Predigt · 19. Sonntag n. Trinitatis · 23. Oktober 2022 · Pfarrer Michael Hufen
Predigt über Markus 2,1-12
Liebe Gemeinde
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in Markus 2,1-12.
Es ist die Erzählung von der Heilung eines Gelähmten in der Stadt Kapernaum See Genezareth. In den Tagen hatte Jesus schon mehrerer Menschen geheilt. Als Jesus wieder nach Kapernaum kam und es sich herumgesprochen hatte, dass er in einem Haus war, versammelten sich viele Menschen, die ihn sehen und hören wollten. Es war enge und sogar vor dem Haus war kein Durchkommen.
Bei Markus heißt es dann:
Und es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vieren getragen. Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.
Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!
Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen.
Liebe Gemeinde!
Es ist eine der Urszenen des Evangeliums, es ist eine Auferstehungsgeschichte: Ein Mensch, gelähmt, wird von seinen Freunden zu Jesus gebracht.
Die Menge blockiert den Zugang.
Doch die Freunde lassen sich nicht abschrecken, sie decken das Dach auf und lassen den Gelähmten auf einer Matte herunter – Jesus direkt vor die Nase. Und dieser vergibt ihm die Sünde und heilt ihn. „Steh auf, nimm dein Bett und geh heim,“ sagt Jesus lapidar. Und der Kranke steht auf und geht.
Es geht in dieser kurzen Szene eigentlich um Alles: Glauben – erstaunlicherweise den der 4 Freunde, es geht um Sündenvergebung – was ist das eigentlich? Es geht um die durch Jesus eröffnete Möglichkeit schon jetzt im Leben ganz neu anzufangen. Es geht aber auch um die Schwierigkeiten, zu Jesus zu kommen und natürlich auch um die Lust der Menschen, daran zu zweifeln, was ihnen doch so klar vor Augen ist.
Es ist die Auferstehung eines Menschen mitten im Leben.
Es geht um den Sieg des Lebens über den Tod.
Die Lähmung verschwindet, ein Mensch lernt wieder gehen. Er kommt zurück in ein Leben, von dem er lange abgeschnitten war.
Es geht um Nächstenliebe, um Freundschaft, um Solidarität: Vier Freunde ergreifen die Chance und bringen den Gelähmten zu Jesus. Allein hätte er es nie geschafft. Aber die Freunde, sie halten zu ihm. Sie kennen seine Not.
Was immer den Mann an sein Bett fesselt – Jesus findet für ihn das richtige Wort: „Mein Sohn, mein Kind“ spricht er ihn an. Es ist eine Anrede voller Zärtlichkeit und Liebe. Man könnte ja auch genervt sein, wenn plötzlich einer von oben einschwebt und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
„Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Nicht nur liebevoll redet Jesus ihn an. Er ist zugleich direkt, fast indiskret. Auf die eigenen Sünden angesprochen zu werden und das vor allen Leuten, das ist heikel. Unversehens gerät der Gelähmte auf den heißen Stuhl. Es geht um seine Sünden. Seine Lähmung erscheint als Lähmung eines Täters. Es geht um Verhängnis, um Versäumtes und Unterlassenes, um Schuld. Doch mehr erfahren wir nicht.
Der Akzent liegt auf der Vergebung: Die Sünden sind vergeben.
Es ist wieder gut. Atme auf! Werde frei!
Was immer dich festhält, jetzt kann es von dir abfallen.
Steh auf, nimm dein Bett und geh heim.
Liebe Gemeinde,
dass alles und noch viel mehr ist in dieser Geschichte zu entdecken.
Als ersten Schritt lade ich dazu ein: suchen Sie sich, sucht euch einen Platz in der Geschichte.
Bin ich der Hausbesitzer dessen Dach „aufgegraben“ wird, wie es erzählt wird, bin ich einer der ganz auf Jesus konzentriert gar nicht mitbekommt, dass die 4 Freunde mit dem Gelähmten auf der Trage durchwollen, bin ich der Gelähmte?
Wahrscheinlich wollen viele von uns gerne einer der vier Freunde sein.
Die Not eines anderen Menschen wahrnehmen, nicht wegschauen, nach Möglichkeiten der Hilfe suchen und dabei voller Vertrauen auf Jesus, auf den Beistand des Gottessohnes, handelnd. Und sich dabei der Herausforderung des zu Tuenden stellen: ein Gelähmter auf einer Trage ist auch für vier Menschen schwer zu tragen. Aber gemeinsam schaffen wir das – zusammenhalten, zusammenarbeiten und zusammenglauben – wunderbar.
