Predigt · Judika · 25. März 2012 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
Mose 21, 4 – 9
Rundfunkgottesdienst
Der Friede Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die
Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Liebe Hörerinnen und Hörer am Radio, liebe Schwestern und Brüder,
heute am 5. Sonntag in der Passionszeit kommt der Predigttext aus
dem Alten Testament, dem 4. Buch Mose aus dem 21. Kapitel.
„Da brachen die Israeliten auf von dem Berge Hor in Richtung auf das
Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk
wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider
Mose. Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in
der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier und uns ekelt vor
dieser mageren Speise. Da sandte der Herr feurige Schlangen unter
das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen
sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den
Herrn und wider dich geredet haben. Bitte den Herrn, dass er die
Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der
Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer
Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da
machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf . Und
wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an
und blieb leben.“
Was für eine merkwürdige Geschichte.
Haben wir nicht immer wieder aus den Geschichten des alten Israel
gehört, wie die Propheten gegen die Verehrung von Götzenbildern zu
Felde gezogen sind und die Anbetung des einen und einzigen Gottes
eingeklagt haben?
Und nun soll Mose selbst ein Kultsymbol in Form einer ehernen
Schlange anfertigen, das dann beim Anschauen Heilungskräfte
ausstrahlt.
Schauen wir uns die Geschichte einmal näher an.
Das Volk Israel zieht nun schon seit etlichen Jahren durch die Wüste.
Hinter sich die Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten,
die wunderbare Errettung aus vielen Gefahren und die Übergabe der
10 Gebote am Sinai.
Vor sich – aber offenbar immer noch in weiter Ferne –
das gelobte Land, von Gott versprochen seit alters her –
das Ziel aller Wünsche und Sehnsüchte.
Um sie herum aber nichts als Wüste,
Trockenheit und Hitze am Tag,
Kälte und Gefahren in der Nacht
und das ewige Einerlei der spärlichen Nahrung.
Da wurde ihnen der Atem kurz – heisst es im Hebräischen –
und sie murrten gegen Gott und Mose.
Hast du uns aus Ägypten geführt, damit wir hier in der Wüste
sterben?“
Die Nerven liegen blank, die Geduld ist am Ende.
Sie suchen einen Schuldigen, an dem sie ihren Zorn und Enttäuschung
abladen können.
Sie murrten gegen Gott – Zuerst ist immer Gott der Schuldige –
Und gegen Mose – dann ist sein Beauftragter dran.
Der Jubel und die Freudentränen über die geglückte Befreiung aus der
bedrückenden Enge des Sklavenhauses in Ägypten sind längst
erstickt.
Stattdessen rauben die Mühen und Qualen der Wüstenwanderung die
letzten Reserven.
Die Widerstandskräfte gegen die Gefahren der Wüste lassen nach.
Das ist die Stunde der Schlangen.
Erbarmungslos greifen sie an.
Die Schwäche, den Zweifel und die Zerrissenheit ausnutzend,
versprühen sie ihr Gift und es wirkt tödlich.
Liebe Schwestern und Brüder,
uralte archaische Weisheiten und Mythen scheinen uns in dieser
Geschichte entgegen.
Die Schlange galt in den altorientalischen Kulturen als eines der
klügsten Tiere.
So wird sie uns in der Paradiesgeschichte geschildert,
so kennt sie auch Jesus, wenn er sagt: seid klug wie die Schlangen und
sanft, wie die Tauben.
Mit ihrem Gift, das, je nach Dosierung, Heilung oder Krankheit
bedeutet, steht sie an der Schwelle zum Leben oder zum Tod.
Mit der Fähigkeit, ihre Haut ständig zu erneuern, wird sie zum
Symbol der ewigen Wiederkehr und Erneuerung.
Außerdem verkörpert sie das Symbol der Fruchtbarkeit, und ihre enge
Verbundenheit mit der Frau wird erkennbar an den vielen
altorientalischen Göttinnen, die mit Schlangen abgebildet wurden.
Auch ihre Freundschaft mit der paradiesischen Eva deutet auf das
Wissen solcher Mythen hin.
Im Alten Israel wird den Schlangen ebenfalls eine besondere
Bedeutung zugemessen.
Wir finden sie im höchsten Thronsaal Gottes, wo sie als Seraphim –
als schlangenähnliche Engelswesen mit Flügeln, bei der Berufung des
Propheten Jesaja anwesend sind.
Bis heute verkörpert die Schlange an dem Äskulapstab der Mediziner
das Symbol der Heilung.
Auch in unserer Geschichte bewirkt die Schlange beides: Tod oder
Leben.
Aber weil auch sie ein Geschöpf Gottes ist und sich seinem Willen
beugen muss, greift sie nicht eigenmächtig an, sondern wird von Gott
geschickt.
Und das Volk Israel weiß, dass hier nur einer helfen kann – Gott
allein.
Mose übernimmt wieder einmal die Vermittlerrolle zwischen Gott und
seinem Volk Israel.
Und er bekommt den Auftrag, eine eherne Schlange zu bauen.
Wer gebissen wird soll sie anschauen und er wird leben.
