Predigt · 3. Sonntag nach Trinitatis · 16. Juni 2013 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
Lukas 19, 1 – 10
Abschluss Taufseminar
Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen,
was verloren ist.“
Liebe Schwestern und Brüder, so hörten wir es zu Beginn unseres
Gottesdienstes.
Es ist der Wochenspruch, der über dieser Woche steht und er kommt
aus einer Geschichte, die wohl den meisten von uns bekannt ist.
Es ist die Geschichte von dem Obersten der Zöllner „Zachäus“,
der in Jericho die Kunde erfährt, dass Jesus durch den Ort kommen
soll.
Diese Geschichte kommt aus dem Lukasevangelium aus dem 19.
Kapitel:
Luk. 19, 1-10 ………………..
Kennen sie auch das Gefühl, dass Sie verloren gegangen sind?
Dass sie sich verloren haben?
Liebe Schwestern und Brüder, hier ist es Zachäus, von dem Jesus
sagt, dass er verloren gegangen
und wieder gefunden wurde.
Von Zachäus wird erzählt, dass er der Oberste der Zöllner war
und sehr reich war.
Nun muss man wissen, dass die Zöllner in Israel zur Zeit Jesu
mit zu der verhasstesten Berufsgruppe gehörte.
Sie waren die Vollstrecker der römischen Besatzungsmacht, die der
Bevölkerung die Zölle aus dem Leib pressten und darüber hinaus
noch reichlich in die eigene Tasche steckten.
Der Reichtum war, wie das ja häufig der Fall ist, mit Betrug und auf
Kosten der Armen angehäuft worden.
Deshalb wurden die Zöllner oftmals im gleichen Atemzug mit den
Sündern genannt.
Unrechtmäßig angehäufter Reichtum wurde als sündhaftes Verhalten
gekennzeichnet.
Die Folge davon waren Isolation und Vereinsamung.
Das wird auch unser Oberzöllner Zachäus so erfahren haben.
Er hatte zwar ein beachtliches Vermögen angehäuft,
und in einer bestimmten Gesellschaftsschicht wird er wohl auch
Anerkennung und Autorität erreicht haben,
aber da gab es wohl auch den einen oder anderen Moment,
in dem er eine innere Stimme gehört hat,
die ihn daran erinnerte, was er alles verloren hat
an Freunden, an Glücksmomenten, an Zufriedenheit und
Geborgenheit.
Und als Jesus in seine Stadt kommt, zieht es Zachäus zu ihm.
Was wird es gewesen sein?
Neugierde, Abenteuerlust, Sehnsucht, Verzweiflung?
Nein, er bekommt keinen VIP-Platz auf der Tribüne,
um den Einzug von einer gesicherten Stelle aus zu beobachten.
Das Volk, das sich hier versammelt, gehört wohl nicht zu den
Kreisen, in denen er sich gewöhnlicher weise bewegt,
in dem man ihn mit Respekt begegnet.
Es ist das gewöhnliche Volk, das sich auf die Straße drängt und mit Sehnsucht den Messias erwartet,
der Israel aus den Fängen der Besatzungsmacht erlösen
und endlich für Recht und Gerechtigkeit sogen soll.
Hier hat der Oberzöllner Zachäus keine Chance,
hier gelten seine Rangabzeichen und seine Kontostände gar nichts.
Niemand lässt ihn durch, er muss auf einen Baum steigen, um Jesus
zu sehen.
Und da passiert es: Jesus schaut ihn an und ruft ihn beim Namen.
„Zachäus steig eilend herunter, denn ich muss heute in deinem Haus
einkehren.“
Die Eile und Dringlichkeit, mit der Jesus ihn anspricht, fällt auf.
Er stellt keine Vorbedingungen,
er fragt nicht nach dem Zustand des Hauses, ob es überhaupt in der
Lage ist, ihn zu beherbergen
oder was seine Familie dazu sagt.
