//

Predigt · Septuagesimae · 15. 2. 2025  · Ruth Misselwitz

Posted on Feb. 17, 2025 in Predigten

Liebe Schwestern und Brüder,

als ich den Text im Buch des Predigers las, dachte ich: Nein, über den willst du nicht predigen, da nehm´ ich lieber die Evangeliumslesung oder den alttestamentlichen Text, aber dieser Text ist doch zu mainstream. Immer schön die Mitte halten, nicht nach rechts und links schauen, nicht anecken und auffallen, das ist doch so gar nicht mein Stil.

Aber dann habe ich mich eingelesen und nach und nach Gefallen daran gefunden.

Der Predigttext zum heutigen Sonntag wurde in die neue Perikopenreihe aufgenommen und gehört nun zu den alttestamentlichen Texten, über die wir uns in unseren Gottesdiensten Gedanken machen sollen,

speziell zum Sonntag „Septuagesimae“ – dem 3. Sonntag vor der Passionszeit.

Wir haben ihn vorhin gehört bei der alttestamentlichen Lesung.

Er kommt aus dem Buch des Predigers – oder auch Kohelet genannt, das heißt übersetzt: Versammler oder Gemeindeleiter oder Prediger.  

Manche Bibelforscher vermuten, dass der Verfasser auch eine Verfasserin – eine Frau sein könnte,

Aber das führt zu weit – ich werde mich um der Einfachheit halber im folgenden an die männliche Version halten – das klingt vertrauter.

In dem Einführungstext zu diesem Buch aus der „Bibel in gerechter Sprache“ heißt es: ich zitiere:

Die einen sehen in Kohelet den Prediger der Lebensfreude, die anderen halten ihn für einen depressiven Pessimisten.

Für die einen ist dieses Buch so weich, dass es wie auf Socken daher kommt (Martin Luther),

die anderen betrachten es als gefährlich oder gar ketzerisch….

So gegensätzlich die Reaktionen auf das Buch Kohelet sind,

so widersprüchlich erscheinen viele Aussagen Kohelets über das Leben „unter dem Himmel“,

Kohelet widerspricht weisheitlichen Traditionen,

macht seine eigenen Gedankenfortschritte zunichte ,

klammert sich an Sicherheiten, die wieder fraglich werden,

und trifft Aussagen, die ebenso wahr erscheinen wie ihr Gegenteil. Eine Grundaussage, mit der Kohelet beginnt und die refrainartig immer wieder kehrt lautet: Alles ….unter der Sonne ist Nichts, absurd, zwecklos…..alles verweht und vergeht.

Letztlich ist alles Tun vergeblich, im Grunde gibt es nichts zu sagen……weil es z.B. den Ungerechten gut geht und die Gerechten leiden.“

So, liebe Schwestern und Brüder,

so hörten wir es auch vorhin in der Lesung und ich lese diesen Text noch einmal in einer etwas anderen Übersetzung aus der Bibel in gerechter Sprache:

15Dies alles habe ich in meinen qualvollen Tagen in häwäl gesehen: Es gibt °Gerechte, die trotz ihrer Gerechtigkeit zugrunde gehen, und es gibt solche, die das °Recht brechen und es in ihrer Bosheit lange machen. 16Gib dich nicht allzu °gerecht und nicht allzu weise. Warum willst du dich zerstören? 17°Brich kein Recht, sei nicht dumm. Warum willst du vor deiner Zeit sterben? 18Es ist gut, wenn du an der einen Sache festhältst und dennoch von der anderen nicht deine Hände lässt. Tatsächlich: Wer Gott °achtet, entkommt allem.

„häwäl“ dieses hebräische Wort kommt in dem Buch unzählige male vor. Es heißt so viel wie: Windhauch oder Dunst und meint die Vergänglichkeit und Vergeblichkeit allen menschlichen Tuns.

In wirklichen Leben bedeutet das:

Der Gerechte geht zu Grunde und der Gottlose lebt vergnügt und unbeschwert ein langes Leben –

ja das ist die bittere Erkenntnis,

die der Verfasser am Ende seines Lebens machen muss.

Wozu dann die ganzen Bemühungen um ein rechtschaffendes Leben, wenn man dafür eh nicht belohnt wird?

Ist es dann nicht völlig egal, wie man lebt? Ja, wäre es nicht sogar dumm, wenn man nicht sieht, wie man am besten durch kommt?

Liebe Schwestern und Brüder,

es gibt eine Reihe von Predigern und Predigerinnen, die das Evangelium und die Bibel als das sicherste und klarste Rezept für Erfolg, Wohlstand, Sicherheit und Glück verkaufen wollen.

Insbesondere in evangelikalen Kreisen wird der Glaube an Jesus und die Einhaltung der Gebote als Garantie für ein gutes Leben gepriesen.

Erfolg, Gesundheit und Wohlstand sind hart erarbeitete Produkte, die ich mir mit Fleiß und Gehorsam verdient habe.

Misserfolge, Krankheiten und Schicksalsschläge werden als die Folgen von Unglauben und Ungehorsam gedeutet und als eine Strafe Gottes.

Das Leben aber erzählt andere Geschichten.

Da wissen wir von einer Frau, die sich ehrenamtlich in so manchen sozialen Projekten engagiert hat, viel Zeit und Geld für notleidende Menschen geopfert hat und nun mit einem schweren Krebsleiden danieder liegt.

