Predigt · Sonntag Judica · 17.3.2024 · Pf.i.R. Ruth Misselwitz · Predigtreihe „Casper David Friedrich“ III
Daniel 6,16-24
Felsentor im Uttewalder Grund von Caspar David Friedrich
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1. Einführende Worte zum Bild
Liebe Schwestern und Brüder,
auf der Suche nach einem Bild von Caspar David Friedrich für diese Predigtreihe habe ich im Internet herumgestöbert und bin auf ein Bild gestossen, das mich schon beim ersten Blick angezogen und dann nicht mehr losgelassen hat.
Ich bin keine Friedrich-Expertin und kannte bislang nur die gängigen Bilder wie die „Kreidefelsen auf Rügen“, das Kreuz im Gebirge und die auch hier schon gezeigten Bilder „Mönch am Meer“ und die „Abtei im Eichwald“.
Für mich gehörte Friedrich zu den deutschen Romantikern, die schöne und stimmungsvolle Landschaften mit geheimnisvollem Mondlicht und trüben Nebelschwaden malen, die dann in so manchen deutschen Wohn- und Schlafzimmern zu finden sind. Ich musste mich schnell für ein Bild entscheiden, da es in den Gemeindebrief sollte, der ja immer ein paar Wochen Vorlauf braucht. Ich habe mich für dieses Bild entschieden und ahnte nicht, dass es so gar nicht in das Klischee von C.D. Friedrich passt und kaum jemand kennt. In der Literatur, die ich nun studierte, kam es überhaupt nicht vor, auch in der Ausstellung in Hamburg ist es nicht zu sehen und ich zweifelte schon an seiner realen Existenz. Aber es gibt feste Daten dafür.
Das Bild ist in einer Galerie in Essen aufbewahrt, es hat eine Größe von 70,5 x 50,3 cm und ist eine Sepiazeichnung. Das Entstehungsjahr wird auf 1801 datiert. Das Felsentor im Uttewalder Grund existiert auch und zwar in der sächsischen Schweiz, die Caspar David Friedrich öfter durchwandert und dabei Skizzen gemacht hat. Es wird sogar erzählt, dass er sich eine ganze Woche im Uttewalder Grund aufgehalten und zwischen den Felsen und Bäumen gewohnt hat. Ob das Felsentor allerdings in natura so aussieht, wie auf dem Bild, ist fraglich, da C.D. Friedrich bekanntlich in seinen Bildern auch Phantasiewelten erschaffen hat.
Und nun folgte ich den Anweisungen meines Freundes und Malers Martin Hoffmann, der in seinen Malkursen uns stets aufgefordert hat, ein Bild zuerst mit den eigenen Augen zu betrachten, ohne danach zu fragen, was der Maler uns damit sagen will.
Und so habe ich – ohne es zu wissen – die Methode angewendet, die der Maler Caspar David Friedrich selbst empfohlen hat – er nennt das „Sehen im Glauben“ , „gegen die Anmaßung des Verstandes“ oder auch „gegen die Wut des Verstehens“. Also, was hat mich da gefesselt, als ich das Bild gesehen habe?
Was habe ich da gesehen? Und ich erzähle ihnen nun, was ich sehe – Sie sehen vielleicht ganz andere Dinge auf diesem Bild und Caspar David Friedrich wird vielleicht vieles gar nicht so oder auch ganz anders gemeint haben. Aber wir dürfen vor seinen Bildern stehen und auf unser Inneres hören, unsere Gefühle und Emotionen wahrnehmen und sehen, was es mit uns macht.
Ich sehe zwei große Felswände, die einander gegenüberstehen und die eine tiefe Schlucht trennt. Die untere Hälfte der Schlucht ist mit großen Gesteinsbrocken verschüttet durch die ganz unten ein kleines Tor führt.
Beim zweiten Hinsehen erkenne ich in diesem Tor zwei Menschengestalten, eine größere und eine kleinere Gestalt – ein Erwachsener und ein Kind? halten sie sich an den Händen?
