Predigt · 9. Sonntag nach Trinitatis · 1. August 2021 · Pfarrer Michael Hufen
Matthäus 7, 24 – 27
Liebe Gemeinde,
Im katholischen Gottesdienst hebt der Priester nach der Lesung des Evangeliums die Bibel über den Kopf und sagt „Wort des lebendigen Gottes“.
Eine symbolische Handlung, die jeder Mensch versteht.
Das Gelesene, in der Bibel Aufgeschriebene steht über uns, über unserem Wissen und Denken.
Und es ist nicht nur ein Text – 2000 Jahre alt, sondern hochaktuelle Rede des Gottes, der von sich selber am Dornbusch zu Mose sagte: Ich bin da – ich war da in der Geschichte meines Volkes, ich bin aktuell bei euch und ich werde immer bei den Menschen da sein.
Für viele Gläubige ist damit alles über die Autorität der Bibel gesagt.
Ein gelingendes – ein Gott wohlgefälliges Leben ist nur möglich, wenn ich nach dem Wort der Bibel lebe und handle.
Nur wie geht das? Kann ich mit allen Texten der Bibel etwas anfangen, kann ich sie alle verstehen, kann ich sie alle glauben?
Und: ist das Eindeutig? gibt es im Verstehen der Bibel und damit im christlichen Leben nur eine Wahrheit?
Schon bei Luther – und der ist in seiner Wertschätzung für die Bibel und in seinem Ringen um das rechte Verstehen unverdächtig – findet sich ein abschätziger Satz über den Jakobusbrief: Eine stroherne Epistel. Und für das Lesen und Verstehen der Bibel empfiehlt er, „dunkle“ Stellen- also schwer verständliche – durch die Hinzuziehung “hellerer“ – also schon bekannterer und verständigerer – zu interpretieren.
Der heutige Predigttext fordert unser Denken wohl mehr heraus, als im ersten Moment zu vermuten ist.
LESEN
Liebe Gemeinde,
in den vergangenen Wochen haben die Bilder aus den Hochwassergebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz die Nachrichten bestimmt. Schreckliche Zerstörungen von Häusern und Infrastruktur, Menschen die ihren Besitz unter Bergen von Schlamm davonschwimmen sahen, deren Lebenswerk innerhalb weniger Stunden zerstört wurde und ja – nicht zuletzt: weit über 100 Menschen haben in den Fluten der sonst beschaulich dahinplätschernden Bäche und Flüsschen ihre Leben verloren.
Hat das etwas mit Fundamenten zu tun?
Haben Menschen über Jahrzehnte auf unsicheren Fundamenten auf- und weitergebaut? Sind dabei etwa Fehler gemacht worden?
Oder ist es tatsächlich so, dass die wichtigste Frage ist, ob man die richtige Versicherung abgeschlossen hat. Ist es so, dass die Frage nach den Ursachen dieser Flut, mit dem Klimawandel zu beantworten ist – zugegeben: kurz vor der Bundestagswahl eine wahlentscheidende Festsetzung.
Und wo ist jetzt die Herausforderung des Denkens?
Ich würde sagen im konkreten Fall geht es nicht nur um die Reduktion von CO2. Es geht auch im Antworten auf Fragen nach Begradigungen von Flüssen, Bebauung von Flussauen und Überflutungsflächen, nach der Sehnsucht das eigene Haus natürlich in der 1.Reihe mit Blick aufs Wasser zu bauen. Es geht um die Ausbeutung der Natur zum eigenen Vorteil, um die Unterwerfung der Natur unter unsere Verwertungs- und Profitinteressen.
Ja, es geht auch ums Klima – aber da sind die Adressaten meiner Forderungen Regierungen und große Konzerne, dabei geht es doch eigentlich um mich, um mein Verhalten, um meine Wahrheiten, mein Fundament.
Wie kann ich prüfen, ob mein/ob ein Fundament trägt?
Ich muss es tatsächlich auf den Prüfstand stellen. Nachfragen und hinterfragen und meine Entscheidungen eben nicht nur darauf abklopfen, ob ich mit meiner Meinung Widerstand zu befürchten habe, ob sie mir Anerkennung bringt, ja, ob ich nicht mit den falschen Leuten einer Meinung bin.
Wie hilft uns die Bibel nun dabei?
Jesus war Zimmermann. Er wusste wie man ein Haus baut und vor allem, wo man es nicht hinbaut. Gerade in Israel, wo der Boden in großer Trockenheit völlig austrocknen kann und dann von plötzlichem, heftigen Regen überfluten und weggeschwemmt wird, ist die Wahl des Bauplatzes, die Festigkeit des Fundaments schon immer wichtig.
Wer diese Grundregel nicht beachtet, steht irgendwann ohne Haus da, ein Fundament hat er ja nie gehabt.
