Predigt · Sonntag · Estomihi · 19. Februar 2023 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz
1. Korinther 13,1 – 13
Übersetzung aus „Bibel in gerechter Sprache“
Verse 1-5:
1Wenn ich wie ein Mensch rede oder wie ein Engel und bin ohne
Liebe, bin ich ein schepperndes Blech und eine gellende Zimbel.
2Und wenn ich die Gabe habe, die Zeichen der Zeit zu deuten, und
alles Verborgene weiß und alle Erkenntnis habe und alles Vertrauen,
so dass ich Berge versetzen kann, und bin ohne Liebe, dann bin ich
nichts. 3Und wenn ich alles, was ich kann und habe, für andere
aufwende und mein Leben aufs Spiel setze selbst unter der Gefahr,
auf dem Scheiterhaufen zu enden, und bin ohne Liebe, hat alles
keinen Sinn.
Liebe Schwestern und Brüder,
was für kraftvolle Worte sind das, die Paulus hier in dem Brief an die
Korinther schreibt.
Dieses „Hohe Lied“ der Liebe gehört wohl mit zu den bekanntesten
und beliebtesten Texten, die es im Neuen Testament gibt.
Ich habe es oft zu kirchlichen Hochzeiten vorgelesen.
Und daß es nun der Predigttext für heute ist, freut mich besonders.
Die Worte, die wir hier hören, scheinen uns wunderbar und schön
aber eben doch auch utopisch.
Wer kann so lieben, wer kann sich so hingeben,
wer hat so eine unermeßliche, so eine unergründliche Liebe,
die niemals aufhört?
Paulus redet hier nicht von der uns bekannten und oft sehr
unzulänglichen Liebe des Menschen,
Paulus redet von der Liebe an sich – von der Liebe Gottes –
von Gott selbst.
Wir Menschen haben wohl eine Ahnung von dieser Liebe,
aber letztendlich begreifen, geschweige denn ausüben
können wir sie wohl nicht.
Wir sehnen uns nach dieser Liebe,
und glauben sie nirgens finden zu können,
dabei ist diese Liebe, der Grund aus dem wir kommen,
gegenwärtig leben und zukünfig zurückkehren werden.
Ein spiritueller Mensch erkennt, dass die Grundlage aller Existenz
die göttliche Liebe ist.
Diese Liebe ist die grundsätzliche Bejahung des Lebens,
der Zuspruch, die Gewährung und der Schutz allen Lebens.
Was Gott einmal erschaffen hat, steht unter dem Schutz seiner Liebe
– seiner Bejahung und Befürwortung.
Die Liebe – die Bejahung – ist der Grund für die Existenz des
Universums,
unserer kleinen Welt darin und ihrer Geschöpfe darauf.
Ohne diese Liebe gäbe es nichts.
Der Kosmos und alles, was in ihm enthalten ist,
ist aus dieser schöpferischen Liebe Gottes entstanden.
Die Welt ist für einen gläubigen Menschen demnach nicht ein
Produkt zufällig aufeinandertreffender Atome, also aus der unberechenbaren Laune der Natur entstanden.
Nein – für einen gläubigen Menschen ist sie ein Produkt der Liebe –
sie ist gewollt und befürwortet –
jedes Lebewesen, jede Pflanze, jeder Stein –
alles hat durch diese Liebe eine Beziehung zu Gott.
Und diese Liebe ist die Schutzmauer vor dem Chaos.
Sie wehrt die Kräfte der Zerstörung ab
und umgibt alles Seiende mit dem Mantel der Gnade und der
Barmherzigkeit.
Die Kraft, die den Kosmos zusammenhält ist die Liebe,
ohne sie wäre schon längst alles im Chaos zusammengestürzt.
Die Kräfte des Chaos, der Gewalt, der Zerstörung aber existieren
weiterhin und bedrohen die Welt,
bedrohen die gute Ordnung, die Gott der Welt geschenkt hat.
So erleben wir immer noch Krieg und Zerstörung,
Hass und Gewalt,
Erdbeben, Dürre und Überschwemmungen
und sie verursachen viel Leid auf dieser Erde.
Doch spätestens nach dem Versprechen,
das Gott dem Noah nach der Sintflut gegeben hat:
nie wieder die Erde zu verwüsten um der Bosheit der Menschen
willen (Gen. 8,21-22),
wissen wir, dass Zerstörung und Gewalt nicht aus dem Zorn Gottes
entspringt,
sondern entweder aus den Naturgewalten, die weiter an der Gestalt
der Erde formen,
oder aus dem menschlichen Eingreifen in die Naturgesetze,
das die natürliche Ordnung beschädigt.
