Predigt · Heiligabend · 24. Dezember 2021 · 22:30 Uhr · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz
Lukas 2, 10; 11; 14
„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die
allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland
geboren, welcher ist Christus , der Herr, in der Stadt Davids…….“
Und die Menge der himmlischen Heerscharen lobten Gott und
sprachen:
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, den Menschen ein
Wohlgefallen.“
Liebe Schwestern und Brüder,
seit 2000 Jahren hören wir diese Botschaft der Engel an dem Tag der
Geburt Jesu Christi.
Unzählige Kinder haben in Krippenspielen diese Engels-Worte in
Kirchen und von Kanzeln verkündet,
wie das auch heute hier in dieser Kirche geschehen ist.
Jedes Jahr in der Weihnachtszeit singen wir voller Inbrunst den Vers
aus dem Lied „Oh du fröhliche“ :
„Welt ging verloren, Christ ist geboren, freue dich, o Christenheit“
Ich erinnere mich an die Weihnachtsfeste meiner Kindheit,
an denen ich in eiskalten Dorfkirchen im Kirchenchor,
den meine Mutter geleitet hat,
die Weihnachtslieder sang
und den Worten meines Vaters gelauscht habe.
Auch er verkündete von der Kanzel die Botschaft vom Frieden
und von der Rettung der Welt.
In den Kirchenbänken saß eine Gemeinde,
die gezeichnet war von der Mühsal der Alltagssorgen,
von Verlust und Krankheit,
von den immer noch quälenden Erinnerungen an den gerade
überstandenen Krieg.
Doch in den Augen der Bäuerinnen und Bauern war ein feierlicher
Glanz zu sehen
und über die eine und andere Wange floß eine warme Träne.
Und ich weiss, dass ich mich damals immer wieder gefragt habe,
was denn an dieser Botschaft dran ist.
Kriege wüten auf allen Erdteilen,
Krankheit, Leid, Schmerz und Tod gibt es nach wie vor,
Ungerechtigkeit, Arme und Reiche,
ungezügelter Konsum auf der einen
und markerschütternde Mangelerscheinungen auf der anderen Seite
prägen nach wie vor.das Bild dieser Erde.
Eine erlöste, eine gerettete Welt sieht doch wirklich anders aus.
Und seit damals treibt mich die Frage um:
Was ist das Geheimnis dieser Botschaft?
Wie konnte sie 2000 Jahre überleben
trotz aller Stürme, Katastrophen und Weltuntergangsstimmungen?
Warum wird sie jedes Jahrs auf´s neue erzählt,
von Generation zu Generation weiter gegegeben
mitten in eine Realität, die doch so ganz anders aussieht als erhofft
ohne auch nur ein Jota an ihr zu korrigieren oder zu verändern?
Liebe Schwestern und Brüder,
die Botschaft von der Rettung der Welt,
von Frieden und Gerechtigkeit ist sogar noch älter als 2000 Jahre,
wir finden sie schon in den Heiligen Schriften des Volkes Israel.
Vorhin haben wir solch einen Text aus dem Buch des Propheten
Jesaja ( Jes. 9,1-6)gehört.
Der Gott Israels offenbart sich in den Worten der Propheten,
in den Worten Jesu,
in den Worten seiner Jüngerinnen und Jünger
und in den Worten und Taten all derer, die sich ihm und seinem Plan
für diese Welt anvertrauen.
Und sein Plan für diese Welt ist: Frieden in Gerechtigkeit
und Erlösung von dem Bösen.
Wir Christen glauben, dass Gott in dem Menschen Jesus Christus
diesen Plan verwirklicht hat,
er ist Fleisch geworden, Realität geworden,
erfahrbar geworden für alle, die sehen und hören wollen.
Von nun an wissen wir, auf welcher Seite Gott steht.
Er ist nicht in der prunkvollen Wiege eines Königs gebettet –
nein, er ist im Stall in einer Futterkrippe zu finden.
Seine Mutter ist keine mächtige Herrscherin aus edlem Geschlecht –
nein, sie kommt aus ärmlichen Verhältnissen eines kleinen Dorfes.
Die Botschaft seiner Geburt wird nicht durch königliche Depeschen
von Thron zu Thron verkündet –
nein, die Gottesboten suchen die Hirten auf dem Felde heim,
das sind die wirklich Mittellosen und Benachteiligten in der
Gesellschaft.
Und ihre Botschaft lautet: Fürchtet euch nicht,
Gott steht auf eurer Seite, er will euer Schicksal wenden,
ihr dürft wieder aufrecht gehen,
niemand darf euch erniedrigen oder eure Würde verletzten,
denn Gott hat sich genauso arm, klein, verletzlich und wehrlos
gemacht wie ihr.
Liebe Schwestern und Brüder,
der Gott, an den wir glauben und den Jesus mit „Vater“ anspricht,
ist ein Gott der Befreiung.
Angefangen hat das mit der Befreiungs seines Volkes Israel
aus der ägyptischen Sklaverei.
Seitdem erleben Menschen, die sich ihm anvertrauen,
solche Befreiungserfahrungen im Großen wie im Kleinen.
Sie finden heraus aus Abhängigkeitsverhältnissen,
die krank machen und zerstörerisch sind,
sie finden ihr Selbstvertrauen und ihre Würde wieder.
Auch wenn das letzte – das große Erlösungsgeschehen noch aussteht,
wir wissen doch schon hier und jetzt,
welche Richtung Gott mit dieser Welt und mit uns vorhat.
Und das befähigt uns, zu entscheiden und zu handeln.
Frieden für diese Welt ist das Versprechen –
das heißt, niemand darf im Namen Gottes Töten, Terror oder Gewalt
ausüben.
Gerechtigkeit ist das Versprechen –
das heißt, niemand hat das Recht, auf Kosten anderer zu leben
und deren Lebensgrundlagen zu zerstören.
Barmherzigkeit und Versöhnung ist die Kompasnadel,
die uns durch den Dschungel dieser Welt führen soll.
Liebe Schwestern und Brüder,
die Bauern und Bäuerinnen,
damals in der Weihnachtskirche meiner Kindheit,
haben wahrscheinlich in all ihrer Unvollkommenheit und
Schwachheit
mehr verstanden von dieser Botschaft,
als so manch ein Gelehrter der Theologie.
Ich wünsche Ihnen und auch mir, dass das Geheimnis dieser
Weihnachtsbotschaft auch unsere Herzen berühren und erfreuen
möge.
Amen.