Und sie lassen sich nicht abschrecken von den Hindernissen auf dem Weg zu Jesus, nicht von den Menschen, die den Zugang versperren und auch nicht von der schmalen Treppe, über die sie den Gelähmten aufs Dach hinaufbringen müssen und schon gar nicht von dem Dach, das sie aufgraben, abdecken müssen, um den Weg freizumachen.
Vielleicht sind wir aber auch bei denen, die den Weg versperren.
Menschen, die ganz nah bei Jesus sind, an seinen Lippen hängen und dabei anderen den Zugang verwehren. Die nicht sehen, dass Menschen, die anders sind, trotzdem näher ran wollen an Jesus und an den Glauben an ihn.
Es heißt oft, dass die Kirche mit ihrer altertümlichen Sprache, mit ihren Traditionen und eben auch wir mit unserem Selbstverständnis in der Gemeinde, das „Hereinkommen“ für Außenstehende mindestens beschwerlich machen.
Es kann sein, dass sich Menschen davon abschrecken lassen.
Die vier Freunde nicht! „Dann eben übers Dach!“. Ein Dach, Schutz vor Regen und vor allem vor Hitze aufzugraben: wie groß muss das Vertrauen dieser Männer sein! Sie beschreiten „neue“ Wege, um ihren Freund zu Jesus zu bringen, damit ihm geholfen wird. Und es ist zu vermuten, dass sie sehr genau mitbekommen, wie störend ihre Aktion bei den an Jesu Lippen Hängenden, die nun von Staub und Dreck berieselt dastehen, ankommt.
In der Geschichte kommt jetzt der für mich immer wieder absolut erstaunliche Satz: Als Jesus sah, wie groß IHR Glaube war, sagte er zum Gelähmten.
IHR Glaube, der der vier Freunde – ihre Hilfsbereitschaft, ihre Ausdauer, ihr Vertrauen, aber auch ihr Selbstbewußtsein: das, was wir hier tun ist so wichtig, dass wir uns durch kein menschengemachtes Hindernis aufhalten lasse, wenn es darum geht unserem Freund zu helfen. Wahrscheinlich haben sie für ihn schon gebetet, ganz sicher haben sie für ihn geglaubt, vielleicht sogar stellvertretend, weil er es in seiner Lähmung nicht mehr konnte und ganz sicher haben sie für ihn aus diesem Glauben heraus gehandelt.
Hat sich jemand in die Rolle von Jesus hineingedacht?
Wenn wir an seine Vergebung, die ja zur Heilung dazu gehört, denken, dann ist diese Rolle viele Nummern zu groß. Sünden vergeben, die tiefgreifende Störung des Gottesverhältnisses im Leben eines Menschen vergeben, das können wir sicher nicht. Aber wie sieht es denn mit den eigenen kleinen Schritten zur Vergebung und zur Versöhnung aus? Die ein oder andere Person, zu der mein Verhältnis gestört und wieder heil werden könnte, fällt wahrscheinlich jeder und jedem von uns ein.
Und wer kann sich in den Gelähmten hineinversetzen – es zumindest versuchen?
Gelähmt sein – körperlich schwer behindert sein – kaum vorstellbar für Menschen, die äußerlich gesund sind.
Äußerlich gesund, aber leben wie erstarrt, gelähmt – das ist schon eher vorstellbar und ziemlich sicher kennen wir das an anderen Menschen, wenn nicht sogar an uns selbst. Unter der Last von Gefühlen, Ereignissen oder Informationen wie erstarrt sein, sich fühlen, als ob ein unsichtbarer Magnet alle Kraft aus dem Körper gezogen hat.
Das kann passieren und Menschen, die bisher stark waren und sogar andere getragen haben, sind nun selbst auf Hilfe angewiesen.
Gut wenn man da gute Freunde an seiner Seite weiß. Freunde, die mich tragen, für mich beten, vertrauen und glauben. Die auf Dächer steigen, Gott aufs Dach steigen und mich vor seine Füße legen.
Gut wer solche Freunde hat und hoffentlich auch eine Gemeinde, die nicht wegschaut, sondern sich öffnet und mitträgt.
Amen
Und der Friede Gottes, der größer ist, als unsere Vernunft begreifen kann, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unserem Herrn!
Amen
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