Predigt · 2. Sonntag nach Epiphanias · 16. Januar 2022 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwtitz
2. Mose 33, 18 – 23
Liebe Schwestern, und Brüder,
heute ist der 2. Sonntag nach Epiphanias.
Epiphanias heißt auf deutsch: Erscheinung.
Das Fest Epiphanias gehört zu den ältesten Festen im Christentum
und wird am 6. Januar gefeiert, dem Tag der Heiligen drei Könige.
Gott ist der Welt als kleines Kind erschienenen.
Die heiligen drei Könige symbolisieren die Völker außerhalb Israels,
ihnen erscheint ein neuer Stern, der sie zur Krippe führt.
Sie bringen die Botsachaft vom Mensch gewordenen Gott in die
ganze Welt.
Gott erscheint der Welt als ein Mensch.
Das uralte Bedürfnis des Menschen, Gott zu sehen, anzufassen, zu
hören und zu spüren wird in diesem Kind Wirklichkeit.
Der Gott Israels ist ein unsichtbarer Gott, der in kein Bildnis, in keine
Statur, in keine Form gegossen werden darf.
Das Bilderverbot ist ein strenges, ein unbedingtes Verbot.
Aber das Bedürfnis des Menschen, sich ein Bild von Gott zu machen,
ist ebenso alt wie verständlich.
Wir hörten vorhin die Geschichte von Mose, wie er verlangt, die
Herrlichkeit Gottes zu schauen.
Für mich ist diese Erzählung eine der intensivsten Geschichten in der
Bibel.
Mose drängt und insistiert auf Gott, doch endlich mal sichtbar zu
werden.
Es ist so unendlich schwer, mit einem unsichtbaren Gott zu leben und
ein Volk zu führen.
„Woher soll ich denn den Weg wissen, den du uns führen willst, wenn
ich dich nicht sehe?
Wie kann ich das Volk führen, das doch immer nach dir fragt, dich
aber nicht sieht?“
So ringt Mose mit Gott.
Das Bedürfnis, Gott endlich mal zu sehen, folgt auf das wilde
Aufbegehren, als das Volk Israel um das goldene Kalb tanzt.
Das Gottesvolk wandert durch die Wüste und erreicht den Heiligen
Berg Sinai.
Mose ist lange, zu lange auf diesem Berg und das Volk meutert.
Sie fühlen sich verlassen von ihrem Führer und von Gott.
Weder Mose noch Gott sind zu sehen. Darum machen sie sich jetzt
selber wieder ihre Götter – allen voran das Goldene Kalb.
Und Mose ist bei diesem Anblick verzweifelt –
auf der einen Seite steht das Bilderverbot,
auf der anderen kann er das Volk verstehen
und er bittet Gott, doch wenigstens ihm zu erscheinen.
Und in diesem Ringen mit Gott ist mir Mose ganz nah.
Wir leben in einer Welt der Sinnlichkeit, der Bilder, Farben, Töne,
Gerüche und Berührungen.
Nur was ich sehe, ist wirklich. Und je größer, lauter und bunter sich
jemand darstellt, umso wirklicher ist er oder sie.
Die Flut von Bildern überschwemmt die Straßenbilder, die handys,
die Fernsehapparate.
Wahrgenommen werden heißt heute –
sehen und gesehen werden.
Mose möchte Gottes Herrlichkeit sehen.
Ein zutiefst menschliches Verlangen, wer möchte das nicht.
Wer bist du? Zeig dich mir, Wie siehst du aus?
Dahinter steckt immer auch die Frage nach dem Wesen,
nach der Identität.
Und dahinter steckt auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit.
Das ist natürlich und nachvollziehbar.
Mose will die Instanz prüfen, der er vertrauen soll.
Und Mose wird nicht zurückgewiesen mit seiner Sehnsucht.
Aber wie sein Verlangen gestillt wird,
das ist so ganz anders, als erwartet.
Der Mensch ist eben zu klein, zu schwach zu begrenzt, um die ganze
Schönheit Gottes zu ertragen.