Die Liebe Gottes zu seiner Kreatur –
zu uns Menschen und der ganzen Erde –
kann durch nichts zerstört werden.
Paulus hat diese unermessliche Liebe erfahren und versucht sie,
auf das menschliches Verhalten anzuwenden:
„4Die Liebe hat einen langen Atem und sie ist zuverlässig, sie ist
nicht eifersüchtig, sie spielt sich nicht auf, um andere zu
beherrschen. 5Sie handelt nicht respektlos anderen gegenüber und
sie ist nicht egoistisch, sie wird nicht jähzornig und nachtragend.
6Wo Unrecht geschieht, freut sie sich nicht, vielmehr freut sie sich
mit anderen an der Wahrheit. 7Sie ist fähig zu schweigen und zu
°vertrauen, sie hofft mit Ausdauer und Widerstandskraft. 8Die Liebe
gibt niemals auf. „
Das sind starke und trostspendende Worte,
aus denen der unerschütterliche Glaube entspringt,
dass die Liebe Gottes zu den Menschen und seiner Schöpfung
durch nichts zerstört werden kann.
Auch nicht durch die menschliche Bosheit,
die Gott nüchtern zur Kenntnis nimmt, indem er zu Noah sagt,
der Mensch ist böse von Jugend auf wohl
bemerkt, von Jugend auf – nicht von Geburt an.
Kinder sind unschuldig.
So großzügig ist Gott, so voller Licht und Liebe.
Und die Botschaft Jesu an seine Jüngerinnen und Jünger ist:
Nehmt euch ein Beispiel an dieser göttlichen Liebe;
„Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr
Kinder seid eures Vaters im Himmel…. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr
volkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. (Matt.
5,43-47)
Oftmals wurde diese Feindesliebe in der Geschichte bis auf den
heutigen Tag belacht, verhöhnt, als naiv und gefährlich beurteilt,
Menschen sind dafür ins Gefängnis gegangen und wurden getötet,
Diese Feindesliebe bedeutet nicht mehr und nicht weniger,
als auch dem Gegner- dem Feind –
das Recht auf Leben zuzugestehen und es zu schützen.
Aus dieser Haltung heraus entspringt die Ablehung der Todesstrafe.
Die Verfügungsgewalt über Leben und Tod hat nur Gott allein.
Das Verbot zu töten – der Schutz des Lebens –
gilt für jeden Menschen.
Das ist angesichts der Realität eine schwer zu ertragende
Herausforderung an uns Menschen. Und die Geschichte zeigt, dass der Mensch dieser Anforderung oft
genug nicht gerecht wird.
Immer wieder verstößt er gegen dieses Verbot
und findet manigfaltige Rechtfertigungen und Begründungen dafür.
Aber dennoch – oder gerade deshalb – zieht Gott seine Liebe nicht
zurück,
dennoch bekräftigt Jesus sie und spitzt sie bis zur Feindesliebe zu
und dennoch malt Paulus sie in dem Hohen Lied der Liebe so farbig
aus.
Wir haben uns mit ihr auseinanderzusetzten,
wir können sie nicht einfach verschweigen oder für ungültig erklären.
Verstehen werden wir es wohl in unserem Leben nie so ganz richtig,
das weiss auch Paulus,
deshalb schreibt er:
„Prophetische Gaben werden aufhören, geistgewirktes Reden wird zu
Ende gehen, Erkenntnis wird ein Ende finden. 9Wir erkennen nur
Bruchstücke, und unsere Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, ist
begrenzt. 10Wenn aber die Vollkommenheit kommt, dann hört die
Zerrissenheit auf.
11Als ich ein Kind war, redete und dachte ich wie ein Kind und war
klug wie ein Kind. Als ich erwachsen wurde, ließ ich zurück, was
kindlich war. 12Wir sehen vorläufig nur ein rätselhaftes Spiegelbild,
dann aber von Angesicht zu Angesicht. Heute erkenne ich
bruchstückhaft, dann aber werde ich erkennen, wie ich von Gott
erkannt worden bin.“
Liebe Schwestern und Brüder,
meine Hoffnung und mein Trost ist,
dass ich Erkenntnis geschenkt bekomme,
wenn ich durch das Tor des Todes hindurchgeschritten bin
und Gott von Angesicht zu Angesicht schauen werde.
Dann werde ich alles verstehen, was mir hier im Leben immer
Zweifel bereitet hat,
dann werde ich alles sehen, was mir hier verborgen war.
Mit den letzten Worten des Paulus aus diesem Lied möchte ich
schließen:
„13Jetzt aber leben wir mit Vertrauen, Hoffnung und Liebe, diesen
drei Geschenken. Und die größte Kraft von diesen dreien ist die
Liebe.“
Amen.