Predigt · Sonntag · Reminiscere · 5. März 2023 · Pfarrer i.R. Dr.Thies Gundlach
Evangelium und Predigttext: Markus 12, 1-12
Lesung aus dem Alten Testament: Jesaja 5, 1-7
Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus
Liebe Gemeinde,
wir haben es mit einer göttlichen Gewaltorgie zu tun! Bei Jesaja geht es darum, dass es keine guten Früchte, sondern nur faule gibt. Im Predigttext vom Evangelisten Markus gibt es zwar gute Früchte, aber die werden dem Weinbergbesitzer weggenommen; beides endet in einer Katastrophe; aber hören sie selbst:
Mk. 12
Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs nähme. Da nahmen sie ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. Und er sandte einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. Da hatte er noch einen, den geliebten Sohn; den sandte er als Letzten zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Ps 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«? Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.
Gott wird gewalttätig, einmal lässt er den Weinberg verkommen, das andere Mal nimmt er den Weinberg weg, im Ergebnis ist jedenfalls vom „lieben Gott“ nix zu spüren. Gott ist in diesen Gleichnissen genauso unversöhnlich und brutal wie manche Herrscher unserer Tage! Ist das überhaupt eine christliche Geschichte? Schauen wir noch einmal genauer hin:
a) In beiden Geschichten steht der Weinberg für Israel, für das Volk im Gegenüber zu Gott. Und in beiden Geschichten müht sich der Weinbergbesitzer rührend um den Weinberg, er sichert ihn durch einen Zaun vor wilden Tieren, er gräbt eine Kelter zur Verarbeitung der Weintrauben und baut einen Turm, um den Weinberg verteidigen zu können.
b) In beiden Geschichten geht es um Gott als Herrn des Weinberges! Und der geht außer Landes? Warum eigentlich? Werden die Weingärtner im Stich gelassen? Ist es dann ein Wunder, dass sie böse werden? Gedenke Herr an deine Barmherzigkeit – und geh nicht weg: Man versteht schon, warum dieser Sonntag Reminiszere heißt.
c) In beiden Geschichten will der Besitzer seinen Anteil haben, entweder gute Früchte oder guten Wein. Aber die Weingärtner wollen nicht: ein Knecht nach dem anderen wird abgewiesen, geschlagen und gar getötet. Gemeint sind damit die Propheten Israels, von Amos über Hosea und Jesaja bis hin zum unglücklichen Jeremia, der im Dunkel der Geschichte namenlos verschwindet.
d) Zuletzt schickt der Besitzer „seinen geliebten Sohn“ in der Hoffnung, dass er Respekt und Achtung erfährt; aber auch das geht schief, gerade dieser wird in erbschleichermäßiger Berechnung ermordet und „hinaus vor den Weinberg“ geworfen. Klingt hier schon die Passionsgeschichte an?
e) Nun aber ist Schluß! Es folgt der Gewaltausbruch des „Herrn des Weinbergs“, er bringt die Weingärtner um und der Weinberg geht an andere über. Gott wird gewalttätig, er rächt den Tod seines geliebten Sohnes und macht sich auf die Suche nach anderen Weingärtnern. Totaler kann die Niederlage der bösen Weingärtner nicht ausfallen. Und das wäre auch für andere böse Weinberggärtner angemessen.
I.
Die wichtigste Frage zu dieser Geschichte, liebe Gemeinde, ist vielleicht diese: Welches Gottesbild wird hier erzählt? Ein gnadenloser Herr haut zurück und lässt nichts übrig von den bösen Weingärtnern. Gerecht mag das sein, die anderen haben ja angefangen, haben Knechte und den geliebten Sohn getötet, da sollen die sich mal nicht wundern, wenn der Herr dann zurückschlägt. Auf einer menschlichen, innerweltlichen Ebene ist das korrekt, verständlich, berechtigt und nachvollziehbar. Aber ist das ein jesuanisches Gottesbild? Gott als strafender Richter, als Heimsucher, ein Vernichter der unbestreitbar bösen Täter? Rächt Gott den Tod seines Sohn? Straft Gott die Mörder nach weltlichen Maßstäben? Kann Jesus solch eine Geschichte erzählt haben? Denn immerhin: der gesamte Duktus des Evangeliums hat doch einen anderen Klang. Wie hieß noch der Wochenspruch? „Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“(Röm 5, 8)
Aber wenn nicht Jesus, wer kann diese Geschichte sonst erzählt haben? Wurde sie von der jungen Christengemeinde erzählt?
