Predigt · Gründonnerstag · 28. März 2013 · Wolfgang Niemeyer
2.Mose 12, 1. 3 – 4. 6 – 7. 11 – 14
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Liebe Gemeinde,
wir stehen vor dem Karfreitag. Viele von uns erinnern sich vielleicht noch, dass unsere Eltern
oder Großeltern diesen Feiertag noch als den höchsten im Kirchenjahr angesehen haben, weil
vor etwa 2000 Jahren die Grundlage unseres christlichen Glaubens gelegt wurde: der
Erlösungstod Jesu am Kreuz, für sein Volk – und für die ganze Welt. – Damit jeder, der an ihn
glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe, so heißt es im
Johannesevangelium. Dabei wurde oft vergessen, dass der Tod Jesu damals genau vor dem
Passahfest in Jerusalem passierte. Und es wurde und wird oft vergessen, dass bis heute in der
Karwoche unsere jüdischen Mitbürger das Passahfest feiern. Es ist ebenfalls einer ihrer
höchsten Feiertage.
Beim Passahfest gedenken Juden heute genauso wie vor etwa dreieinhalb Tausend Jahren
jedes Jahr sieben Tage lang des Auszugs aus Ägypten und damit der spektakulären Befreiung
des Volkes Israel – unter der Führung des Mose – aus der Sklaverei und harter Fronarbeit in
diesem Land. Bei der Feier fragt traditionell das jüngste Kind einer jüdischen Familie:
„Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?“ Der Vater erzählt dann die
Auszugsgeschichte, die unser heutiger Predigttext ist.
Er steht im 12. Kapitel des 2. Buches Mose, das griechisch auch „Exodus“ heißt, „Auszug“.
Alle 40 Kapitel dieses einen Buches des Alten Testamentes stehen also unter diesem Titel und
in dem Zusammenhang des „Auszugs“. Es beginnt mit der Geschichte des Mose, der von Gott
berufen wird mit den Worten: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, und ihr
Schreien über ihre Antreiber habe ich gehört, ich kenne seine Schmerzen. So bin ich
herabgestiegen, um es aus der Hand Ägyptens zu erretten (…) und nun geh, ich sende dich
zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, heraus aus Ägypten“. (2 Mose 3, 7–9).
Wie sollte das geschehen? Dazu lese ich unseren Predigttext:
1 Der HERR aber sprach zu Mose und Aaron in Ägyptenland: 3 Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am zehnten Tage dieses Monats nehme jeder Hausvater ein Lamm, je ein Lamm für ein Haus. 4 Wenn aber in einem Hause für ein Lamm zu wenige sind, so nehme er’s mit seinem Nachbarn, der seinem Hause am nächsten wohnt, bis es so viele sind, dass sie das
Lamm aufessen können. 6 und sollt es verwahren bis zum vierzehnten Tag des Monats. Da soll es die ganze Gemeinde Israel schlachten gegen Abend.
7 Und sie sollen von seinem Blut nehmen und beide Pfosten an der Tür und die obere Schwelle damit bestreichen an den Häusern, in denen sie’s essen, 11 So sollt ihr’s aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es essen als die, die hinwegeilen; es ist des HERRN Passah. 12 Denn ich will in derselben Nacht durch Ägyptenland gehen und alle Erstgeburt schlagen in
Ägyptenland unter Mensch und Vieh und will Strafgericht halten über alle Götter der Ägypter, ich, der HERR. 13 Dann aber soll das Blut euer Zeichen sein an den Häusern, in denen ihr seid: Wo ich das Blut sehe, will ich an euch vorübergehen und die Plage soll euch nicht widerfahren, die das Verderben bringt, wenn ich Ägyptenland schlage. 14 Ihr sollt diesen Tag als Gedenktag haben und sollt ihn feiern als ein Fest für den HERRN, ihr und alle eure Nachkommen, als ewige Ordnung.
