie stehen in unserer Heiligen Schrift, sie werden gelesen, verehrt oder verachtet, geliebt oder belächelt. Und bis auf den heutigen Tag bewirken sie etwas –
Ablehnung oder Hingabe. Selig sind die Friedfertigen – in dieser Fassung ist der Vers wohl den
meisten bekannt.

Das Wort „Friedfertig“ hinterläßt eher den Eindruck von unterwürfig, konfliktscheu, nur keinen Ärger machen und stille halten. Aber das entspricht nicht dem Orginaltext. Da heißt es „Selig sind die Frieden machen, tun oder bewirken“. Die Bezeichnung „Pazifisten“ (pax facere) gründet sich auf dieser Bedeutung.

Die Friedensstifter sind ganz aktive Menschen, die überzeugt davon sind, dass Konflikte gelöst werden können – aber ohne Gewalt, die sich dem Shalom Gottes verschrieben haben, der einhergeht mit Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe.
Pazifisten sind Menschen, die sich einmischen, zwischen die Stühle setzten, Feindbilder abbauen, Brücken bauen, Versöhnung anstreben und dafür auch ihr Leben auf ́s Spiel setzten. Denn dabei geraten sie in die Mühlräder der Hassprediger und Gewaltbefürworter, werden als naiv oder gefährlich, dumm oder weltfremd beschimpft. Pazisten negieren nicht Konflikte, sondern decken sie auf und fragen nach den Ursachen, zuerst nach den eigenen Anteilen und dann nach denen des Gegners, gemäß der Weisung Jesu, zuerst den Balken aus dem eigenen Auge zu ziehen, um dann den Splitter im Auge des anderen sehen und beseitigen zukönnen. (Matth. 7,3-5)
Pazifisten sind Menschen, die sich der Logik der Gewalt widersetzten und auf einen Frieden bauen,
der nachhaltiger ist als der Frieden, der mit Waffengewalt erreicht wird, weil sie sich dem Gebot der Bewahrung des Lebens und der Menschenwürde für jeden Menschen, auch für den Feind, verpflichtet fühlen.
Denn Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. (Matt.5,45) Nicht mehr und nicht weniger bedeutet „Feindesliebe“ Nicht Auge um Auge, Zahn um Zahn, (Matth. 5,38) sondern, wenn euch Böses widerfährt, dann überwindet das Böse mit anderen Mitteln als mit den lebenszerstörenden Instrumenten, die in sich wieder den Kern der Gewalt bergen und die Gewaltspirale weitertreiben – so spricht Jesus zu seinen Zuhörerinnen
und fordert in Konflikten einen anderen Umgang miteinander, als den, den uns diese Welt anerzogen hat. „Selig sind die, die für den Frieden arbeiten, denn sie werden Gottes
Kinder heissen.“

Liebe Schwestern und Brüder,
hier steht nicht, dass nur die Friedensstifter Gottes Kinder sind – nein – hier steht: sie werden Gottes Kinder heißen, oder – man wird sie Gottes Kinder nennen. An ihrem Handeln wird die Welt erkennen, dass sie Kinder Gottes sind. Denn durch sie wird die Gottebendbildlichkeit, die jedem Menschen – jedem Menschen – mit der Geburt geschenkt wird, erkennbar und erfahrbar.
„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in Gottes gerechte Welt hineingelangen.“ (Matth. 18,1) das sagt Jesus seinen Jüngern, die sich um den besten Platz in
Himmel streiten.
Kinder, wenn sie fürsorgliche Eltern erfahren haben, wissen sich geborgen, geschützt und aufgehoben in der Liebe der Eltern. Ihr Vertrauen in die Welt ist ungebrochen. Sie ordnen die Menschen, die sie umgeben nicht nach Rang, Namen, Ansehen, Reichtum oder Stärke ein.
Sie sind gegenüber jedem offen und vertrauensvoll, solange bis sie schlechte Erfahrungen machen.
Anfangs haben sie nur den Trieb zum Leben, dann erst kommt das Ego, das besitzen und herrschen will. An dem Verhalten der Kinder kann man auch Rückschlüsse auf die Eltern ziehen.
Wenn Jesus von Gotteskindschaft redet, dann spricht er von einem Gott, der seine Kinder aus der Liebe heraus geboren hat, der sich in Liebe für seine Kinder hingibtund sich aufopfert bis in den Tod. In dem Leben und Sterben Jesu zeigt sich Gott der Menschheit als liebender Vater und Mutter.
In den Friedensstiftern, die Gottes Kinder heißen und seine Erben sind, offenbart sich Gott der Welt. An ihnen soll die Welt den Schöpfer des Himmels und der Erde erkennen. Wir Menschen aber neigen dazu, uns unsere eigenen Gottesbilder zu basteln. Für unsere egoistischen Bedürfnisse missbrauchen wir den Namen Gottes, benutzen ihn für nationale, territoriale, machtpolitische und
geostrategische Interessen und verspielen so unsere Gotteskindschaft.

