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Predigt · 18. Sonntag nach Trinitatis · 23. Oktober 2011 · Pfarrerin Ruth Misselwitz

Posted on Okt 30, 2011 in Predigten

Markus 10, 17 -27

Liebe Schwestern und Brüder,
in der vergangenen Woche wurde in den Tagesthemen im Fernsehen
über die Proteste in Griechenland berichtet.
Dabei wurde ein junges Ehepaar interviewt, die beide Lehrer waren.
Sie erzählten, dass sie vor den Sparprogrammen 1500 € bekamen,
nach dem 1. Sparprogramm wurden sie auf 1200 € gekürzt,
nach dem letzten auf 1000 €.


Kleidung für sie oder ihren Mann muss erst mal gestrichen werden,
erzählte die Frau, nur für die Kinder könne das nötigste gekauft
werden, wenn sie aus den Sachen herausgewachsen sind,
Lebensmittel werden nur die billigsten im Supermarkt gekauft.
Schwere Depressionen hätte sie bekommen
und nun würde ihnen wohl nichts anderes mehr übrig bleiben, als aus
Griechenland auszuwandern.


Darauf folgte die Nachricht, dass in Griechenland mehre 100
Millionen € Steuergelder von den Reichen im Lande ausstehen
würden,
weil zu wenig Beamte eingestellt wären, die z.T. auch noch
bestechlich sind
und ein großer Teil des Vermögens der Wohlhabenden im Ausland
geparkt ist, um sie vor dem Zugriff des Staates zu schützen.


Liebe Schwestern und Brüder,
da bekam ich wirklich eine richtige Wut über diese Reichen,
und ich fragte mich, wie man so gewissenlos, so verantwortungslos
und so egoistisch leben kann.


Was macht das Geld aus uns Menschen?
Was macht der Reichtum aus uns?


Die alten Märchen erzählen uns von Menschen, die Gold und
Edelsteine um sich raffen und deren Herz sich mehr und mehr in einen
Stein verwandelt.


Geht Reichtum unweigerlich einher mit Raffgier, Egoismus und
sozialer Kälte?


Macht Reichtum den Menschen unfähig zum Mitgefühl, Mitleid und
Verantwortungsbewusstsein für das Wohl der Gesellschaft?


Liebe Schwestern und Brüder,
die Geschichte von dem reichen Jüngling verursacht nicht nur bei uns
Empörung und Missmut, auch die Jünger sind von der Radikalität
Jesu geschockt.


Da hat dieser junge Mann doch wirklich gezeigt,
dass er sich Mühe gibt, auf den rechten Weg zu kommen
und das Reich Gottes zu ererben,
da gibt er an, alle Gebote immer eingehalten zu haben und stets ein
frommer Mann gewesen zu sein.


Und anstatt diesen Mann in die Gemeinschaft aufzunehmen –
schließlich kann diese Jesusbewegung auch Geld gebrauchen,
von anderen wohlhabenden Frauen, die mit ihrer Habe Jesus
unterstützen, wird ja auch erzählt,
stattdessen verprellt Jesus diesen Mann, indem er verlangt, dass er alle
seine Habe verkauft und an die Armen verteilt.
Das ist doch nun wirklich eine zu viel hohe Hürde, die er doch
niemals überspringen kann.

Wenn wir das mit unseren Mitgliedern tun würden,
ich säße hier allein in der Kirche
und noch nicht einmal ich dürfte die Schwelle dieser Kirche
übertreten, geschweige denn auf dieser Kanzel predigen,
denn ich habe auch nicht all mein Hab und Gut verkauft und an die
Armen verteilt.


Liebe Schwestern und Brüder, ich denke, was Jesus hier anspricht,
ist in seiner Ernsthaftigkeit und in seiner Tiefgründigkeit nicht zu
unterschätzen.


Es ist die Frage nach der Beziehung des Menschen zu Gott.
In dem Evangelium hörten wir vorhin, dass das höchste Gebot das
Doppelgebot der Liebe ist:
Du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen
und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.


Die Liebe zu Gott soll alles andere übertreffen –
die Liebe zu deinem Besitz, zu deiner Familie, zu deiner Arbeit und
und und ..