Liebe Schwestern und Brüder,
nach einem Biss mit tödlicher Wirkung sich der Schlange
zuzuwenden und ihr ins Gesicht zu schauen,
erfordert weiß Gott eine große Portion an Mut und Kraft.
Auch wir brauchen diesen Mut, genau hinzuschauen, wenn wir uns
bei unseren eigenen Wüstenwanderungen verlaufen haben.
So manch einer von uns kennt solche Wüstenerfahrungen.
Wenn uns der Atem ausgeht,
wenn alle unsere Reserven aufgebraucht sind,
wir dünnhäutig und verletzlich geworden sind –
dann greifen die Schlangen an.
Und dann haben wir keine Widerstandskraft mehr gegen das Gift,
unser Immunsystem ist zusammen gebrochen
und der Tod ist uns gefährlich nahe getreten.
Wenn uns dann auch noch die Kraft zum Beten abhanden gekommen
ist, brauchen wir jemanden, der für uns betet.
Was für ein Geschenk, wenn dann jemand bei uns ist, der uns in seine
Fürbitte aufnimmt.
Und wenn der oder diejenige dann auch noch weiß, was zu tun ist,
können wir uns glücklich preisen.
Mose weiß, was zu tun ist.
Er fordert sein Volk auf, sich nicht auf der Erde zu krümmen und zu
jammern, sondern aufzuschauen.
Schaut in das Zentrum der Gefahr, macht euch nichts vor, redet es
nicht schön, verdrängt es nicht, stellt euch mutig dem Schicksal, das
in euer Leben eingebrochen ist und nehmt es an als ein Teil, der von
nun an zu eurem Leben gehört.
Schaut dem Tod ins Gesicht, er gehört zu unserem Leben.
Wenn dann der Glaube wieder gefunden wird, dass alles, was
geschieht, in der Gegenwart Gottes geschieht, verliert das Gift seine
tödliche Wirkung, denn auch die Angst vor dem Tod verliert sich in
dem Vertrauen auf die niemals endende Liebe Gottes zu uns
Menschen.
Liebe Schwestern und Brüder,
eine Frau sagte einmal zu mir: Wenn es mir schlecht geht, schaue ich
auf das Kreuz und dann geht es mir wieder besser.
Das Kreuz – ursprünglich ist es das Todessymbol, ein
Folterwerkzeug, an dem Verbrecher furchtbar zu Tode gequält
wurden.
Dieses Schicksal hat Jesus auch geteilt,
Gott hat ihn nicht davor bewahrt.
Aber er hat ihn nicht alleine gelassen, er ist mit seinem Sohn durch
das Kreuz, durch die Folter, durch den Tod hindurch gegangen.
Was der Welt als das Ende erschien war ein neuer Anfang.
Liebe Schwestern und Brüder,
die Geschichte mit der ehernen Schlange geht im Alten Testament
noch weiter
Viele Generationen später, als das Volk Israel sesshaft wurde
und in Jerusalem einen Tempel gebaut hatte,
stand die eherne Schlange des Mose in dem Gotteshaus und viele
Menschen kamen, um sie zu verehren.
Der König Hiskia aber räumt das Gotteshaus auf und reinigt es von
allem Unrat.
Auch die Schlange landet auf dem Müllhaufen.
Aus dem Symbol der Heilkraft ist ein Fetisch, ein Götzenbild
geworden.
Schauen wir auf unsere Symbole, sehen wir sie genau an und messen
sie an ihrer ursprünglichen Heilkraft.
Die viel beschworenen Werte unserer westlichen Welt wie Freiheit,
Wachstum, Demokratie – dienen sie noch dem Wohl aller Menschen
in unserer Gesellschaft oder sind sie zu leeren Götzenbildern
geworden, die ihre ursprüngliche Heilkraft verloren haben?
Schauen wir unser Symbol das Kreuz an.
Ist es geschrumpft zu einem niedlichen Schmuckelement an einer
Goldkette?
Oder hat es sich aufgebläht zu einem bedrohlichen Macht- und
Spaltungssymbol gegen den Rest der Welt?
Schauen wir genau hin, um die Heilkraft dieses Symbols wieder zu
erfahren.,
Was die Welt als Todessymbol eingerichtete hat,
hat Gott zum Symbol des Lebens verwandelt.
Von nun an gibt es keine Gottverlassenheit mehr,
kein Verstoßen-, kein Verlorensein –
Liebe Schwestern und Brüder,
ich wünsche uns allen, dass uns Gott diesen Mut zum genauen
Hinschauen gibt,
dass er uns klare und offene Augen schenkt für das, was um uns
herum und in uns geschieht, dass wir uns nicht davor fürchten, das
Übel zu erkennen und zu benennen.
und dass er uns auch die Kraft gibt, unsere eigenen Anteile an den
Verirrungen dieser Welt und unseres Lebens zu begreifen.
Gebe er uns Menschen an die Seite, die für uns und für die Welt
beten, und dass auch wir fähig werden, für andere zu beten.
Wenn dann die Schlangen dennoch in einem schwachen Moment
angreifen, dann dürfen wir darauf vertrauen, dass auch sie sich dem
Willen Gottes beugen müssen.
So hat es das Volk Israel erfahren,
so hat es Jesus erfahren,
so werden auch wir es erfahren
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist alle menschliche Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen