Predigt · 9. Sonntag n. Trinitatis · 14. August 2022 · Pfarrer Michael Hufen
Matthäus 25, 14 – 30
Liebe Gemeinde
Heute haben wir eines der bekanntesten Gleichnisse aus der Bibel als Predigttext. Das Gleichnis von den anvertrauten Zentnern oder ganz so wie das entsprechende Wort im griechischen Text heißt: von den anvertrauten Talenten.
Und so, wie wahrscheinlich die meisten Menschen dieses Gleichnis verstehen, liegt es auch nah, es auch im Kontext der Taufe zu interpretieren. Josephine Amalie Ehrig, die wir gerade getauft haben, hat von Gott durch ihre Eltern und ihrer Familie jede Menge Talente, Eigenschaften und Fähigkeiten mitbekommen. Nun geht es im Leben also darum, diese Talente zu entdecken, zu fördern und weiterzuentwickeln. Ja diese Talente gewinnbringend einzusetzen.
Jeder Mensch hat Talente, der eine mehr, der andere weniger. Wer nun also versäumt diese Talente einzusetzen, der verfehlt eigentlich sein Leben, das ihm von Gott zugedachte Leben, das Leben, zu dem er oder sie durch die Eltern gut ausgestattet ist.
Ich muss gestehen, dass ich diese Interpretation auch lange für angemessen gehalten habe.
Nur, versteht sich das denn aber nicht von selbst? : Talente, die jemand hat zu fördern, weiterzuentwickeln und vielleicht sogar im günstigsten Fall mit und durch diese Talente sein Leben zu gestalten, sie vielleicht sogar zum Beruf zu machen?
Hat sich Jesus wirklich mit seinen Jüngern hingesetzt, um ihnen solche Allerweltsweisheiten mitzuteilen?
Der Umgang mit diesem Gleichnis erinnert mich ein bisschen an den Umgang mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten, die wir häufig auf Kalenderblättern finden.
Ein eindrückliches Beispiel ist da für mich das Zitat “Carpe diem“ – Nutze den Tag – ein auch in christlichen Kreisen gerne gewählter Wahlspruch, gegen den ja auch erst einmal nichts einzuwenden ist. Wenn man sich jedoch den gedanklichen Hintergrund anschaut, wird es schon schwieriger: Horaz, von dem dieser Spruch stammt, versteht „Nutze den Tag“ im Sinne des griechischen Philosophen Epikur vollständig hedonistisch, also auf die Befriedigung der aktuellen Bedürfnisse gerichtet, ohne auf den nächsten Tag zu schauen und vor allem, ohne jede Orientierung am Kommenden, ja an der Dimension der Ewigkeit. In die christliche Tradition hielt „Carpe diem“ in der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg Einzug und wurde zu einem der prägenden Motive der Dichtung des Barock und Rokoko – allerdings deutlich geprägt von der Kriegserfahrung, der Vergänglichkeit und eng verbunden mit dem Motiv des „Memento mori“ –„Bedenke, dass du sterben musst“ – deshalb: Nutze den Tag!
Für die Hörer Jesu war das Gleichnis von den anvertrauten Talenten alles andere als eine Allerweltsweisheit, es war nicht banal. Es war vielmehr ein Skandal, denn im Judentum der damaligen Zeit galt das Zinsverbot aus dem 2.Buch Mose!
Die beiden ersten Knechte, die ihr Geld verdoppelt haben, hatten nach jüdischen Maßstäben verbrecherischen Wucher betrieben. Statt von ihrem zurückgekehrten Herrn gelobt und befördert zu werden, hätten sie ins Loch geworfen werden müssen, wo Heulen und Zähneklappern herrschen. Nur der dritte Knecht, der in der Geschichte dumm dasteht, alles verliert und ins Loch kommt – nach jüdischem Recht hat er allein alles richtiggemacht. Er hat das ihm anvertraute Vermögen so verwahrt, dass er es am Ende auf Heller und Pfennig zurückgeben konnte. Ja, er hat sogar den Mut aufgebracht, seinem auf verbotenen Gewinn drängenden Herrn die Leviten zu lesen, wenn er sagt: „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast.“ Und ausgerechnet er, der alles richtiggemacht hat, wird in Grund und Boden verdammt.
Das Jesus in diesem Sinne gegen jüdische Gebote argumentiert und die Menschen zum gewinnorientierten Handeln motivieren will, kann ich mir kaum vorstellen.
Wenn wir uns erinnern: Jesus predigte vor allem vom Reich Gottes und er nahm damit die Hoffnungen und Sehnsüchte seiner Zuhörerinnen und Zuhörer auf. Die tiefe Sehnsucht, nach einer Welt, in der jeder einzelne Mensch gesehen wird und von Bedeutung ist, eine Welt in der Krieg, Leid und Not aufhören und die Menschen nicht vom Streben nach Profit und Macht getrieben, sich selbst vergessen, das friedliche Miteinander der Menschen zerstören und bereit sind um des eigenen Wahrheitsanspruch willen andere Menschen auszugrenzen, zu verurteilen und die kreative Vielfalt des Lebens der ideologischen Diktatur der Einfalt zu opfern.
