Predigt · 18. Sonntag n. Trinitatis · 16. Oktober 2022 · Pfarrer i.R. Dr. Thies Gundlach
Gnade sei mit uns und Friede von Gott , unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen
Ist das nicht wunderbare Musik, liebe Gemeinde? Man kann sich so herrlich fallen lassen und für einen kleinen Moment eintauchen in eine ganz andere Welt, irgendwie in eine heile, helle, holde Welt. Liebe Rudite, lieber Chor, danke für diese kurze Zeit der Verzauberung (Applaus).
Ich habe mich übrigends früher oft gefragt, warum eigentlich Musik und Musiker/innen im Gottesdienst viel eher eine Runde Applaus abbekommen als Prediger/Innen, obwohl die mitunter ja auch sehr schöne, kluge und anregenden Predigten halten! Sie hören einen gewissen Neid aus dieser Frage durchaus zu Recht heraus.
Aber Trost finden und Frieden schließen konnte ich damit, als mir mal jemand den Unterschied zwischen einem Partizipations- und einem Identifikationsereignis erklärte: beim ersteren nehme ich nur teil, lasse mich mitnehmen und partizipiere an Klang und Ton. Eine Predigt dagegen fordert Stellungnahme, sie zielt auf Zustimmung und Identifikation. Und das kennen wir ja alle: Man hört einer Predigt zu, aber dann kommt ein Satz oder ein Gedanke, den man entweder doof oder langweilig findet, und schon ist man fest davon überzeugt, dass der Herr Pfarrer Unsinn redet. Und dafür gibt es dann naturgemäß keinen Applaus. Seit ich diesen Unterschied kapiert habe, bin ich ein begeisterter Klatscher bei schöner Musik im Gottesdienst.
Liebe Gemeinde,
das war jetzt der „verständige“ Einstieg in die Predigt, denn laut Predigttext sollen wir nicht unverständig sein, sondern weise. Hören Sie selbst: „So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise. Und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse. Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist. Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen.“ (Eph 5 )
Verständig wollen wir sein und deswegen hat mich bei der eben gehörten Kantate die Frage beschäftigt, ob ich, ob wir eigentlich verstehen, was da gesungen wird? Es ist die Vertonung der 1. Strophe des Liedes EG 67 (schlagen Sie ruhig mal auf), wo es heißt:
„Herr Christ, der einig Gotts Sohn, Vaters in Ewigkeit, aus seim Herzen entsprossen, gleich wie geschrieben steht: er ist der Morgensterne, sein Glänzen streckt er ferne von anderen Sternen klar.“
Mal ehrlich: Verstehen wir, was da gesungen wird? Könnten Sie in eigenen Worten nacherzählen, was diese Strophe sagen will? Natürlich, irgendwie klingt die sog. Christliche Trinitätslehre an, die Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist irgendwie zugleich unterscheidet und zusammenordnet. Aber das ist ja eine relativ komplizierte dogmatische Tradition, die als Thema in theologischen Examina eher Panik auslöst. Doch will ich niemanden examinieren, sondern frage mich bei diesem wie bei vielen anderen alten Liedern und Texten der Tradition: Verstehe ich das eigentlich? Was könnten die Alten gemeint haben? Oder sind das sinnlose Sätze, Unsinn geworden durch Einsichten der Gegenwart, leicht abzukanzeln als fremd und fern und uninteressant? Deswegen weglassen? Andererseits: verliere ich nicht die Gemeinschaft und Solidarität mit jenen, die vor mir geglaubt, gebetet und Gott bezeugt haben? Mache ich mich wurzellos und irgendwie auch geistlich ärmer, wenn ich die alten Aussagen unverstanden links liegen lasse?
Deswegen gilt für mich: diese fremd, alt und abständig wirkenden Traditionen nicht eliminieren, sondern interpretieren, sie nicht denunzieren, sondern mit der tendenziell eher konservativ anmutenden Unterstellung ansehen, dass in den alten Sätzen Wahrheit, Weisheit und Würde des Glaubens aufgehoben sind. Traditionsbestände waren – um mal persönlich zu werden – für mich nie Last, sondern in aller Regel Verheißungen. Denn mit ihrer Hilfe kann ich zu einem aufgeklärten, geläuterten und reifen, eben weisen, verständigem Glauben finden. Manchmal denke ich, wir Christen haben auch die Aufgabe, eine Art erwachsenen Glauben weiterzugeben, also weder einen naiven Kinderglauben, der Gott immer nur lieb sein lässt, noch einen zu vollmundigen Glauben, der Gott alles Mögliche sein lässt. Das verstehe ich unter einem mündigem Christentum, wie Dietrich Bonhoeffer es gefordert hat.