Dass der Herr des Weinberges den Weinberg den bösen Weingärtnern wegnimmt und anderen übergibt, das kann auch ein Bild dafür sein, dass nun Gottes Aufmerksamkeit von Israel weggenommen und auf die ersten Christen übergegangen ist. Haben wir es hier mit einer antijudaistischen Geschichte zu tun, die aus der frühen Auseinandersetzung zwischen Juden und Christen stammt?
II.
Liebe Gemeinde, auch die Wissenschaft ist sich hier nicht einig! Aber wie auch immer, eines ist jedenfalls unabweisbar: Diese Geschichte hat die Vorstellung in die Jahrhunderte der Kirche eingetragen, dass Gott den bösen Sünder*in straft, dass Fehlverhalten nicht ungestraft bleibt, dass Gott keineswegs nur gnädig, barmherzig und gütig sei, sondern auch gerecht und hart und dass er „den nicht ungestraft lässt, der seinen Namen missbraucht“ (Dtn 5, 11), wie es im 2. Gebot heißt. In der Geschichte unseres Glaubens ist die Vorstellung eines strafenden Gottes fast ebenso verbreitet wie die Hoffnung auf seine Güte und sein Erbarmen. Unser Gesangbuch ist voll von der Hoffnung, dass Gottes sich von seinem Zorn über die Sünde abbringen lässt und uns nicht straft nach unseren Taten. Und es ist voll von der Angst, dass er doch zürnt und urteilt und bestraft. Es war jedenfalls jahrhundertelang unstrittig, dass Gott keinesfalls nur barmherzig und gütig ist, sondern auch gerecht und streng.
Jetzt kann man sich heute natürlich recht leicht darüber hinwegheben, denn unser aufgeklärter Glaube teilt dieses Gottesbild nicht mehr – hoffentlich. Aber zugleich ist nicht erst seit der Coronapandemie die Frage wieder gewichtiger geworden, ob Gott nicht doch unsere Übergriffe bestraft. Dahinter mag einerseits stehen, dass ein immer nur guter, gnädiger, barmherzigen Gott irgendwie auch langweilig, uninteressant, ja irgendwie banal wirkt; nur Nettigkeit ist belanglos. Und andererseits hat so ein braver Gott dann ja auch nichts mehr zu tun mit unserer Lebenserfahrung, die ja durchaus Schweres und Kummervolles, Unfassbares und kaum Erträgliches kennt. Deswegen ein kleines „Reminiszere“, ein Gedenken an früheren Glauben:
III.
Über Jahrhunderte war das Wissen um Gottes Strafen sehr präsent: jedes Ereignis im Leben wurde irgendwie in Bezug zu Gott gesetzt, jeder Schicksalsschlag gedeutet als Gottes Reaktion auf das eigene Tun und Lassen. Jede Krankheit war Strafe für meine Sünden, jedes Glück war gnädige Fügung.
