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Predigt · 1. Sonntag Epiphanias · 12. 1. 2025 · Thies Gundlach

Posted on Jan. 13, 2025 in Predigten

Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.

Amen

Liebe Gemeinde,

der Predigttext für den heutigen 1. Sonntag nach Epiphanias steht im Buch Josua im 3. Kapitel, Verse 5 – 17:

Und Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der Herr Wunder unter euch tun. Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her. Und der Herr sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein. Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des Herrn, eures Gottes! Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter: Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan. …. Als nun das Volk aus seinen Zelten auszog, um durch den Jordan zu gehen, und die Priester die Bundeslade vor dem Volk hertrugen, und als die Träger der Lade an den Jordan kamen und die Füße der Priester, die die Lade trugen, ins Wasser tauchten – der Jordan aber war die ganze Zeit der Ernte über alle seine Ufer getreten –, da stand das Wasser, das von oben herniederkam, aufgerichtet wie ein einziger Wall, sehr fern, bei der Stadt Adam, die zur Seite von Zaretan liegt; aber das Wasser, das zum Meer der Araba hinunterlief, zum Salzmeer, das nahm ab und floss ganz weg. So ging das Volk hindurch gegenüber von Jericho. Und die Priester, die die Lade des Bundes des Herrn trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.“

War jemand von Ihnen schon mal in Israel am Jordan? Ich stand vor vielen Jahren am Jordan und war ziemlich enttäuscht über dieses Rinnsal, das da den Berg Hermon runterfloß und im sog. Toten Meer endete. Man könnte problemlos zu Fuß durch den Fluss gehen, wenn auf der anderen Seite nicht ein anderes Land begönne. Aber die dramatische und detaillierte Erzählung über den stehengebliebenen Fluss und die aufgestaute Wasserwand und die Israelis, die trockenen Fußes durch den Fluss schreiten können, dies alles erinnert uns daran, dass der Jordan hier gar nicht zuerst als realer Fluss in Israel im Blick ist, sondern als Grenze, als Schwelle, als Übergangsort. Es ist ein geistlicher, ein theologischer Blick auf die Jordanüberquerung. Israel kommt etwa um 1200 vor Chr. in einen z.T. von den Hetitern im Norden, z.T. von den Ägyptern im Süden kontrollierten Landstrich. Und es erzählt seinen Kindern und Kindeskinder im Buch Josua Jahrzehnte später davon mit der Erinnerung an Befreiung aus Ägypten. Denn natürlich ist diese Josuaerzählung kein Augenzeugenbericht und auch kein Ereignisprotokoll.

Sondern die Ankunft im gelobten Land wird später gedeutet mit dem Wunder am Schliffmeer. Die Befreiungsgeschichte Israels wird quasi wiederholt, der Durchzug durch das Meer wird erinnert und vergegenwärtigt beim Durchzug durch den Jordan, dessen Wasserstand dies gar nicht nötig machte.

Die Botschaft dieser Erzählung ist offensichtlich: Der Übergang ins gelobte Land ist als eine weitere Gottestat nicht kleiner, nicht geringer, nicht unwichtiger als die Rettung aus der Knechtschaft Ägyptens. Unserer Predigttext ist eine theologische, eine geistliche Vergegenwärtigung der Herkunftsgeschichte Israels, um den Übergang ins gelobte Land zu deuten. Übrigens haben wir Christen diese Deutung bis tief in die Umgangssprache hinein übernommen: Israel geht über den Jordan, und dass „jemand über den Jordan gegangen ist“, meint ja, dass er gestorben ist. Denn das gelobte Land ist für Christen der Himmel, der Jordan ist sozusagen der Grenzfluss zum Totenreich oder auch der Styx der biblischen Tradition.

II.