Darum heute also die Frage nach der Weisheit, die hinter diesen dogmatischen Aussagen des „eing Gotts Sohn, der aus dem Herzen des Vaters entsprossen“ ist? Was haben sich die Glaubenden damals dabei gedacht? Was war ihnen wichtig? Warum haben sie ihr Herz auf solche Sätze gegründet? Immerhin, den Text hat eine Elisabeth Cruziger 1524 geschrieben, also in den Schlüsseljahren der reformatorischen Bewegung. Ich sehe mindestens zwei Dimensionen angesprochen, die uns auch heute nicht ganz aus dem Blick verloren gehen sollten:
a) Zuerst ist in dieser Aussage der ewigen und einzigen Gottessohnschaft Jesu eine Dimension, die nichts mit unserem Alltag zu tun hat. Die Ewigkeit ist jenseits unserer Zeit und unseres Raumes, und der hier gemeinte Morgenstern ist ja nicht die Venus, sondern jenes Lichtereignis, dass vor allem Aufstehen und Entstehen der Welt immer schon da ist. Gott und sein einig Sohn sind immer schon und ewig. Aber warum ist das wichtig und in allen christlichen Kirche Bekenntnis? Weil damit die Erhabenheit, die Größe, die Unverfügbarkeit und Freiheit Gottes und seines Sohnes von allen irdischen und innerweltlichen Dimensionen bekannt wird. Gott ist größer als alles, was wir Menschen je kennen und können, größer als Putin und Lukaschenko, Honecker und YiJinPing, größer als alle Politik, größer als jedes Gefängnis und jede Einsamkeit. Gott gerät nicht in Gefangenschaft, kein Diktator, kein Herrscher kann ihn vereinnahmen, er kann selbst dem kleinsten und abhängigsten Menschen nicht genommen werden, weil Gott immer war und immer ist und immer sein wird. Weil er – wie wir jeden Sonntag beten – jenseits aller Verfügbarkeiten „lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Und, liebe Gemeinde, ich kann mir eine Fülle von existentiellen Situationen vorstellen und kenne sie auch in einem kleinen Maße, in dem diese Unverfügbarkeit Gottes ein Trost ist, weil ich innerlich frei bleibe in allem Jammer und zuversichtlich in allem Kummer. Wie sollten Menschen sonst diesen berühmten Gedanken von Vaclav Havel ausfüllen, nach dem Hoffnung nicht die Sicherheit ist, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht. Und nicht wenige haben mir erzählt, dass dieser Glaube gerade in der DDR-Zeit sehr geholfen hat, die Diktatur zu ertragen; und wie viele Ukrainer/innen werden in diesen Tagen dies im Herzen haben, weil auch Putin`s Raketen nicht das letzte Wort haben soll.
b) Und dann die zweite Frage:
Warum muss Jesus, dieser Mann aus Nazareth, warum muss dieser Mensch unbedingt auch ewig schon bei Gott als „einig Sohn“ bekannt werden? Natürlich ist auch dies bildliche Rede, aber warum diese ewige Sohnschaft Jesu? Im Kern geht es auch hier um ein Herzensanliegen des Glaubens, denn mit diesem Bekenntnis soll glaubhaft werden, dass zwischen Gott und Jesus aus Nazareth kein Blatt Papier passt – so würden wir heute vielleicht formulieren.
Entscheidend ist, dass Jesus so unmittelbar zu Gott gehört und Gott zu ihm, dass wir Gott erkennen, wenn wir Jesus ansehen. Es sollte nirgends ein Zweifel möglich sein, dass Jesus vielleicht doch irgendwie ein Art untergeordneter Sohn ist oder gar nur einer von vielen Menschen, die im römischen Reich am Kreuz sterben mussten. Der Glaube erkennt Gott selbst in Jesus am Kreuz und dies soll und darf durch nichts verunsichert werden. Denn nur in dieser unzerstörbaren, also ewigen Verbindung ist gewiß, dass der Weg Jesu ein Trost auch für mich in meinem Kreuz sein kann. Nur wenn Gott in dem sterbenden Jesus ganz und gar und ohne Vorbehalt war, ist glaubhaft, dass Gott auch in meinem Leiden ist, wie klein und groß es auch sein mag
Natürlich, liebe Gemeinde, wussten auch die Alten schon, dass all diese Rede Metaphern sind, denn niemand hat Gott je gesehen und niemand kennt sich aus in der Ewigkeit. Aber dennoch war es sogar der revolutionären Reformation ungemein zentral, dass diese Sprache, Bilder und Metapher erhalten bleiben und weitergegeben werden. Natürlich würden wir heute so nicht mehr sprechen, wir möchten oftmals diesen Trost, den Kreuz und Auferstehung Jesu Christi begründet, viel moderner, flotter, verständlicher, leichter formulieren. Aber jede/r, die sich dieser Aufgabe unterzieht, spürt sehr bald, wie schwer das ist und wie leicht man in seichtes Wasser und flaches Gras geraten kann. Auch deswegen singe und höre ich sehr gern die alten Lieder, wie z.B. die Kantate zu Lied EG 67 oder auch das folgende Lied. Amen.
Leave a Reply
You must be logged in to post a comment.