Gottes Erbarmen zeigte sich in dieser oder jener Rettung, dieser oder jener Gesundung, in Reichtum oder auch in Kriegsglück, in Unversehrtheit oder auch Karriere. Gott war in allem da, er steuerte jedes Leben je nach dem Verhalten, Schweres war seine Strafe und Glückliches sein Erbarmen. Damals wusste sich jeder einzelnen von Gott wahrgenommen, niemand fiel aus seiner unmittelbaren Beobachtung, seinem Sehen und Ansehen!. Gott war allgegenwärtig! „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ lautet unsere Jahreslosung, und während wir mitunter sehnsüchtig darauf hoffen, dass Gott uns sieht, haben frühere Generationen immer gewusst und geglaubt, dass sie von Gott gesehen werden, und zwar immer, überall und jederzeit. Dass kann natürlich auch furchtbar sein, es ist eine Totalüberwachung, die bis hinein in die Seele und Träume reichte. Und natürlich konnte man diese unhinterfragte Gegenwart Gottes auch total missbrauchen und zur inneren und äußeren Kontrolle der Seelen ausnutzen – und dies wurde im Laufe der Christentums auch ausgiebig getan. Aber die andere Seite gilt es auch zu verstehen: Niemand war so unwichtig, dass Gott ihn oder sie nicht begleitete mit Glück oder Strafen, niemand war so nebensächlich, dass Gott nicht hinsah, selbst die allerkleinste Magd oder der unwichtigste Schiffsjunge irgendwo auf dem weiten Meer fiel nicht aus Gottes Blick heraus. Und Gott konnte ja alles wenden, er konnte das Schicksal drehen, das Unglück verhindern oder das Glück zuteilen. Er war eben noch nicht „außer Landes!“
IV.
Liebe Gemeinde, wir werden diese selbstverständliche, unkritische Nähe zu Gott nie wieder zurückgewinnen; und das ist ja auch gut so. Aber es ist auch traurig, es gibt eine Sehnsucht nach Gottes Nähe, nach seiner selbstverständlichen Gegenwart, die mich sogar seine strafende Seite akzeptieren ließe. Und ich frage mich mitunter, ob Gott nicht in anderer Weise doch ein strafender Gott bleibt. Nicht so wie die alten dachten, jeder Verfehlung folgt die Strafe auf dem Fuße, sondern abstrakter, grundsätzlicher, fundamentaler. Ist unsere Klimakatastrophe nicht doch auch Strafe für einen sündigen Lebenswandeln? Haben die Vermüllung der Meere, die Erhitzung der Sommer, die Versteppung der Länder nicht auch einen Strafcharakter? Manchmal denke ich, es gibt eine Art natürliche Grundregel oder geistliches Naturgesetz, das „den nicht ungestraft lässt“, der seine Grenzen nicht kennt – im Kleinen wie im Großen!.
Nicht Gott straft, er ist barmherzig, gnädig und voller Güte! Aber seine Welt lässt sich auf Dauer nicht ausrauben, sie ruft dann Kräfte auf den Plan, die unsere Sünde aufdecken und unsere Fehler sichtbar machen.
Und wenn Sie, liebe Gemeinde, für diesen Gedanken ein Bild brauchen, eine gelungene Veranschaulichung, dann schalten Sie dieser Tage mal die ZDF-Mediathek ein oder greifen zu dem Thriller: Der Schwarm von Frank Schätzing. Ohne zu spoilern kann ich sagen: die Grundidee von Buch und Film ist genau diese: eine intelligente Lebensform in den Tiefen des Ozeans steuert alle Tiere – vom Walfisch über Orcas und Krebse bis zum Hummer – so, dass sie uns Menschen vernichtet wollen, weil wir ihre Lebensgrundlagen zerstören. Das Bild: Die Natur wehrt sich gegen unseren Lebensform, sie sorgt dafür, dass wir die Welt nicht vollends zerstören mit unserer Gier. Die Story ist wie bei allen guten Geschichten eine Dichtung, also eine Verdichtung, aber sie trifft doch eine Grundangst, nämlich dass uns die Schöpfung doch straft für unser frevelhaftes Tun und Lassen. Gott sitzt nicht oben im Himmel und bestraft oder belohnt diesen oder jenen; aber er hat seine Schöpfung so eingerichtet, dass der nicht ungestraft bleibt, der fortwährend Böse tut. Und weil Gott seine Welt so eingerichtet hat und dennoch barmherzig, gütig und voller Gnade ist, bleibt er ein Gott, der uns sieht, der vielleicht außer Landes gegangen ist, aber uns nicht allein lässt mit unseren Sünden. Darauf jedenfalls hoffen wir als Christen inständig! Amen