Im Kern aber werden bei diesem Übergang gleich drei Traditionsbestände Israels erinnert, drei Identitätserinnerungen, die alle im Laufe der jüdisch-christlichen Geschichte auch ihre Schattenseiten, ihre Ambivalenz gezeigt haben. Denn Identität durch Vergegenwärtigung, durch Zitation von Vergangenem, durch Erinnerung an Zurückliegendem, das ist zugleich stärkend und gefährdend, stützend und zerstörend. Aber schauen Sie selbst:

a) Ganz aktualistisch kann man daran erinnern, dass die Aufzählung der vertriebenen Völker von den Kanaanitern über die Hetiter bis zu den Jebusitern auch im gegenwärtigen Kabinett von Benjamin Netanjahu genutzt wird, um den ebenso schrecklichen wie endlosen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen und das ruppige Vorgehen im Westjordanland nach dem terroristischen Angriff auf Israel am 7.Oktober 2023 zu legitimieren. Wie die Väter damals, so wir auch heute. Aber wir sollten nur vorsichtig richten, denn auch wir Christen haben die Vertreibung der Wenden und Sachsen im Frühmittelalter mit dem Einzug ins Gelobte Land parallelisiert und die brutale Christianisierung der vermeintlichen Heiden so begründet. Und dass die weißen Siedler in Amerika in „Gottes eigenen Land“ eingezogen sind, ist ja auch nur eine Variante des gleichen Gedankens. Jede Vergegenwärtigung der Herkunftsgeschichte kann missbraucht werden. Oder umgekehrt: Nur weil etwas zur Herkunftsidentität gehört, ist es noch nicht legitim oder gar gut. Das müsste man auch manchen politischen Kräften unserer Tage ins Stammbuch schreiben.

b) Wir leben heute in einem postheroischen Zeitalter, so echte Helden außerhalb von Hollywood und manchen starken Reaktionen im Alltag gibt es nicht mehr. Aber das war damals natürlich anders. Und beim Übergang Israels ins gelobte Land kam nun alles darauf an, dass Israel auch ohne Moses, der ja bekanntlich das Gelobte Land nur vor Ferne sehen durfte, eine klare Führung hat. Und entsprechend kommandiert Josua die ganze Zeit seine Leute:

Das Volk soll sich heiligen, es soll herzukommen, die Priester sollen die Lade tragen und barfuß in den Fluss steigen und stillstehen usw. Der Text betont, dass Gott mit Josua sei wie mit Mose, dass Gott gleichsam Mose in Josua vergegenwärtige und lebendig werden lasse. Und solche Vergegenwärtigung alter Helder*innen und eine entsprechende Übertragung ihrer Aura kann man jederzeit auch bei uns erleben: Immer, wenn die Wirtschaft lahmt, wird Ludwig Ehrhard herbeizitiert; immer, wenn es um die NATO geht, wird Konrad Adenauer herbeigerufen; und immer, wenn es um die Friedenspolitik geht, werden Willy Brandt und Egon Bahr vergegenwärtigt. Aber gerade so kann man leicht einsehen, wie subjektiv und willkürlich Vergegenwärtigungen ausfallen können; denn, wenn man nicht aufpasst, kennt man aus der Vergangenheit immer nur die Figuren und Helden*innen, die einen bestätigen und der eigenen Haltung schmeicheln. Mit Vergegenwärtigungen des Vergangenen verlässt man seine jeweilige Blase keineswegs zwingend, im Gegenteil: selbstkritisch erinnern ist das Mittel der Wahl.      

c) Das dritte Element der Vergegenwärtigung liegt in der Bundeslade, die die Priester in den Fluss tragen. Falls jemand von Ihnen nicht den Film „Jäger des verlorenen Schatzes“ von Steven Spielberg mit Harrison Ford als Indiana Jones kennen sollte, sage ich kurz: Die Bundeslade ist ein Zedernholzkasten, auf dem rechts und links ein Cherub, ein Engel, sitzt. Die Beiden schauen sich gegenseitig an und die Leere zwischen ihnen ist Gottes Gegenwartsort, dort kann man Gott in seiner Unanschaulichkeit und Geheimnishaftigkeit begegnen. In der Lade liegen die beiden Gebots-Tafeln, die Israel am Berg Sinai erhalten hat. Mehr Gottesgegenwart geht also gar nicht. Und auch hier wieder die Frage: Was wird dadurch vergegenwärtigt? Es ist das entscheidende Kennzeichen des Gottes Israels, dass er mitkommt, dass er mitgeht mit Israel, dass er sich vom heiligen Berg in der Wüste lösen konnte und den Weg Israels durch die Wüste begleitete. Der Gott Israels ist ein wandernder, ein mitgehender, ein beweglicher Gott, ganz im Unterschied zu fast allen anderen Göttern der damaligen Zeit, die an einen festen Ort gebunden waren, an einen Tempel meist in der jeweils machtvollen Hauptstadt. Ging diese unter, ging auch der Gott verloren. Israels Gott hat sich dagegen an die bewegliche Lade gebunden, und nur weil die Lade viele Jahrzehnte später unter König David im Tempel zu Jerusalem Heimat fand, war dieser Tempel Gottes Gegenwart.

