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Predigt · Septuagesimae · 16. Februar 2014 · Pfarrerin Ruth Misselwitz

Posted on Feb 23, 2014 in Predigten

Römer 9, 14 – 24

Liebe Schwestern und Brüder,
hat der Mensch nun einen freien Willen und kann er sein Leben
selber bestimmen,
d.h. muss er von daher auch Verantwortung über sein Leben
übernehmen


oder ist alles, was mit uns und auf dieser Erde geschieht
vorherbestimmt,
also im Buch des Lebens von Gott vor aller Zeit schon festgelegt?


Diese Frage beschäftigt nicht nur den Apostel Paulus,
sie beschäftigt seit alters her die Menschen in der Antike bis auf den
heutigen Tag.


Da gab es die Meinung der Stoiker in der Antike, dass das ganze
Universum in Harmonie miteinander verflochten ist.


Das Dunkle und das Helle ergänzen sich gegenseitig,
ja sie sind sogar aufeinander angewiesen,
weil bekanntlich aus den Gegensätzen sich neue Energie entwickelt
und so die Entwicklung vorangetrieben wird.


Diese Harmonie wird von einem Gott hergestellt, so die Stoiker,
indem er jedem Ding und jedem Lebewesen seine Aufgabe zuweist
und sie so in wechselseitiger Beziehung miteinander verbunden sind.


Die große Aufgabe des Lebens ist es nun,
diese seine Bestimmung zu erkennen und ihr gerecht zu werden,


ohne dabei – im Falle von Erfolg – überheblich und stolz zu werden
oder bei Niederlagen und Schicksalsschlägen –
in tiefe Verzweiflung zu geraten.


Nicht das einzelne kleine Schicksal ist bedeutend,
sondern das Große und Ganze –
die Harmonie des Universums und dessen Erhalt.


Diese Idee ist vielleicht – abstrakt gedacht – faszinierend und
überzeugend –
im Blick aber auf ein einzelnes kleines Schicksal wirft sie viele
Fragen auf.


Was ist mit den Menschen, die von Krankheit, Leid und anderen
Qualen beschwert sind,
mit den Kindern, die viel zu früh sterben,
mit den Menschen, die unter Armut und Hunger,
Ausgrenzung und Diskriminierung leiden?


Was ist mit den Menschen, die mit körperlichen und geistigen
Behinderungen auf die Welt kommen,
mit all denen, die den Schritt von der Schattenseite auf die Lichtseite
des Lebens einfach nicht schaffen?


Und was ist mit denen, die sich frech über andere erheben,
ihren Reichtum ohne schlechtes Gewissen genießen und vermehren ,


die bedenkenlos auf Kosten anderer und der Natur leben
und scheinbar überall und immer auf der Gewinnerseite stehen?


Ist das nicht ungerecht?


„Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig und wessen ich mich
erbarme, dessen erbarme ich mich“ –
so zitiert Paulus einen Text aus der Heiligen Schrift.

Es ist die Antwort, die Gott auf Moses Verlangen gibt,
ihn von Angesicht zu Angesicht sehen zu wollen.


Nein, das kann Mose nicht,
denn wenn ein Mensch das Antlitz Gottes sehen würde,
er würde auf der Stelle sterben.


Der göttliche Glanz ist so stark, dass kein menschliches Auge es
aushalten würde.


Liebe Schwestern und Brüder,
es gibt also kein Gespräch zwischen Gott und Mensch in Augenhöhe.


Jedenfalls nicht solange, wie wir in dieser begrenzten irdischen Hülle
stecken, die uns von der göttlichen Welt trennt.


Unsere Hoffnung ist die Auferstehung von den Toten,
wenn wir durch das Tor des Todes hindurchgehen
und befreit werden von den Grenzen, die uns Raum und Zeit stecken
um dann in der neuen Existenz von Angesicht zu Angesicht
vor Gott stehen werden.


Aber so lange wir hier auf dieser Erde wandeln
ist und bleibt uns vieles ein Geheimnis,
auf dessen Fragen wir keine eindeutigen und klaren Antworten
bekommen.


Der entscheidende Punkt, um den es Paulus hier geht,
ist das Grundvertrauen in Gott.


„Ist denn Gott ungerecht? – Das sei ferne!“ – sagt Paulus.


„So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen,
sondern an Gottes Erbarmen“ – fügt er hinzu.


Uns Menschen ist alles aus Gnade gegeben worden–
ohn´ all unser Verdienst und Würdigkeit – sagt Martin Luther


und weist so auf das Verhältnis zwischen Gott und Mensch hin,
in dem wir uns vor Gott nichts erarbeiten können,
sondern nur im Glauben alles geschenkt bekommen.


Solch ein Gottesverhältnis vermittelt Geborgenheit in allen
Lebenslagen,
solch ein Gottesverhältnis bewahrt in schweren Schicksalsschlägen
vor der Angst und der Verzweiflung, von Gott verlassen worden zu
sein.


Solch ein Gottvertrauen verzweifelt weder an Gott noch an der Welt,
wenn es scheinbar nirgends mehr einen Ausweg gibt.


Solch ein Gottvertrauen darf aber auch mit Gott und der Welt hadern
und ringen,
weil es die Erfahrung gemacht hat, dass Gott das aushält.


Liebe Schwestern und Brüder,
sicherlich haben sie auch schon in ihrem Leben die Erfahrung
gemacht, sich verirrt zu haben,
in dunklen und einsamen Räumen eingesperrt worden zu sein
oder sich dahin verkrochen zu haben,


liebe Menschen verloren zu haben
und schwere Zerwürfnisse erleiden zu müssen.


Nicht selten erleben wir nach solchen Erfahrungen aber auch eine
Erweiterung unseres Blickfeldes,
ein mehr Verstehen um menschliche Prozesse,
ein Zuwachs an Barmherzigkeit und Demut.

Die Wege, die Gott uns schickt, sind uns oftmals undurchsichtig und
unerklärlich –
bleiben wir aber bei ihm,
halten wir uns an ihm fest,
dann gehen wir nicht verloren.


„Dazu hat uns Gott berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch
aus den Heiden.“ – sagt Paulus.


Zu diesem Glauben hat Gott uns berufen.


Ein paar Zeilen nach dem Text, schreibt er,
dass der Glaube aus der Predigt kommt, das Predigen aber durch das
Wort Christi.


Ja, sie alle, die sie hier versammelt sind, hat Gott berufen,
zu hören und zu glauben.


Ich möchte schließen mit einem Gebet, dass mir in schwierigen
Zeiten immer wieder geholfen hat und das vielleicht der eine oder die
andere auch kennt.


Es kommt aus der Feder des amerikanischen Theologen, Philosophen
und Politikwissenschaftlers Reinhold Niebuhr,
der das Gebet während des 2. Weltkrieges verfasst hat.


Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht
ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Amen