Predigt · 2. Sonntag nach Trinitatis · 29. Mai 2016 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
1,Johannes 4, 16b – 21
Gott ist die Liebe – liebe Schwestern und Brüder, das klingt so
gewichtig, wie auch banal.
Liebe, was ist das?
Was heißt das „Gott lieben“?
Was heißt „meinen Nächsten lieben.“?
Als wir im Bibelkreis darüber sprachen, sind wir auch genau über
diese Fragen gestolpert.
Wie soll ich die Menschen um mich herum lieben?
Da gibt es viel zu viele, die ich lieber von ferne sehe und deren Nähe
ich meide.
Da gibt es viel zu viel, die ich gar nicht kenne, die mir zufällig über
den Weg laufen und die ich ganz schnell wieder aus meinem
Blickfeld verliere.
Da gibt es manch einen, der mich zu tiefst verletzt hat und zu dem ich
den Kontakt abgebrochen habe.
Da gibt es mach eine, die ich gerne wiedersehen würde, aber die sich
mir entzogen hat.
Wie soll das also gehen mit der Liebe?
Was ist denn überhaupt mit dieser Liebe gemeint?
„Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott.“
So schreibt der Verfasser des 1. Johannesbriefes.
Ähnlich wie im Johannesevangelium wird in diesem Brief Gott mit
der Liebe gleichgesetzt.
Wir haben in der Bibel viele Namen für Gott – ein häufig benutzter
Name ist „Liebe“
Wir können für das Wort „Liebe“ auch das Wort „Beziehung“
verwenden.
„Die haben eine Beziehung miteinander“ oder „die haben ein
Verhältnis miteinander“ – so sagt man ja auch, wenn sich zwei
Menschen gefunden haben.
Am Anfang der Bibel wird erzählt, wie Gott Himmel und Erde und
alles was darauf existiert, einschließlich der Tiere und Menschen,
geschaffen hat.
Am Ende eines jeden Tages schaut er sich das Geschaffene an und
stellt fest, dass es gut ist.
Nachdem er das letzte Werk vollbracht hat – den Menschen – heißt
es: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war
sehr gut“
Gott stellt sich in Beziehung zu all dem Geschöpften, es gefällt ihm,
er hat Freude daran,
er steht in einer positiven bejahenden Beziehungen zu seiner
Schöpfung – er liebt sie.
Die Liebe, liebe Schwestern und Brüder,
ist der Ursprung und Grund allen Lebens im unendlichen Kosmos –
wie auf dieser unserer kleinen Erde.
Wenn es diese Liebe, dieses grundsätzliche Ja zu allem Geschöpften,
wenn es dieses ordnende Prinzip, das Chaos und Vernichtung abwehrt im kleinsten Mikrokosmos wie im unendlichen Universum,
wenn es dieses Prinzip der Bejahung nicht geben würde,
ich würde behaupten – unsere Erde mit samt dem Universum würde
es nicht mehr geben oder würde es überhaupt nie gegeben haben.
Gott ist die Liebe – es ist die Bejahung des Lebens, der Schutz und
die Vorsehung alles Geschöpften.
Gott ist die Liebe – das ist das grundsätzliche Ja zu jedem einzelnen
Menschen hier in dieser Kirche wie darüber hinaus auf der ganzen
Erde.
Gott setzt sich in Beziehung – das heißt – er nimmt Anteil an dem
Schicksal seiner Schöpfung,
insbesondere an dem Schicksal seiner Menschenkinder.
Er freut sich mit ihnen, er leidet mit ihnen, er hofft und ängstigt sich
mit ihnen, er ist zornig und ungeduldig über sie,
er ist barmherzig und gnädig mit ihnen – er liebt sie.
Die Liebe umfasst eine große Bandbreite von Gefühlen und
Empfindungen, die durch alle Höhen und Tiefen führen kann –
von innigster Zuneigung bis hin zu Zorn und Empörung –
wir kennen da eine Menge Geschichten aus der Bibel über Gott und
den Menschen.
Eines aber kennt die Liebe nicht: Gleichgültigkeit.
Die Gleichgültigkeit ist die Trennung der Beziehung,
das Ende der Liebe.
„Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“
so hören wir es.
Solange ich die Beziehung zu Gott nicht aufkündige, solange befinde
ich mich in der Liebe.
Gottes Ja zu mir ist seit meiner Geburt gesprochen,
in der Taufe haben wir dies öffentlich verkündet und gefeiert,
Gott zieht sein Ja nicht zurück.
