Predigt · Invokavit · 6. März 2022 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz
2. Mose 16, 11 – 18
Klimafasten: Thema Verschwendung
Liebe Schwestern und Brüder,
mitten in Europa, in der Ukraine, ist ein Krieg ausgebrochen,
Städte und Dörfer werden bombadiert,
Menschen sind auf der Flucht, ein Atomkraftwerk ist getroffen,
Militärs drohen mit dem Einsatz von Atomwaffen
und wir wollen über´s Klimafasten reden?
Ja und noch mals Ja, denn das eine darf das andere nicht von der
Tagesordnung verdrängen.
Auch wenn sich alle Nachrichten zur Zeit nur auf den Konflikt um
die Ukraine konzentrieren,
ist die Bedrohung unserer Umwelt ja nicht aus der Welt –
im Gegenteil.
Im jüngsten Umweltbericht der Vereinten Nationen für das Jahr 2021
erkärt UN-Generalsekretär António Guterres,
„dass unser Krieg gegen die Natur den Planeten kaputt gemacht hat“.
Im Zentrum der Problemanalyse stehen kolossale Zahlen:
In den vergangenen 50 Jahren ist die Weltwirtschaft um das
Fünffache gewachsen, was vor allem auf einer Verdreifachung des
Abbaus von natürlichen Ressourcen beruht.
Die Weltbevölkerung hat sich auf 7,8 Milliarden Menschen
verdoppelt.
Aufgrund des Ausstoßes von Kohlendioxid befindet sich die Welt auf
dem Pfad Richtung drei Grad Erderwärmung bis zum Jahr 2100,
was katastrophale Folgen hätte.
Allein in den vergangenen zehn Jahren habe sich das
Abfallaufkommen pro Kopf verdoppelt. „Abholzung und
Überfischung gehen weiter, und eine Million Pflanzen- und Tierarten
sind vom Aussterben bedroht“.
Wir müssen uns diesem Thema weiterhin widmen.
Seit einigen Jahren gibt es die ökumenische Initiative zum
Klimafasten in der Passionszeit.
17 evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer sowie
MISEREOR und Brot für die Welt beteiligen sich in diesem Jahr
daran unter dem Thema: „So viel du brauchst….“
Auch in unserem Kirchenkreis gibt es an jedem Passionssonntag
einen Themengottesdienst zu dieser Aktion.
Heute ist der 1. Gottesdienst in unserer Kirche, der nächste ist am
kommenden Sonntag im Martin Luther Haus in der Pradelstraße.
In diesem Jahr geht es um die Lebensmittel und unseren Umgang
damit.
Wir wollen heute der Frage nachgehen, wie verschwenderisch wir
mit den Nahrungsmitteln umgehen, die wir von der Natur bekommen.
Der kleinen Broschüre zum Klimafasten entnehme ich:
„Jede:r von uns wirft pro Jahr durchschnittlich 75 Kilogramm
Lebensmittel weg. Das entspricht etwa zwei vollgepackten
Einkaufswagen, aufs ganze Land hochgerechnet einem gewaltigen
Berg von 6,1 Mio. Tonnen Lebensmittelabfällen.
Hinzu kommt, dass rund ein Drittel der Lebensmittel bereits
aussortiert wird, bevor sie je einen Laden erreichen. Rechnet man
Produktion, Verarbeitung, Handel und Außer-Haus-Verpflegung dazu,
sind es sogar 12 Mio. Tonnen! Das muss nicht sein.“
Liebe Schwestern und Brüder,
wir produzieren also weit mehr Lebensmittel als wir essen können
und werfen unglaublich viel in den Müll.
Das ist doch ein Skandal angesichts der Hungersnöte und
Elendsquartiere, die wir täglich in den Nachrichten sehen.
Schauen wir in die Lebensmittel- und Supermärkte, sehen wir gut
gefüllte Regale und Kühltruhen.
Schauen wir in unsere Vorratskammern und Kühlschränke, dann
werden wir festellen, dass auch sie in der Regel gut gefüllt sind.
Und dann achten sie einmal auf ihren Biomüll, wenn sie den denn
sammeln, wieviele Lebensmittel sie selber wegwerfen,
weil sie schlecht geworden sind, weil das Verfallsdatum abgelaufen
ist, oder weil es ihnen nicht schmeckt.
Wir Menschen neigen dazu, Vorräte zu sammeln und anzuhäufen,
das liegt in unserer Natur, weil wir so unsere Angst vor der Zukunft
und vor dem Mangel überwinden wollen.
Wir wollen nichts dem Zufall überlassen und sichern uns ab.
Könnte das aber auch eine der Ursachen für Habgier, Ungerechtigkeit
und Unfrieden auf unserer Welt sein?
Die Bibel weiss so einige Geschichten darüber zu erzählen.
so z. B. die Geschichte aus dem 2. Buch Mose aus dem 16. Kapitel,
als die Israeliten sich in der Wüste befanden und nach Brot und
Fleisch murrten:
Gott sprach zu Mose: »Ich habe das Murren der Gemeinde Israel
gehört. Sage ihnen: ›Gegen Abend bekommt ihr Fleisch zu essen, am
Morgen sollt ihr euch an Brot sättigen. Ihr sollt einsehen, dass Ich da
bin, eure Gottheit‹« Am Abend kamen Wachteln geflogen und
bedeckten das Lager; am nächsten Morgen schlug Tau sich rings um
den Zeltplatz nieder. Als der Tau verdunstete, blieb auf dem
Wüstensand etwas Feines, Flockiges, wie feiner Raureif, übrig. Die
Leute sahen es und riefen einander zu: »Was ist denn das?« Sie
kannten das Zeug nicht. Mose klärte sie auf: »Das ist das Brot,
das Er euch zur Nahrung gibt. Im Hinblick darauf
gilt Seine Anweisung: ›Sammelt, so viel ihr braucht, einen Krug pro
Kopf der Bevölkerung. Jede Zeltgemeinschaft soll sich versorgen.‹«
Die Israelitinnen und Israeliten taten das; die einen sammelten mehr,
die anderen weniger. Als sie alles Gesammelte maßen, da hatten die
Vielsammler keinen Überschuss und die Wenigsammler keinen
Mangel, sie hatten gerade so viel heimgebracht, wie jede Person
brauchte.