Liebe Gemeinde,
was zunächst wie die Vorbereitung zu einem Festmahl aussieht, soll am Ende eine Art
„Fastfood“-Essen werden, ein eiliges Essen zwischen Tür und Angel, in Aufbruchsstimmung.
Da soll ein Lamm in das Haus einer jeden Familie geholt werden, es soll dann noch vier Tage
in der Familie verwahrt – und dann geschlachtet werden – wie zu einem Festmahl. Doch es
wird kein gemütliches, fröhliches Festmahl, denn draußen vor der Tür tobt zur gleichen Zeit
das Verderben. Alle Erstgeborenen der ägyptischen Familien und der Tiere werden in dieser
Nacht durch einen Todesengel, wie es heißt, umgebracht.
Wie kann das sein, habe ich mich gefragt? Die einen sollen gerettet werden, aber warum
müssen dann die anderen sterben?
Unser Predigttext spricht da von „Strafgericht“ Gottes für die Ägypter. Wahrscheinlich
müssen wir uns das so denken, dass Gott auch ein Gott dieser Art von Gerechtigkeit ist. Denn
40 Jahre vorher hatte der ägyptische Pharao alle Söhne des Volkes Israel umbringen lassen,
weil, wie es am Anfang des Buches Exodus heißt, der Pharao befürchtete, „dass das Volk der
Söhne Israel zahlreicher und stärker ist als wir.“ (Ex 1,8f) „Lasst uns klug vorgehen“, so
sagte er, „damit es sich nicht noch weiter vermehrt.“ Das war die Politik des Pharao, der dann
alle neugeborenen Söhne Israels umbringen ließ. Nur Mose konnte, wie wir die Geschichte
kennen, gerettet werden.
Dieser Mose wurde nun also von Gott berufen, beim Strafgericht über die Ägypter das eigene
Volk zu schützen und den Menschen in der gleichen Schreckensnacht bei der Flucht aus dem
Land zu helfen. Jetzt handelte Gott. Indem er anordnete, dass mit dem Blut der geschlachteten
Lämmer die Türpfosten und die Oberschwelle bestrichen werden sollten als
Erkennungszeichen für das israelitische Haus. So wurde es ein Zeichen der
VERSCHONUNG.
In den Häusern der Bewahrung wurde zur gleichen Zeit das Lamm gegessen, und zwar so,
dass nichts übrig bleiben sollte. Dazu sollte man sich gegebenenfalls auch mit den Nachbarn
zusammentun. Denn in dieser Nacht sollte noch die Flucht, die große Befreiungstat Gottes aus
der Sklaverei geschehen. Dazu musste man sozusagen gestiefelt und gespornt essen, und jede
Stunde bereit sein zum Aufbruch. Es sollte eine Flucht ohne Rückkehr sein, deshalb sollten
keine Fleischreste übrig bleiben. Das war die Geburtsstunde des jüdischen Passahfestes.
„Verschonendes Vorübergehen“, das ist die Bedeutung des Wortes „Passah“, das mit
zeitlichen Unterbrechungen bis heute in den jüdischen Familien gefeiert wird. Geschlachtet
wurde früher im Tempel, es musste ein Lamm sein. Das Fest wurde dann in kleinen
Gemeinschaften in den Häusern Jerusalems abgehalten.
So wird es auch von Jesus und seinen Jüngern berichtet: Am Abend vor seiner
Gefangennahme schickte Jesus zwei der Jünger in die Stadt, um einen Raum für das Fest und
das Passahlamm vorzubereiten. Während dieses letzten gemeinsamen Mahls kündigte Jesus
seinen bevorstehenden Tod an, aber nicht nur das, sondern er bat seine Jünger mit den uns
allen bekannten Abendmahlsworten darum, im Teilen von Brot und Wein sich künftig immer
wieder an seinen Tod zu erinnern, bis er wiederkommt in Herrlichkeit. So berichten es die
Evangelisten. Deshalb ist der Abend vor dem Karfreitag, dem Gedenktag des Todes Jesu, der
Abend zur Erinnerung an das letzte Gemeinschaftsmahl Jesu mit seinen Jüngern geworden.