Er gibt auch Zachäus keine Gelegenheit zu langen Überlegungen
oder Absprachen und Entscheidungshilfen mit anderen,
Zachäus muss sich in diesem einen Moment entscheiden
und ist nun ganz auf sich selbst zurückgeworfen,
Und da dringt etwas durch
durch alle seine vielen Hüllen und Schalen, die er sich im Laufe
seines Lebens umgelegt hat
und berührt einen Kern tief in seinem Inneren,
von dem er gedacht hat, dass er ihn doch längst verloren hat.
und da wagt er es:
alle Sicherheitsgurte löst er auf,
alle Seile, die ihm vorher lebensnotwendig erschienen,
lässt er los
und in einem Gefühl von schrecklicher Angst
aber wohl auch überwältigender Freiheit
fällt er wie eine reife Frucht vom Baum
genau vor die Füße Jesu.
Das war wohl der mutigste und folgenreichste Sprung seines Lebens.
Er ist nicht ins Leere gefallen, Jesus hat ihn aufgefangen.
Doch die Anhänger Jesu und das Volk murren: Bei einem Sünder ist
er eingekehrt.
Nein, das kann Zachäus nicht zulassen,
er stellt sich schützend vor Jesus und erklärt in aller Öffentlichkeit,
dass er die Hälfte seines Besitzes den Armen geben wird
und wen er betrogen hat, dem gibt er es vierfach zurück.
Nicht seine Haut will er retten, sondern die Ehre Jesu will er
schützen.
Aller Welt will er zeigen, dass er würdig ist, Jesus in seinem Haus zu
beherbergen.
Denn er hat in diesem Moment sein Haus gereinigt von allem Unrat.
Er hatte sich verloren – ist nun aber wieder gefunden worden.
„Heute ist diesem Hause Heil widerfahren“
Liebe Schwestern und Brüder, vier erwachsene Menschen und ein
Kind haben wir heute getauft.
Eure Entscheidung, diesen Schritt zu tun, war wohl nicht so
dramatisch und übereilt wie bei Zachäus.
Ein halbes Jahr haben wir uns getroffen und uns mit der jüdisch-christlichen Religion intensiv beschäftigt.
Wir sind in die Texte des Alten und Neuen Testamentes eingestiegen
und haben sie nach der Bedeutung für uns heute und jetzt geprüft.
Nicht alle haben diesen Kurs mit der Taufe abgeschlossen,
aber alle waren sich der Aktualität dieser uralten Texte bewusst.
Und in all diesen Geschichten sind wir immer wieder auf diesen Kern
gestoßen,
den Gott in einem jeden Menschen eingepflanzt hat,
der uns mit Gott verbindet und unsere Gotteskindschaft ausmacht –
unseren göttlichen Kern.
Die Kinder sind sich wohl dieses Kerns noch bewusst –
deshalb sagt ja auch Jesus, das wir werden sollen wie die Kinder, um
das Reich Gottes um uns zu spüren.
Im Laufe des Erwachsenwerdens aber verlieren wir wohl den Zugang
zu diesem göttlichen Kern.
Wir suchen ihn aber ständig, weil wir ihn brauchen,
weil er uns Halt und Geborgenheit, Sinn und Erfüllung verspricht.
Doch wir suchen ihn oftmals an den falschen Orten –
in Anerkennung und Erfolg, in Geld und Sicherheit, in Machtintrigen
und Ausgrenzungsmechanismen.
Und je mehr wir uns anstrengen, unseren Platz zu finden und zu
verteidigen, umso mehr verlieren wir uns.
„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen,
was verloren ist.“ –
Wenn wir es zulassen, von Gott angeschaut zu werden, dann werden
wir uns auch wieder finden.
Wenn wir seine Stimme hören und sie in unser Innerstes einlassen,
dann kommt unser göttlicher Kern wieder zum Klingen.
Und diese Stimme kann in dem Zuspruch oder dem guten Rat eines
Freundes oder einer Freundin sein,
sie kann in dem Erleben eines Musikstückes in uns dringen,
sie kann im Blick eines Kindes uns treffen.
Diese göttliche Stimme und der göttliche Blick ist allgegenwärtig,
wir müssen uns ihm nur öffnen.
In der Taufe bekennen wir öffentlich, dass wir uns als Kinder Gottes
verstehen, dass wir Gott als Vater oder Mutter anreden dürfen.
Achten wir darauf, dass wir das nicht verlieren –
aber auch wenn es mal geschieht, und wir uns verloren haben,
dann ist es tröstlich zu wissen, dass es da einen gibt,
der uns sucht und uns finden will.
Amen.