Der Mensch würde schlicht und einfach tot umfallen,
wenn er Gottes Angesicht sehen würde.
Und Gott lässt sich auf die Begrenztheit des Mose ein,
ohne seine Größe zu schmälern.
Ich erkenne einen Gott, der sich nicht so klein macht, dass er in ein
menschliches Schema passt.
Und ich erkenne auch einen Gott, der zugleich auf menschliche
Bedürftigkeit eingeht, in Beziehung geht.
Ich erkenne einen Gott, der sich bestimmten Vorstellungen entzieht
und doch bezogen bleibt.
Er verweigert sich nicht, aber er beschämt Mose auch nicht
oder kränkt ihn, um ihm seine Größe zu zeigen.
Er nimmt dieses Begehren von Mose auf und verwandelt es.
Und was für ein Aufwand betreibt Gott, um Mose die Annäherung an
ihn zu ermöglichen!
Er gibt Mose Raum bei sich: „Siehe, es ist ein Raum bei mir,
da sollst du stehen.“
Er stellt ihn in eine Felsnische – dort steht man nämlich fest.
Er hält seine Hand über ihn.
Er lässt sich als Vorübergehenden wahrnehmen.
Und: er lässt sich im Nachhinein wahrnehmen.
„Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir
hersehen.“ – sagt er zu Mose.
Liebe Schwestern und Brüder,
vieles und Entscheidendes in unserem Leben erscheint uns in solch
einem Nachhinein.
Zum Beispiel, dass die mir so schwer gefallene Entscheidung richtig
war
oder dass ich doch den richtigen Beruf ergriffen habe
oder dass ich damals mit meiner Liebe auf den richtigen Menschen
getroffen bin
oder dass ich an einem bestimmten Punkt wahrhaftig etwas falsch
gemacht habe.
Und das wundersamste und geheimnisvollste Nachhinein besteht
wohl darin, wenn ich merke:
mein ganzes Leben steht und besteht in der Hand Gottes.
Und dieses Nachhinein kann dann meine Gegenwart heilsam
erschließen, so dass wieder Vertrauen wächst und Glaubwürdigkeit.
Mose konnte am Ende Gott vertrauen.
Gott hat seine Bedürftigkeit gesehen und ist ihm erschienen,
ohne dass er sich dabei aufgegeben hat.
Mose, der sehen wollte, hat das Glück erfahren, gesehen zu werden.
Seine Geschichte zeigt, dass es wohl weniger darauf ankommt, dass man sieht,
sondern dass wir gesehen werden.
Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht mit Mose:
Als der Gottesmann vom heiligen Berg mit den Steintafeln
herunterkommt, verhüllen sich alle Israeliten die Augen,
denn sie können das Strahlen, das von Mose ausgeht, nicht ertragen.
Daraufhin verhüllt Mose sein Angesicht mit einer Decke bis der
göttliche Glanz erloschen ist.
Liebe Schwestern und Brüder,
kein menschliches Auge hat das Angesicht Gottes bislang erblicken
können.
Unsere irdische Beschaffenheit stößt an ihre Grenzen der
Aufnahmefähigkeit.
Erst wenn wir durch den Tod von unserer materiellen Hülle befreit
werden, ist es uns möglich, Gott zu schauen.
Gott aber ist uns in unserer Begrenztheit entgegengekommen,
wir Christen glauben, dass er Mensch geworden ist,
dass er uns erschienen ist in Fleisch und Blut Jesu Christi.
Das ist ein eindeutiges Zeichen seiner Liebe zu uns Menschen
und zu dieser Welt.
Das ist ein Grund, Vertrauen in Gott zu haben und seinen Weisungen
zu folgen.
Ich möchte schließen mit dem 6. Vers aus dem Lied „Gott ist
gegenwärtig“, das wir vorhin gehört haben:
Du durchdringest alles; lass dein schönstes Lichte, Herr, berühren
mein Gesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der
Sonnen stille halten, lass mich so still und froh deine Strahlen fassen
und dich wirken lassen.
Amen.