Der obere Gesteinsbrocken über dem Tor scheint nur lose auf den anderen zu liegen und droht jederzeit herunter zu fallen. Die rechte Seite der Felswand formt sich beim zweiten Hinschauen zu einem Löwenkopf. Ihm gegenüber sehe ich einen etwas kleineren Kopf mit einer platten Nase und einem geöffneten Mund, Augen sind nicht zu sehen. Beide verbinden zwei dünne Striche, wie ein X, die sich bei näherem Hinschauen als zwei kahle Bäume entpuppen, die gegen alle Naturgesetze schräg in der Luft hängen.
Nach oben hin öffnet sich der Himmel, oben über dem Abgrund fängt die Natur an zu gedeihen. Zarte Bäume und Sträucher strecken sich zum Licht, das sich am Himmel mit einem hellen Schein ausbreitet und in die Schlucht hineinfällt bis in das kleine Tor am unteren Rand.
Der Weg meiner Augen ging von unten nach oben und endet wieder unten. Was sieht das Auge und die Seele, wenn der Blick von oben nach unten geht? Was entdecken Sie noch alles auf diesem Bild?
Probieren Sie es, während wir nun Musik von Fanny Mendelssohn – Hensel hören – den 1. Satz aus dem Streichquartett in Es Dur.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich möchte Sie nun in meine Überlegungen hineinnehmen, die mir bei diesem Bild gekommen sind. Als ich das Bild zum ersten mal sah, blieb mein Blick an dem kleinen erleuchteten Loch am unteren Rande hängen. Was war da in diesem Loch? Ich endteckte zwei Menschengestalten und mir kam sofort die Assoziation einer Gebärmutter – ich sah eine Gebärmutter, in der zwei Menschen geborgen sind.
Die Gebärmutter ist durch zwei starke Felswände rechts und links geschützt, die obere Begrenzung sind schwere Gesteinsbrocken, von denen der obere jederzeit hinabstürzen kann. Die Schlucht nach oben ist zum Himmel hin geöffnet und lässt das himmlische Licht durch die Felsbrocken hindurch bis in die Gebärmutter fließen.
Das hebräische Wort für Mutterschoss oder Mutterleib hat den gleichen Wortstamm in sich wie das hebräische Wort Barmherzigkeit. Dass im biblischen Denken Gott eine Gebärmutter als Sitz der Barmherzigkeit hat, legt die Ähnlichkeit der hebräischen Wörter „Barmherzigkeit“ und „Mutterleib“ nahe.
Deshalb spechen einige Theologen auch von der „Mutterschößigkeit Gottes“ (Silvia Schroer, Thomas Staubli) Die zwei kleinen, kaum sichtbaren und zerbrechlichen Menschengestalten im Felsentor des Uttewalder Grundes, sehe ich umgeben von mächtigen Naturgewalten, die auf der einen Seite bedrohlich und zerstörerisch, auf der anderen aber auch bergend und schützend wirken.
Wie unbedeutend und hilflos die kleinen Gestalten angesichts der Übermacht der Natur auf dem Bild wirken. In der Dunkelheit des Felsentores aber sind sie umgeben von dem himmlischen Licht, das durch alle Gesteinsbrocken hindurchbricht und durch das sie Verbindung zum Himmlischen – zum Ewigen haben. Der Mensch geborgen im Schoße Gottes – das sehe ich.
Nun wandert unser Blick an der rechten Felswand nach oben zu dem Löwenkopf. Auf den ersten Blick wirkt er bedrohlich, aber da rief er einen Traum in meiner Erinnerung auf, den ich vor vielen Jahren hatte und in meinem Tagebuch festgehalten habe.
März 1985,
Ich zitiere aus diesem Traum:
„Ich bin in einer großen Wohnung, in der viele Menschen sind. In einem der vielen Zimmer sind meine beiden Kinder. Sie sitzen auf dem Fußboden und um sie herum wimmelt es von kleinen Katzen . Aber auch zwei junge Löwen sind unter den Tieren – ein Männchen und ein Weibchen. Ich habe Angst, dass die Löwen meinen Kindern etwas antun, das Männchen brüllt mich auch ganz fürchterlich an. Aber meine Kinder scheinen überhaupt keine Angst zu haben, sie sitzen seelenruhig auf dem Fußboden und spielen mit den Tieren.“
1985 – es ist die Zeit des kalten Krieges, der Angst, dass dieser Krieg in einen heißen umschlägt, eine Zeit der Repressalien und Stasiüberwachung gegen alle, die sich gegen die Logik der Gewalt und Abschreckung einsetzten, so auch gegen uns, dem Pankower Friedenskreis. Die Löwen im Zimmer unserer Kinder haben mich damals unendlich beruhigt, ich wußte die Kinder beschützt von einer Kraft, die außerhalb meiner Einflussspähe existiert, ja, die sie auch vor meinem Zugriff schützt.