Nun ist Jesus nicht als Architekturprofessor oder Meister in der Zimmermannsausbildung durch Israel gewandert, sondern als der, von dem die Bibel als Gottes Sohn, sein Erlöser, als Lehrer und Freund der Menschen berichtet. Seine Botschaft ist sozusagen die Bau- und Reparaturanleitung für unser Leben.
Die zu Hören, zu Lesen, zu verstehen, fällt uns Menschen aber alle anderes als leicht. Immer wieder und immer noch.
Die Botschaft Jesu ist eben nicht nur die dauernde Bestätigung, die Legitimation dessen, was wir sowieso tun und immer schon wollten.
Sie ist unbequem und tröstend, herausfordernd und hoffnungsstiftend, sie verwickelt uns in Widersprüche und ja, wir stellen (hoffentlich) immer wieder fest, dass sie uns auch widerspricht, dass wir sie nicht nur im Gedanken der überreichen Liebe Gottes zu uns Menschen – FÜR UNS – lesen können, sondern, dass wir sie auch oft gegen uns lesen müssten.
Jesu Botschaft fordert uns heraus, sie widerspricht unserer Hoffnungslosigkeit und unserer Bosheit – zugleich ist sie aber auch wie eine gute Lehrerin, die uns dahin führt, wo wir noch nicht sind. Wie eine gute Lehrerin will sie uns, unsere Herzen und unseren Sinn bilden.
Bildung ist die dauernde Auseinandersetzung mit all dem Wissen, das wir meinen, schon zu haben, mit unseren vermeintlichen Sicherheiten und alternativlosen Wegen – diese Bildung ist die Arbeit, unserer eigenen Dumpfheit zu entkommen und tatsächlich ins Gespräch über unser Leben einzutreten und nicht immer nur in Selbstzitaten zu sprechen.
Die Botschaft Jesu auch mal gegen sich zu hören und zu lesen, heißt die Perspektive Wechseln.
Oder glauben wir wirklich, dass das Evangelium in allen Ländern, zu allen Zeiten und für alle Menschen gleich klingt? Das sie für Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten gleich klingt?
Eine Gruppe von Menschen liest gerne über Frieden und Versöhnung, findet den Gedanken „Gott sieht das Herz an“ grandios und investiert in ihre Herzensbildung, sucht in der Kirche den Ort zur Meditation und Ruhe als Unterbrechung ihres geschäftigen Alltags – eine andere Gruppe liest das Evangelium der Armen, liest, dass Gott die Armen liebt, die Rechtlosen, die vom Leben Gebeutelten. Wie gerne würden auch die dem Hohelied der Liebe bei Paulus im Korintherbrief zustimmen, das zu Frieden und Duldsamkeit mahnt. Aber die Bitterkeit angesichts sozialer Ungerechtigkeiten bleibt. Wie soll ich nicht das Meine suchen, wenn das Geld vorne und hinten nicht reicht, wie soll man denn nicht bitter werden, wenn das Bekenntnis zur Gleichheit aller Menschen nur in Sonntagsreden vorkommt. Sie können nicht alles glauben, ertragen und dulden.
Etwas zugespitzt, könnte man sagen: das sind zwei verschiedene Lesarten desselben Evangeliums: „Lesen, was mir dient“ und „Lesen, was ich brauche“.
Könnte es sein, dass das Evangelium nicht nur vereint, sondern auch trennt?
Könnte es sein, dass das Evangelium diesen mit den immer benutzten Vokabeln „Versöhnung“, „Gerechtigkeit“, „Teilhabe“ zusammengehaltenen „faulen Frieden“ nicht will.
Könnte es sein, dass das Evangelium uns nicht nur zur Ökumene mit den Glaubensgeschwistern anderer Konfessionen ruft, sondern zur wirklichen Überbrückung des konfessionellen Grabens zwischen Arm und Reich, zwischen Opfern und Täter, zwischen Schlägern und Geschlagenen?
Das Verblüffende ist: die Botschaft Jesu ist für alle diese Menschen da!
Sie liefert uns aber kein Patentrezept und keine Argumente im Sinne von „Du sollst“ oder „Du musst“ – Jesus eröffnet Möglichkeiten, er gibt uns Optionen, zu denen er uns verlocken will.
Es ist an uns, dieses Verlockende, das Charmante, die Schönheit dieser Botschaft zu erkennen. Zu erkennen, dass es uns aus Gottes Gnade heraus möglich ist, ein tragfähiges Fundament für unser Lebenshaus zu finden. Nicht „Du musst“ oder „Du sollst“, sondern es ist schön und tut gut.
Und es tut anderen gut, wenn sie eine christliche Gemeinde als den Ort erleben, wo im und aus Glauben gezeigt wird, was man liebt.
Da? Glauben an Jesus tatsächlich ein Fundament, ein charmantes und menschenwürdiges Konzept für das Leben ist.
Amen