2. Mose 16, 11-18 (Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache)
Und Mose gibt noch eine weitere wichtige Anweisung: sie sollen
nichts aufheben für den nächsten Tag.
Natürlich halten sich nicht alle daran und stellen fest, das die
gesammelten Vorräte am nächsten Tag voller Würmer sind und
stinken.
Das Volk Israel wird angehalten, nur für den heutigen Tag zu
sammeln und nur so viel, wie sie essen können.
Und warum, fragen wir?
Natürlich, sagt da unser gesunder Menschenverstand,
lassen sich Lebensmittel in diesen Klimaverhältnissen nicht lange
lagern, sie verderben schnell.
Das ist die rationale Begründung,
die andere aber ist die theologische.
Das Gottesvolk soll sein Vertrauen und seine Sicherheit in die Hände
Gottes legen,
er wird dafür sorgen, dass sie genügend zu essen und zu trinken
haben.
So will er ihnen die Angst vor der Zukunft und die Angst vor dem
Verlust nehmen.
Wir hörten vorhin die Evangeliumslesung aus dem
Matthäusevangelium.
Da zeigt Jesus auf die Vögel und auf die Lilien und sagt, dass die Vögel nicht ihre Körner in Scheunen sammeln und dennoch fröhlich und satt ihr Liedchen singen
und die Lilien, obwohl sie keine Kleider nähen, viel schöner
gekleidet sind, als der König Salomo in all seiner Herrlichkeit.
Sorget nicht um euren Leib und um eure Kleidung, Gott wird dafür
sorgen, wenn ihr nach dem Reich Gottes und nach seiner
Gerechtigkeit trachtet, sagt Jesus,
und das heißt, wenn wir uns um die Gerechtigkeit Gottes hier auf
Erden kümmern, dann wird es auch gerecht zugehen und dann wird
jeder und jede das haben, was sie zum Leben braucht.
Das ist ganz schön naiv, sagen wir jetzt vielleicht,
ganz ohne Vorsorge und Absicherung geht es nicht,
das sehen wir doch jeden Tag.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich kann so nicht leben, sie können vielleicht auch so nicht leben,
wer kann das denn?
Ja, es gibt Menschen, die durchaus so leben wollen und können.
Immer wieder hat es in der Geschichte Männer und Frauen gegeben,
die aus sicheren bürgerlichen Verhältnissen ausgestiegen sind
und ein Leben in Freiheit und Vertrauen auf Gott gestaltet haben.
Der berühmteste Vertreter war wohl Franz von Assisi, der Gründer
des Bettelordens der Franziskaner.
Bis heute lebt dieser Orden von Männern und Frauen, die all ihren
Besitz abgeben, das Gemeinsame teilen und sich um die Armen und
Ausgegrenzten der Gesellschaft kümmern.
Das Franziskanerkloster in Pankow ist solch ein Ort der Fürsorge und
Nächstenliebe.
Es gibt aber darüberhinaus auch noch viele andere Möglichkeiten des
gemeinsamen Lebens in Wohnkommunen und Gemeinschaften, in
denen es keinen Privatbesitz und keine Anhäufung von Reichtum
gibt.
Immer mehr Menschen wird bewußt, dass wir einen anderen
Lebensstil und einen anderen Umgang mit der Natur brauchen, um
eine gemeinsame Zukunft zu haben,
und es gibt viele hoffnungsvolle Ansätze, das auch zu umzusetzten.
Diese Fastenaktion soll dazu anregen, stärker auf Essgewohnheiten
und den Umgang mit unseren Lebensmitteln zu achten,
genauer hinzuschauen, was wir kaufen, was wir wegwerfen, was wir
konsumieren.
Wir beten in jedem Gottesdienst das Vaterunser – manche beten es
jeden Tag –
achten sie einmal auf die 4. Bitte, da heisst es:
„Unser tägliches Brot gib uns heute…“
Hier beten wir für das, was wir heute brauchen –
nicht für morgen oder übermorgen.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich habe nicht die Kraft, aus allem auszusteigen und in einen
Bettelorden einzutreten,
ich habe aber meinen Verstand und die Fähigkeit,
darüber nachzudenken, was ich tun kann, um der
Lebensmittelverschwendung wenigstens in meiner Küche Einhalt zu
gebieten
und ich darf mich auch der Botschaft öffnen, dass Gott mir an der
Seite steht in guten wie in schlechten Tagen,
in Zeiten der Dürre auf dem Weg durch die Wüste
und in Zeiten der Freude, an einem reich gedeckten Tisch.
Ein Leben im Vertrauen auf Gott und im Gestalten seiner
Gerechtigkeit hier und heute macht die Welt gerechter und friedlicher
und so verlieren wir die Angst vor der Zukunft.
Das verleihe uns der allmächtige gnädige Gott, in Christus Jesus,
Amen.