Die Liebe zu Gott soll so stark sein, dass sie dich von all deinen
Ängsten befreit –
der Angst zu verlieren, der Angst nicht zu genügen, der Angst zu
wenig zu haben, der Angst zu scheitern,


Die Liebe zu Gott soll so stark sein,
dass du dich als ein vollwertiges und geliebtes Geschöpf erfährst,
ohne, dass du etwas leisten oder haben musst


und so wirst du fähig, deinen Nächsten zu lieben,
genauso, wie du dich selbst dann auch lieben und annehmen kannst.


Ein Leben ohne Angst vor Verlust, das ist das höchste, was ein
Mensch erreichen kann.


Nicht, dass ihm dann alles wertlos und nichtig erscheint –
nein- mit diesem Bewusstsein wird alles als ein Geschenk erfahren –
das Leben –die Familie – der Besitz.


Das alles ist nicht mehr das, was mir rechtmäßig zusteht,
was ich mir erworben, erarbeitet, erleistet habe –


das alles ist dann Geschenk,
das ich eigentlich nicht verdient habe,
worüber ich aber glücklich und dankbar sein darf,
was mir aber auch morgen schon wieder genommen werden kann.


Und dann werde ich fähig zur Empathie – zum Mitgefühl mit meinem
Nächsten.
Dann ist es mir nämlich nicht egal, ob und wie viel um mich herum in
Armut und Elend stürzen,
dann ist es mir nicht egal, dass der Besitz mit brutaler Gewalt und
diktatorischer Unterdrückung verteidigt wird.


Liebe Schwestern und Brüder, wir verfolgen derzeit die
atemberaubenden Ereignisse eines zivilen Aufbegehrens gegen
Diktatur und Korruption nicht nur in der arabischen Welt, sondern
weltweit.
Bei den zum Teil sehr blutigen Gewaltausbrüchen in Nordafrika mit
unzähligen Todesopfern muss ich immer an unsere gewaltlose
Revolution im Osten Europas denken,
die so wenig wie gar keine Todesopfer zu beklagen hatte.

Und ich frage mich dabei immer wieder,
warum haben die damaligen Eliten ihre Macht nicht mit Gewalt
verteidigt,
warum haben sie nicht brutal zugeschlagen?
Die Mittel dazu hätten sie gehabt.


Da gibt es ganz bestimmt sehr viele unterschiedliche Gründe,
die Öffnung der Sowjetunion zu Glasnost unter Führung von
Gorbatschow,
der ökonomische Niedergang des Ostens,
das entschiedene Eintreten der Kirche für Gewaltlosigkeit und
Demokratie


ein Grund aber scheint mir der Reichtum zu sein – das heisst- der
fehlende Reichtum
Die Machteliten im Ostblock verfügten bei weitem nicht über diese
immensen Reichtümer,
wie die Ölpotentaten in Nordafrika,
die nicht nur ihre Macht, sondern auch ihren unvorstellbaren
Reichtum zu verlieren haben.
Über das Einkommen eines Generalsekretärs der KPDSU damals
würde heute ein russischer Oligarch eher milde lächeln.


Und so sehen wir – Reichtum – egoistisch und verantwortungslos
gehandhabt – ist auch gefährlich –
gefährlich für den sozialen Frieden in einer Gesellschaft,
gefährlich für die Demokratie,
gefährlich für die Wahrung der Menschenrechte,
gefährlich für den Frieden auf dieser Welt
und nicht zuletzt gefährlich für die eigene Seele.


Liebe Schwestern und Brüder,
mit der schroffen Haltung dem reichen Mann gegenüber
macht Jesus deutlich, wie ernst die Lage ist,
wie ernst es um unsere Welt steht.


„Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht,
als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“


Wer kann dann selig werden? Fragen sich entsetzt die Jünger.


Würde diese Geschichte damit enden, es wäre zum Verzweifeln.


Aber Jesus erweitert den Blick über unseren kurzen und
kleingläubigen Verstand:


„Bei den Menschen ist´s unmöglich, aber nicht bei Gott“
Amen.