Was hat der Tod Jesu aber mit der Befreiungsgeschichte des Volkes Israel aus der Sklaverei zu tun?
Für Jesus war es an dem Abend ja kein Passahmahl vor einer Befreiung. Im Gegenteil, er
wurde anschließend gefangen genommen und zum Tod verurteilt.
Aber wir können neben diesem Anknüpfungspunkt des Passahmahls noch etwas erkennen.
Jesus wurde von Johannes dem Täufer, von Petrus und dem Evangelisten Johannes und sogar
noch viel später in der Offenbarung des Johannes als das Lamm Gottes bezeichnet, das, im
Bild gesprochen, für die Sünden der Menschen geschlachtet wurde. Das besingen wir auch als
glaubende Gemeinde in all den Passionsliedern.
Liebe Gemeinde,
ich denke, und da sind sich die meisten Theologen seit Jahrhunderten einig, die
Gemeinsamkeit dieser Geschichten liegt in der Bedeutung des Blutvergießens als Zeichen der
Verschonung vor Gottes Gerechtigkeit. Jesus erwirkte für uns die Gerechtigkeit, die vor Gott
gilt und verschont uns damit vor dem Strafgericht Gottes, das in den Evangelien beschrieben
wird. Zugleich schenkte er uns damit den Neuanfang zu einem befreiten Leben, gestärkt durch
den Heiligen Geist. Und das Lämmerblut an den Türen der israelitischen Häuser war das
Zeichen der Verschonung für die Familien des Volkes und durch diese mit Blut bestrichenen
Türen mussten alle hindurch – in die Nacht der Befreiung.
Diese Befreiungstat Gottes war die Voraussetzung für die Schaffung der 10 Gebote. Gott
erinnerte sein Volk daran, als er sagte: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus der Sklaverei
Ägyptens befreit hat, du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Und durch Mose und
seinen Bruder Aaron schärfte Gott seinem Volk ein, wie unser Predigttext sagt, diese
Befreiungs- und Rettungstat Gottes, die ihn von allen anderen Göttern unterschied, niemals zu
vergessen, sondern sich immer wieder daran zu erinnern, dass diese Befreiungstat mit
Blutvergießen zu tun hatte.
Was bedeutet das? Im dritten Buch Mose wird es uns mitgeteilt: „Denn im Blut ist das Leben“.
Liebe Gemeinde, am Ende steht also das Leben. Das ist das Geheimnis Gottes, dass das
Leben eines jeden Menschen, eines jeden Tieres, durch den Blutfluss erst möglich ist.
Auch bei Jesus musste Blut fließen. Er sagte in dieser Nacht: „Dieser Kelch ist der neue Bund
in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Damit wurde uns,
liebe Schwestern und Brüder, der Weg zu Gott frei gemacht und uns die Möglichkeit eines
neuen Lebens mit Gott geschenkt. Daran dürfen wir gleich bei der Feier des Heiligen
Abendmahls denken, einerseits traurig über den Tod Jesu, andererseits froh über die Freiheit
und neue Lebensmöglichkeit, die er uns damit schenkte. Also traurig-froh. Denn wir wissen, Jesus blieb nicht im Grab, er ist durch Tod und Auferstehung hindurchgegangen und hat uns
den Weg in seiner Nachfolge ermöglicht. Lasst uns deshalb auch daran erinnert sein, dass es
wie bei dem Volk Israel kein bequemer Weg sein muss, sondern auch ein beschwerlicher sein
kann. Und wenn wir jetzt das Mahl gemeinsam nehmen, dann lasst uns daran denken, dass es
wie bei dem Volk Israel uns Stärkung und Wegzehrung ist, auch für schwere Tage.
Amen