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Predigt · Karfreitag· 7. April 2023 · Pastor Dr.Thies Gundlach

Posted on Apr 8, 2023 in Predigten

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn JC. Amen

Liebe Gemeinde!

Wir befinden uns etwa 70 Jahre nach Christi Geburt, Kaiser Nero in Rom hat gerade Selbstmord begangen, Kaiser Vespasian hat sich nach dem sog 3-Kaiserjahr 68 n.C. durchgesetzt und sein Sohn Titus erobert und zerstört gerade Jerusalem. Nach dem Ende des Jüdischen Krieges werden alle Juden aus Jerusalem, Galiläa und ganz Judäa verbannt und die kleine christliche Gemeinde als Untergruppe der Juden auch. Die Christen haben die Verfolgungen durch Kaiser Nero trotz vieler Martyrien überlebt, aber auch Vespasian kennt nur die alten Götter Roms, es dauert noch etwa 250 Jahre, bis das Christentum in der Antike akzeptiert wird. Die kleine Stadt Kolossä, die im Landesinneren der heutigen Türkei liegt und damals eine große jüdische Gemeinde beheimatete, kannte auch eine kleine christliche Gemeinde. Wie damals üblich traf man sich zum christlichen Gottesdienst in Häusern zumeist reicherer Frauen, die christlich geworden waren und an den Auferstandenen glaubten. Man saß im Vestibül, dem Eingangsbereich eines jeden römischen Hauses, in der Mitte ein kleiner Springbrunnen, drum herum Bänke und Stühle. Gekommen waren Menschen wie du und ich, Männer und Frauen, Alte und Junge, Reiche und Arme, Sklaven und Freie; sie alle wollten Gott danken für diesen einen, diesen Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist.

Es war gerade mal eine Generation her, dass er am römischen Folterwerkzeug, dem Kreuz, elendig und verzweifelt verendet ist. Und doch hub diese kleine, überschaubare Gemeinde irgendwo am Rande der damals zivilisierten Welt an zu singen, ein gewaltiges Loblied, eine Hymne, ein Gesang unerhörten Staunens, ein Lied, das die ganze Schöpfung und alles Geschaffene und alle Geschichte und überhaupt das ganze Universum zusammennahm. Und ebendieses Lied ist aufgeschrieben im Brief des Paulus an die Kolosser im 1. Kapitel und es ist der Predigttext für diesen Karfreitags-Gottesdienst:

Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm wurde alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.

Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, auf dass er in allem der Erste sei. Denn es hat Gott gefallen, alle Fülle in ihm wohnen zu lassen und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.“

Was für eine großer Gesang, liebe Gemeinde, was für eine gewaltige Geste: da ist eine Kleinstgruppe Christen irgendwo in den trockenen Weiten des kleinasiatischen Landes und singt vom Anbeginn aller Schöpfung und von jenem einen, der zwar gerade erst elendig am Kreuz gestorben ist, der aber selbst die Engel im Himmel zu befrieden und versöhnen vermag. Mehr Spannung geht eigentlich nicht! Die Gemeinde singt diesem einen eine Gottesnähe zu, eine ewige Verbundenheit vor aller Zeit, die nirgends ihresgleichen hat. Mindestens drei Dimensionen klingen an in  diesem Kolosser-Hymnus über den gekreuzigten Weltenschöpfer:

1.
Zuerst ist es ein Protestsong, ein Widerspruchslied: denn der Subtext dieses Liedes zum Erstgeborenen vor aller Schöpfung heißt doch:
Du jedenfalls bist es nicht, weder du Nero noch du Vespasian, weder du Pontius Pilatus noch du Magistrat hier oder Herrscher dort, weder du Hitler noch du Stalin, weder du Putin noch du Trump, niemand kann es aufnehmen mit diesem einen. Denn er ist es, in dem alles geschaffen ist, Hohes und Tiefes, Mächte oder Gewalten. Ihr Mächtigen könnt uns vielleicht gefangen nehmen, könnt uns vertreiben, aushungern, vergewaltigen, töten, aber unser Herr JC ist dennoch allemal größer und mächtiger als ihr alle zusammen. Wir können gar nicht so bedrängt und bedroht werden, wir können gar nicht so verfolgt und erniedrigt werden, dass wir dieses Lied der Versöhnung durch jenen einen nicht mehr singen!

Welch eine unerhörte Zuversicht, liebe Gemeinde, welch eine souveräne Freiheit und großartiges Selbstbewusstsein gegenüber allen irdischen Mächten und Gewalten. Der Protestsong ist eine unerhörte Ermutigung, ein Einspruch gegen alle Gegenwartserfahrung, die noch so bitter und noch so schwer und bedrohlich sein mögen! Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne vor aller Schöpfung, er ist unser Friede und unsere Versöhnung, – und deswegen kann uns kein Kaiser, kein Herrscher, kein Autokrat, kein Diktator, kein willkürlicher Machthaber jemals so einschüchtern, dass wir diesem einen nicht zusingen und bekennen: Er ist die Macht und die Herrlichkeit und hat Versöhnung gestiftet durch sein Weg ans Kreuz.   