Liebe Schwestern und Brüder, je länger ich das Bild betrachte umso mehr sehe ich darauf. Und ich bin mir sicher, dass Sie noch viel mehr als ich darauf entdecken. Ich bin der Anweisung Caspar David Friedrichs gefolgt und habe das Bild „im Glauben gesehen“.
Als er das Bild 1801 malte, befand er sich in einer tiefen Krise. Schwermut oder Melancholie nannte man das damals – heute würde man sagen „Depression“, er litt unter Depressionen, die ihn Zeit seines Lebens begleiteten – mal mehr, mal weniger.
Er war ein frommer Protestant, ein gottesfürchtiger, ein selbstbewußter Maler, der seine Bilder zuerst in seinem Inneren entwickelte und sie dann ans Licht der Welt brachte, indem er sie auf die Leinwand malte.
Er war kein Auftragsmaler, er erfuhr, wie schnell Ruhm und Ehre wieder vergehen konnten, am Ende war er auf sich und auf seinen Schöpfer zurückgeworfen.
Welche Empfindungen Caspar David Friedrich in das Bild „Felsentor im Uttewalder Grund“ hineinmalte – bedrückende und beängstigende oder geschützte und geborgene – ich weiss es nicht. Ich sehe beides darin, aber das Hoffnungsvolle, das Helle und Schützende überwiegt in meinem Sehen.
Ich möchte schließen mit einer Geschichte aus der Bibel, die mir bei diesem Bild in den Sinn gekommen ist:
Daniel in der Löwengrube: Daniel, ein Mann aus dem Volke Israel, wird von dem persischen König Darius in hohe Staatsämter gesetzt. Die Fürsten und Statthalter aber neiden ihm diese Ämter und wollen ihn stürzen. Nun gibt es aber ein Gesetz, das der König selbst verfasst hat, dass niemand im Land von einem anderen König oder Gott als dem persischen König etwas erbitten darf.
Daniel aber hält sich nicht daran und vollzieht sein Gebet zu Gott in aller Öffentlichkeit.
Daniel 6,16-24
16 Aber die Männer kamen wieder zum König gelaufen und sprachen zu ihm: Du weißt doch, König, es ist das Gesetz der Meder und Perser, das alle Gebote und Befehle, die der König beschließt, unverändert bleiben sollen. 17 Da befahl der König, Daniel herzubringen. Und sie warfen ihn zu den Löwen in die Grube. Der König aber sprach zu Daniel: Dein Gott, dem du ohne Unterlass dienst, helfe dir! 18 Und sie brachten einen Stein, den legten sie auf die Öffnung der Grube; den versiegelte der König mit seinem eigenen Ring und mit dem Ring seiner Mächtigen, damit nichts anderes mit Daniel geschehe.19 Und der König ging weg in seinen Palast und fastete die Nacht über und ließ kein Essen vor sich bringen und konnte auch nicht schlafen. 20 Früh am Morgen, als der Tag anbrach, stand der König auf und ging eilends zur Löwengrube. 21 Und als er zur Grube kam, rief er Daniel mit angstvoller Stimme. Und der König sprach zu Daniel: Daniel, du Knecht des lebendigen Gottes, hat dich dein Gott, dem du ohne Unterlass dienst, auch erretten können von den Löwen? 22 Daniel aber redete mit dem König: Der König lebe ewig! 23 Mein Gott hat seinen Engel gesandt, der den Löwen den Rachen zugehalten hat, so dass sie mir kein Leid antun konnten; denn vor ihm bin ich unschuldig, und auch gegen dich, mein König, habe ich nichts Böses getan. 24 Da wurde der König sehr froh und ließ Daniel aus der Grube herausziehen. Und sie zogen Daniel aus der Grube heraus, und man fand keine Verletzung an ihm, denn er hatte seinem Gott vertraut.
Amen.