Aber wir stehen immer wieder in Gefahr, diese Beziehung
aufzukündigen,
wenn wir dunkle Täler durchschreiten, wenn uns Krankheit oder Tod
den Lebensmut nehmen,
wenn wir uns von Gott verlassen fühlen.
Auch Jesus machte diese dunkle Erfahrung, als er am Kreuz schrie:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Aber Gott verlässt uns nicht – noch nicht einmal der Tod kann diese
Beziehung beenden.
Es gibt aber auch andere Gründe, aus dieser Beziehung heraus zu
gehen.
Wir hörten vorhin die Lesung aus dem 5.Buch Mose: das shema
israel.. Höre Israel,
das Glaubensbekenntnis der Juden: „Höre Israel, der Herr ist unser
Gott, der Herr allein.
Und du sollst den Herrn liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer
Seele und mit all deiner Kraft.“
Das Gebot, Gott zu lieben, richtet den Blick von meiner kleinen
Existenz weg hin zu dem allumfassenden ewigen Gott.
Nicht um mich dreht sich die Erde und das ganze Universum,
sondern um Gott.
Nicht mir muss sich alles zu Füßen legen, sondern der Dank und die
Ehre gelten Gott.
Nicht ich muss egoistisch und unbarmherzig allein um mein Wohl
sorgen, sondern ich kann mein Schicksal vertrauensvoll in die Hände
Gottes geben.
Aber, liebe Schwestern und Brüder,
es gibt einen menschlichen Trieb – die Bibel nennt das Sünde –
sich aus dieser Beziehung zu Gott heraus zu stehlen,
sich der Verantwortung vor Gott zu entziehen
und sich selbst oder andere Götter anzubeten.
Und wenn ich mich aus dieser Beziehung entferne,
dann entferne ich mich auch aus der Beziehung zu meinem Nächsten.
Dann tritt das Ende der Liebe ein – die Gleichgültigkeit.
Dann berührt mich das Elend der Vertriebenen, der Hungernden, der
Gefangenen, der Flüchtlinge nicht mehr.
Dann berührt mich das Seufzen der Kreatur nicht mehr –
die Massentierhaltung, die Verpestung der Luft, des Wassers und des
Bodens.
Dann mache ich mich unberührbar, teilnahmslos.
Ein gläubiger Mensch aber sieht sich in der Gemeinschaft aller
Menschenkinder und als Teil der gesamten Schöpfung,
Deshalb fügt Jesus dieser Gottesliebe die Nächstenliebe an im
Doppelgebot der Liebe:
„Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und mit all deiner Kraft
und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Ich weiß, dass ich geliebt bin, dass ich ein gewolltes ein bejahtes
Geschöpf Gottes bin.
Ich weiß aber auch um meine Abgründe, um meine
Unberechenbarkeit,
ich weiß um meine Unfähigkeit zu lieben –
doch trotz alledem weiß ich durch Jesus Christus, dass ich geliebt
bin, dass ich angenommen bin, dass ich wertgeschätzt bin.
Und das macht es mir möglich, den anderen auch so anzunehmen,
wie er ist, mit all seinen Stärken und seinen Schwächen –
ein grundsätzliches Ja zu ihm sagen zu können,
auch bei allen Schwierigkeiten, die ich möglicherweise mit ihm habe.
„Und dies Gebot haben wir von Gott, dass, wer Gott liebt, auch
seinen Bruder und seine Schwester liebe.“
Und das bedeutet, dass solche Werte wie Barmherzigkeit,
Anteilnahme und Dankbarkeit wieder an Raum gewinnen können.
Das Staunen über die Schönheit dieser Erde,
das Entdecken von neuen Kulturen, Religionen und Beziehungen, in
denen diese Liebe gelebt wird,
die Freude über das Leben an sich – das eröffnet einen ganz neuen
Lebensraum – das macht heil.
Das ist Auferstehung mitten im Alltag,
das ist ein Blick in das Himmelreich, in dem wir dann gänzlich
geheilt werden von aller Angst, Selbstbezogenheit und Lieblosigkeit.
Liebe Schwestern und Brüder, Gott als die Liebe so zu begreifen, das
eröffnet wirklich einen neuen Blick auf das Leben.
Möge der Heilige Geist uns durchdringen, dass wir Zeugen seiner
Liebe werden können mitten in dieser Welt. Amen.