2.
Neben diesem Protest ist der Hymnus zugleich ein Trostlied, ein Gesang der Güte mitten in allem Weinen, eine Erinnerung an einen Frieden mitten in allem Jammer. Denn er ist nicht allein der Erstgeborne vor aller Schöpfung, sondern auch das Haupt der Gemeinde, also der ekklesia, dieser kleinen Schar der Herausgerufenen. Er ist auch der Erstgeborene von den Toten, dieser Christus ist auch die Fülle der Versöhnung, das Ganze eines Friedens, der im Himmel und auf Erden gemacht ist. Der Ewige, vorzeitige Christus ist zugleich der Friedensstifter der Gemeinde, er schafft eine Versöhnung, höher als alle Vernunft.

Denn in ihm und zu ihm hin ist alles geschaffen, es gibt nichts in Gottes Schöpfung, das nicht auf diese Versöhnung, auf diesen Frieden hingeordnet ist.

Natürlich – das wissen wir alle – diesem Frieden in Jesus Christus kann man sich durchaus entziehen, aber letztlich bleibt er allem Lebenden angeboten und zugewandt. Sein Tod versöhnt Mensch und Mensch, Mensch und Welt, Mensch und Gott. Er ist unser Friede. Es ist, als habe Gott mit diesem Erstgeborenen vor aller Schöpfung schon von Ewigkeit her gewusst, dass es in seiner Schöpfung Unfriede geben wird, dass es Weinen und Klagen geben wird, dass das Paradies keine dauerhafte Heimat sein wird, dass Abel von Kain getötet und Sodom und Gomorrha entstehen wird. Es ist, als habe Gott vor aller Zeit schon seinen Trost, seine Versöhnung, seinen Frieden eingebaut in seine Schöpfung, damit niemand ohne diesen Trost leben und dann auch sterben muss. Gott hat seine Welt so eingerichtet, dass es keine Träne gibt, keine Verzweiflung, kein Lied und keine Hoffnungslosigkeit, die ohne den Trost Jesu Christi bleiben müsste. Denn sein Friede ist seit Anbeginn dabei, er ist eingelassen, gleichsam eingebaut in die Schöpfung.

Wir hören heute diesen Trost der Schöpfung vielleicht eher in solcher Musik, die wir gerade hören, wir sehen ihn in der Schönheit der jetzt erwachenden Natur, wir erleben ihn in der Wahrheit von Begegnungen, auch im Lachen von Kindern oder in der Weisheit des Alters. Gottes Welt ist voll jener Versöhnung, die wir durch das Kreuz Christi zu sehen gelernt haben. Gottes Schöpfung, deren Riss immer schon und von Anbeginn an der Überlebenskampf und das „survival oft the fittest“ war, kennt ebenfalls von Anbeginn an jenen einen Frieden, der höher ist als alle unsere Vernunft.

3.

Liebe Gemeinde, Protestsong, Trostlied, der Kolosserhymnus hat eine erstaunliche Tiefendimension, aber hilft uns das eigentlich heute, in unseren aufgewühlten und verunsicherten Zeiten? Na gut, Protest ist immer ja gut, Widerspruch gegen die da oben ist ja auch irgendwie immer richtig, wohl wissend, dass wir – sollte uns der Zufall selbst einmal in eine vergleichbare Machtposition bringen – wir es vermutlich auch nicht besser als die Gegenwärtigen machen würden. Aber was hat jener Kleinstgemeinde in Kolossä damals etwa 70 n.C. Geburt das Singen jenes Hymnus bedeutet? Im Grunde lautet die Frage: Was nutzt uns diese schöne Musik, die wir hören, die alten Lieder, die wir singen? Ich glaube – und dies ist die dritte Dimension der Auslegung – der Hymnus erinnert uns an eine unendliche Dimension, die wir in unserem Alltag allzu leicht vergessen: Gott ist mehr als alltagstauglich, Jesu Christi ist mehr als moralisches Vorbild, dieser Hymnus ist ein Lied gegen das Gottes-Vergessen, gegen den Verlust des Heiligen im Getümmel des Alltages. Das Heilige ist weder ein Wissen noch eine Moral, sondern ein Staunen, ein Innehalten vor dem Unfassbaren, ein Einstimmen in das Geheimnis des Trostes, das in diesem einen Sterben am Kreuz uns alle erinnert an die Tiefe des Lebens selbst. Denn er hat Frieden gemacht durch sein Sterben, er hat Gott und seine Güte bezeugt bis hinein ins Dunkle, ins Unfassbare, ins Abgründige, er hat jenen barmherzigen Gott hineingenommen in die Stille des Sterbens und in die Schwärze des Todes. Es gibt einen Frieden in Gott, eine Versöhnung mit dem Leben selbst, die jenseits von Wohlbefinden und Sicherheit oder auch von Angst und Verunsicherung liegt, ein Staunen über das Heilige, das Geheimnisvolle, das sich trotz Kummer und Leid, trotz Einsamkeit und Angst nicht wegtreiben lässt von Gott.

Früher hätten die Alten gesagt: es gibt eine Ehrfurcht vor Gott und darum vor dem Leben, welchem dem Wunder des Daseins, dem Staunen über Gottes Hoheit selbst ansichtig wird. Wir haben diese fast nur noch mystisch zu beschreibende Dimensionen des Staunens etwas aus den Augen verloren. Aber daran erinnern kann uns nicht nur unserer Predigttext, sondern auch jener berühmte Lobgesang des Paulus auf den Heiligen Geistes, heißt es da doch:
„Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur und scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“(Römer 8, 38f.). Amen