Predigt · Sonntag Reminiscere · 16. 3. 2025 · Michael Hufen
Reminiscere 2025
Liebe Gemeinde
Kennen Sie dieses Bild?
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Dem aufmerksamen Fernsehsportler ist es vielleicht schon aufgefallen.
Inmitten eines tosenden Stadions, die Luft angefüllt mit Fangesängen und Anfeuerungsrufen, Plakate werden in die Luft gehalten: „Spieler xy, gib mir dein Trikot“, Schmähungen des Gegners oder Protestplakate gegen die Kommerzialisierung des Sports und mittendrin:
„John 3:16“
Ich hab mich immer gefragt, was das soll. Plakate, Aufdrucke auf T-Shirts und sogar Tätowierungen:
„John 3:16“
Es war ein regelrechter Hype. Nach einem Spiel in den USA, während dem immer wieder „John 3:16″ im Bild war, wurden angeblich bei Google 90 Millionen Suchanfragen gestartet.
Waren Sie bei den 90 Mio dabei oder wissen Sie, was es bedeutet?
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ – so heißt es im 3. Kapitel des Johannes-Evangeliums. Und die Menschen, die so ein Plakat in die Höhe gehalten haben, haben sozusagen ihr Glaubensbekenntnis abgegeben. Ganz öffentlich, sichtbar und auch nicht ohne Stolz.
Nun könnten wir einwenden: natürlich wieder die US-Amerikaner mit ihrem übertriebenen Bewusstsein, „Gods own country“ – „Gottes auserwähltes Land“ zu sein und die bei der Amtseinführung ihres Präsidenten gleich drei Prediger auftreten ließen, die den Mann schon recht deutlich in die Nähe höherer Mächte rückten….
Doch sei‘s drum, öffentlich bekennen, was man glaubt, ist hierzulande doch sehr aus der Mode gekommen und vielleicht ja auch das Glauben selbst.
Lasst uns aber doch einmal die Bibelstelle genauer anschauen, von der ein Theologe sagte, es wäre wie das Evangelium in einer Nussschale. Also die Quintessenz von der „Botschaft der freien Gnade Gottes“ – wie der Begriff „Evangelium“ im Barmer Bekenntnis übersetzt wird.
Dies Botschaft an die Welt auszurichten ist nach diesem Bekenntnis die Aufgabe der Kirche – und sonst nichts.
Um uns dem Text zu nähern, müssen wir die Szenerie gänzlich ändern. Wir verlassen die großen, lauten und hellen Sportstadien und kommen in einen kleinen Raum. Es ist Nacht. Eine Kerze brennt und ein Mann betritt den Raum. Nikodemus, ein Oberer der Juden, wie es bei Johannes heißt, betritt den Raum und möchte zu Jesus. Im Schutz der Dunkelheit hat er sich zu Jesus geschlichen, übervoll mit Fragen. Jesus hatte am Tag im Tempel gewütet, die Händler und Geldwechsler vertrieben und auf die Frage nach seiner Vollmacht geantwortet: „Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“
Nikodemus kam als Fragender und wurde zum Hörenden.
„Wie kann man als Erwachsener neu geboren werden?“ so fragt er Jesus und der antwortet:
Evangelium und Predigttext Johannes 3, 14-21
14Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, 15auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. 16Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
18Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. 19Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. 21Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Liebe Gemeinde,
„Licht in der Dunkelheit“ – das ist es, was Gott uns Menschen mit Jesus schenkt.
„Ich bin das Licht der Welt“ – so haben wir es vorhin bei der Taufe gehört – Jesu Selbstauskunft beschreibt die geradezu theaterhafte Szenerie unseres Bibeltextes, Nikodemus kommt im Dunkel, aus der Aufregung des Tages zu Jesus um … ja, um erleuchtet zu werden, zu verstehen, zu erkennen. Zuversicht, Mut, Hoffnung gewinnen im Chaos der Welt, der Bedrückung des Alltags.
Wie kommen wir nun in die Szenerie?
Nikodemus kommt, weil er verstehen will und glauben. Er sucht Hoffnung für sich und seine Welt. Wenn es nicht so wäre, warum würde sich ein Oberer der Juden heimlich zu diesem Aufrührer schleichen?
Ach, wie wäre es doch, wenn unsere Suchbewegungen und unsere Sehnsucht uns zu Jesus führen würden. Stattdessen verleugnen wir sein Zeugnis, das, was wir von ihm wissen, glauben, was er uns verheißen hat.