III.

Ich gestehe, dass ich uns alle gegenwärtig ebenfalls an so einer Flussgrenze sehe, die in ein ungewisses, unbekanntes und deswegen unsicheres Land führt. Von einem gelobten Land reden in den Wahlkampfzeiten zwar manche, aber im Grunde wissen wir alle, dass es eher auf schwierige, unsichere, unbekannte Zeiten zugeht. Welche Vergegenwärtigungen nehmen wir vor? Es gibt ja – genau genommen  – ungezählt viele solcher Jordanflüsse im Leben, sei das unbekannte Land dahinter nun wirtschaftlich gemeint oder politisch oder auch existentiell-biographisch, wenn es also um eine neue Freundschaft, einen neuen Beruf, einen ungewohnten Ruhestand oder gar eine mühevolle Altersphase geht? Was erinnern wir, welche Geschichte vergegenwärtigen wir dann?

An Israel bzw. unserem Predigttext kann man jedenfalls frei Dinge lernen:

a) Zuerst: Innehalten, wahrnehmen, acht geben auf den Fluss, nicht einfach weitermachen und weitermarschieren wie bisher, also: einen Übergang erkennen, wenn er da ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass viele von uns die Übergänge gar nicht erst erkennen wollen, die dem Fluss den Rücken zukehren und wieder zurück wollen in die alten Zeiten, in die vertraute Wüste. Es soll doch so werden, wie es schon früher gar nicht war. Man muss einen Übergang auch akzeptieren, sonst kommt man nie ins neue, vielleicht sogar gelobte Land.

b) Und sodann vergegenwärtigen, dass Gott ein mitwandernder Gott ist, dass wir nicht verlassen werden, wenn wir den Übergang schaffen, selbst wenn wir nasse Füße kriegen. Gott bleibt nicht zurück, er lässt uns nicht allein rübergehen, darum sollen auch wir ihn nicht zurücklassen. Oder umgekehrt gesagt: Eine gottverlassene Gegend erreichen wir mit dem Übergang ins Neue nie und nimmer! Selbst wenn unsere Kirche gänzlich umgebaut und neu erfunden werden müsste. Für mich ist das ein Trost, der vielleicht nicht gleich konkrete Probleme löst, aber den alten geistlichen Unterschied zwischen Sicherheit und Gewissheit ausmacht. Sicherheit im Neuen muss man erst finden, Gewissheit über Gottes Geleit kann man mitbringen ins Neue.

c) Und zuletzt: Israel erinnert seine Befreiungsgeschichte, seine Rettung aus der Knechtschaft in Ägypten. In Christus haben wir unsere zentrale Befreiungsgeschichte, die gerade keine militärische Erfolgsstory ist, auch nicht fremde Länder überfällt oder das eigene Land auf Kosten aller anderen „wieder groß machen will“, sondern eine Befreiungserzählung, die selbst im Leiden und Sterben frei bleibt, die damit alle Grenzen der Angst überwindet und sogar ein gänzlich neues Land jenseits des Jordans erschließt. Und wie auch immer wir uns dies im einzelnen vorstellen: Gott schenkt uns in Christus ein Gewissheit, die uns im Neuen gelassen, unverzagt und getröstet ankommen lässt. Gott sei Dank und Amen