Da kennen wir den freundlichen und fröhlichen Nachbarn,

der immer, wenn wir seine Hilfe brauchten, zur Stelle war,

der nie ein  böses Wort über andere verlor

und der nun in ein tiefes Loch gefallen ist, weil er seinen Job verloren hat und seine Frau ihn auch noch verlassen hat.

Ein rechtes und gottgefälliges Verhalten wird bei weitem nicht mit einem langen und guten Leben belohnt,

davon zeugen solche Biographien wie die von Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King

oder Jesus von Nazareth.

Alle drei starben eines gewaltsamen Todes und erlebten Angst, Verzweiflung und sogar Gottesferne.

Weltlicher Erfolg, Wohlstand, Ruhm und Anerkennung muss nicht das Ergebnis eines gottgefälligen Lebens sein –

im Gegenteil – es kann unter Umständen mit dem Preis erkauft worden sein, sich von der Liebe Gottes losgesagt und sich aus der Gemeinschaft der Gläubigen entfernt zu haben.

Auf ein zweites Problem macht der Prediger in seinem Text aufmerksam:

„16Gib dich nicht allzu °gerecht und nicht allzu weise. Warum willst du dich zerstören?“

Liebe Schwestern und Brüder,

hier warnt der Prediger vor Hochmut, Rechthaberei und Fanatismus.

Das kennen wir nur allzu gut, dass wir Recht behalten wollen,

das letzte Wort haben müssen,

uns maßlos aufregen über die Dummheit der anderen und die Unfähigkeit unserer Kollegen.

„Ich hätte das alles ganz anders gemacht,

wenn man mich gefragt hätte – aber man fragt mich ja nicht –

Es ist im Kleinen wie im Großen.

Wir erleben heute in besonderem Maße, wie Überheblichkeit und Hochmut von Vertretern politischer Parteien und Richtungen gegenüber anderen Meinungen die Konflikte verschärfen und die Gräben vertiefen.

Die Debattenkultur nicht nur im Bundestag sondern auch in unseren kleinen Kreisen wird immer schärfer und unversöhnlicher.

Fundamentalistische und fanatische Kräfte, die ganz genau wissen, was gut und böse, schwarz und weiß ist,

gewinnen immer mehr Raum.

„Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.“ – warnt der Prediger.

Das Urteil, dass Du über den anderen sprichst, wird am Ende der Richterspruch über dich sein.

„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden.“ – so sagt es Jesus.

Das heißt nicht, dass wir die Geister nicht unterscheiden und alles für  gleichgültig halten dürfen. – nein –

die Entscheidungskraft zwischen gut und Böse hat uns Gott zugemutet,

aber den Richterspruch über einen Menschen fällen

darf nur Gott allein,

und die Einsicht in unsere eigene Schwachheit und Fehlbarkeit führt dann zur Demut und zur Barmherzigkeit.

18Es ist gut, wenn du an der einen Sache festhältst und dennoch von der anderen nicht deine Hände lässt.“ –

Liebe Schwestern und Brüder,

der Prediger fordert mit diesem Satz seine Hörerinnen und Hörer auf,

schon eine eigene Überzeugung und einen eigenen Standpunkt zu haben, aber ebenso auch die Meinungen und Überzeugungen der Gegenseite zu hören.

Das gehört sich so in einer gesunden und stabilen Demokratie.

Und das sollte auch in unseren familiären und zwischenmenschlichen Beziehungen so sein.

Es ist aber auch die Warnung vor allzu grundsätzlichen Überzeugungen in der Lebensführung.

Steht eine vegetarische oder sogar vegane Ernährung ethisch und moralisch über dem Fleischkonsum?

Du kannst diese Haltung haben, aber es ist eine Frage der Freundlichkeit und der Achtung, wenn man ein liebevoll zubereitet Fleischgericht als Gast dankbar zu sich nimmt.

Am Ende aber kommt der entscheidende und wichtigste Satz:

„Tatsächlich: Wer Gott °achtet, entkommt allem.“

Am Ende zählt nicht das, was die Mehrheit macht, was zum Erfolg führt oder wovon ich am meisten überzeugt bin –

am Ende zählt die „Achtung“ vor Gott –

Luther übersetzt das mit „Furcht“ vor Gott.

Nicht die Menschen habe ich zu fürchten, deren Anerkennung oder Ablehnung,

nein – allein Gott habe ich zu achten – und ich gebrauche jetzt ganz bewusst nicht das Wort „fürchten“.

Gott habe ich zu achten – und das bedeutet, dass ich mich ihm anvertraue, nach seinem Weg und seinem Urteil suche.

Und zum Schluss noch der freundliche Hinweis von dem Prediger  an alle seine Hörer und Hörerinnen:

Ich habe erkannt, dass nichts Gutes bei ihnen (den Menschen) ist, außer, dass sie sich freuen und in ihrem Leben Gutes tun. Wo immer Menschen essen und trinken und in all ihren Mühen Gutes wahrnehmen, ist das ein Geschenk Gottes. (Pred. 3,12,13)

Diese Empfehlung dürfen wir uns gerade in diesen unsicheren und dunklen Zeiten sehr wohl zu Herzen nehmen.

Amen.