Liebe Schwestern und Brüder, die Bergpredigt endet mit dem Satz: „Als Jesus diese Rede beendet hatte, entsetzte sich das Volk, denn er lehrte sie mit Vollmacht nicht so wie seine Gelehrten.“
(Matth. 7,28) „Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen“ – das hat der alte Bismark schon gesagt und auch dem Altkanzler Helmut Schmidt wird dieser Satz zugeschrieben. Den beiden ehrwürdigen Herren muss ich allerdings zugute halten, dass sie die Bibel kannten und ihnen die Spannung zwischen Politik und Bergpredigt bewußt war, heute wird sie nicht einmal in der Politk vermerkt, und auch kaum in meiner Kirche.

Antje Vollmer hat als Politikerin und Pazifistin insbesondere am Ende ihres Lebens
aus dem Geist der Bergpredigt gelebt und gearbeitet. Sie ist dabei oft an Grenzen und Mauern gestoßen. Sie hat sich zwischen die Stühle gesetzt, Feindbilder abgebaut, Brücken gebaut und für die Versöhnung zwischen befeindeten Lagern gearbeitet. Sie hat dafür viel Wertschätzung, Achtung und Unterstützung bekommen, nicht nur in Deutschland, sondern weit über die Grenzen hinaus.
Sie hat aber auch Feindschaft, Verleumdnung und Ausgrenzung erfahren, besonders schmerzlich erlebt von Mitgliedern ihrer eigenen Partei, die, wie sie sagte: „als lautstarke Antipazifisten ihre wertvollsten Wurzeln verächtlich machen“. Getragen fühlte sie sich aber durch ihren breiten Freundeskreis, der quer durch alle Schichten und Lager ging, durch die große Menge der Gleichgesinnten, die sie mit unzähligen Zuschriften ermutigten, durch ihre Familie, die bis zum letzten Atemzug um sie war und nicht zuletzt durch ihren unerschütterlichen Glauben an den menschenfreundlichen Gott, der Bewahrung – nicht Zerstörung, Leben – nicht Tod für seine Schöpfung will. Sie hat als Pazifistin ihre Gotteskindschaft der Welt bezeugt, durch sie wurde der menschenfreundliche Gott, der Vater Jesu Christi, sichtbar. Wir, die sie erleben durften,
trauern um ihren Tod, er bedeutet einen großen Verlust. Wir sind aber auch dankbar, sie erlebt zu haben.

Sie war und wird es bleiben: ein Geschenk für uns und für diese Welt.

In dem Glauben, dass Gott nun ihr Werk auf dieser Erde vollendet und sie aufgenommen hat in sein Reich geben wir sie aus unseren Händen. Und ich sehe sie nun in der Wolke von Zeugen, die uns umgibt und begleitet. (nach Hebr. 12,1,) Wenige Wochen vor ihrem Tod hat sie der Nachwelt ihr Vermächtnis hinterlassen und ich möchte schließen mit dem letzten Satz daraus: „Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildung ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planeten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“
Amen.