In der jüdischen Tradition erwartete man den Anbruch des Reiches Gottes am Ende der vom Menschen so fürchterlich durcheinander gebrachten Welt, am Ende der Zeit. Jesus wollte aber, dass die Menschen begreifen, dass das Reich Gottes schon jetzt anbricht, nicht erst in der Zukunft.
Es ist uns schon jetzt nahe, ist in Ansätzen schon da und am Werk inmitten der ihm widersprechenden Wirklichkeit. Natürlich steht es quer zum gewohnten Leben, quer zu dem, was man für richtig und falsch hält, quer zum gesunden Menschenverstand. Wo Gottes Reich in dieser Welt aufleuchtet, da fällt es aus dem Rahmen und erscheint als verrückt.
Und ja, wir leben in dieser Welt und der Herr, Jesus ist schon länger nicht da, so wie der Mensch im Gleichnis, der außer Landes gegangen ist. Das Leben hier, jetzt in seiner Abwesenheit, wird von anderen Herren und Herrinnen bestimmt, von anderen Maximen und Überzeugungen. Doch wir brauchen und wir sollen nicht lethargisch darauf warten, dass sich etwas verändert. Denn Jesus hat uns ein besonders Talent anvertraut, das darauf wartet, immer wieder neu von uns eingesetzt zu werden und das sich dann – so ist die Zusage im Gleichnis – tatsächlich gewaltig vermehren wird.
Was das für ein Talent ist?
Das, was wir bei Jesus gelernt haben! : Die Hinwendung zu den Mühseligen und Beladenen, die sich nicht damit abfindet, dass die einen das Licht des Lebens genießen und die anderen im Schatten des Todes sitzen. Die einen im Überfluss schwimmen und die anderen in Hunger und Elend umkommen. Die einen vor Kraft und Gesundheit strotzen und die anderen durch Behinderungen und Krankheiten vom Leben abgeschnitten sind. Die einen als die Rechtschaffenen, Tüchtigen und Erfolgsmenschen Ansehen genießen und die anderen als arme Teufel und hoffnungslose Fälle abgetan werden. Gegen all das ist Jesus aufgetreten, weil es dem Willen Gottes, der Bestimmung des Menschen als seines Ebenbildes und der Grundordnung seines Reiches widerspricht.
Und seht, was draus geworden ist. Macht und Geld zerstören die Welt immer noch, aber: überall wird trotzdem versucht, diese Herrschaft unermüdlich und kreativ zu untergraben. Denn die Opfer sollen nicht allein gelassen werden. Nicht hier in unserem Land, in dem sich über Jahrhunderte im Geist der Nächstenliebe und Barmherzigkeit Jesu ein enges Netz aus diakonischen und sozialen Hilfsangeboten entwickelt hat. Und auch nicht in den anderen Teilen der Welt, die wir zwar gerne durch unsere europazentrierte Brille anschauen, deren Teil wir aber sind und wir immer wieder gerufen sind, Anteil am Schicksal der Menschen zu nehmen.
Behüte uns Gott davor, daß wir bei der der beständigen Nabelschau und dem Kreiseln um unsere eigenen Probleme die Welt draußen aus dem Blick verlieren!
Entscheidend für die Zukunft der Kirche ist, dass sie dabeibleibt: um des Reiches Gottes willen aus dem von Macht und Geld gesetzten Rahmen zu fallen, quer zu treiben und sich mit dem ganz eigenen Beitrag nicht zu verstecken.
Mit wachsender Ungeduld warte ich auf einen überzeugenden Beitrag der Kirchen zu Frieden und Entspannung in der Welt! Es scheint, als ob sich die Kirchen den Ruf zu Frieden und Versöhnung nicht mehr trauen. Weder im Bezug auf den Krieg in der Ukraine, noch zu all den anderen Kriegen, die teilweise schon seit Jahren die Menschen in den betroffenen Ländern in Not und Elend stürzen. Ich warte auf einen klaren und deutlich zu vernehmenden Beitrag zur sozialen Spaltung – hier in unserem Land, in Europa und der Welt, der darüber hinaus geht, sich nur als die gern gesehene Reparaturbrigade und als soziales Pflaster auf dem Gewissen der Gesellschaft zu verstehen.
Und ich hoffe und vertraue darauf, dass sich immer wieder und immer mehr Menschen an ihre Talente erinnern, daran, was wir von Jesus als Verheißung geschenkt bekommen haben und dass wir alle zusammen nicht aufhören, an der Veränderung dieser Welt zu arbeiten.
Denn wenn es besser werden soll, muss es anders werden!
Amen.
Und der Friede Gottes, der größer ist, als unsere menschliche Vernunft begreifen kann, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unserem Herrn
Diese Interpretation des Gleichnisses von den anvertrauten Talenten folgt einer Idee von Pfarrer i.R. Rudolf Rengstorf
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