Wir schauen zu, wie mit immer abenteuerlicheren Erklärungen jede noch so abrupte politische Wendung interpretiert und für die eigenen Interessen nutzbar gemacht wird.
3 Jahre Krieg und keine Diplomatie, hunderttausende Tote und Millionen Vertrieben und wie sieht unsere Antwort aus? Rüstung, Waffen, Wehrpflicht, Kriegstüchtigkeit, Milliardenschulden, die angeblich unsere Demokratie schützen, weil der Russe vor der Tür steht.
Und immer noch kein Wort von den Menschen – nämlich von denen, die in den Kriegen sterben, verstümmelt und traumatisiert werden und ihre Heimat verlieren und als rauchenden Trümmerhaufen für immer eingebrannt in ihrer Erinnerung behalten werden.
500 Milliarden sollen uns schützen! Wirklich? Was ist denn mit den Menschen, die diese Waffen benutzen sollen? Wiedereinführung der Wehrpflicht, Militarisierung der Gesellschaft, ein Deutschland-Plan, in dem beschrieben ist, wie die Lazarettzüge aus dem Osten auf deutsche Krankenhäuser verteilt und die Hinterbliebenen seelsorgerisch von kirchlichen Notfallseelsorgern betreut werden. Pläne, die mit dem Leben unserer Söhne und Töchter als Zahlen rechnen und in denen durchexerziert wird, was passiert, wenn – wie in den schrecklichsten Szenarien des Kalten Krieges – Deutschland zum Schlachtfeld wird!
Liebe Gemeinde,
mit dem heutigen Evangelium Johannes 3 haben wir eine Erklärhilfe für die gerade begonnene Passionszeit bekommen. Denn hier ist vom Passionsgeschehen die Rede: „Aus Liebe sandte Gott seinen Sohn, aus Liebe gab er sein Ein und Alles. So hat Gott die Welt geliebt.“
Das sind theologische Spitzensätze. Schöne Worte. So verdichtet, dass es mir erst einmal schwerfällt, sie mit meinem Empfinden und Erleben zu verbinden.
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet, sondern gerettet. Wer an ihn glaubt … das heißt doch, an diese Liebe zu glauben und dieser Liebe zu trauen. Und da frage ich mich halt schon: Ist das überhaupt möglich, angesichts der vielen offenen Fragen? Angesichts all des Leidens in der Welt. Angesichts der bedrohten Schöpfung. Angesichts der politischen Weltlage. Wie kann man da von der Liebe Gottes sprechen?
Müsste ich nicht eher klagen und fragen: Wo, mein Gott, ist sie, diese Liebe? Ist sie mehr als ein schönes Wort?
Ausgerechnet der erste geheimnisvolle Satz unseres Predigtwortes hilft hier weiter:
„Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.“
Jesus erinnert an die Wüstenwanderung Israels auf dem Weg in die Freiheit, die im vierten Buch Mose erzählt wird.
Einmal mehr schien sich die Verheißung des gelobten Landes als leeres Versprechen zu entpuppen. Gott schickt als Antwort eine Schlangenplage, viele sterben an den giftigen Bissen, worauf das Volk sich besinnt und Mose um Fürbitte bei Gott bittet. Gott befiehlt Mose, eine eherne Schlange zu schmieden und sie auf einer Stange hoch aufzurichten. Wer gebissen wird, soll zu diesem Rettungszeichen hochschauen und wird überleben.
„So muss der Menschsohn erhöht werden.“
Christus, erhöht am Kreuz. Ein rettendes Zeichen wie die eherne Schlange. Sichtbar für alle, die den Blick heben mögen.
Das ist vielleicht nicht gerade das, was ich als erstes erwarten würde in der Passionszeit, die doch eine Zeit der Besinnung ist, eine Zeit der Einkehr, eine Zeit, sich eigener Schuld gewahr zu werden. Geht da der Blick nicht automatisch eher nach unten, auf den eigenen Bauchnabel (incurvatio in se ipsum) ?
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.
Gefragt ist paradoxerweise ein Aufrichten, ein Aufschauen, weg von den Entbehrungen der Wüste, weg von der Finsternis.
Unser Predigttext ist also eine Einladung, Passion zu bedenken und Passion zu verstehen.
Gottes rettendes Handeln darin zu erkennen. Und darauf zu vertrauen.
Dieser Blick nach oben an den am Kreuz erhöhten Menschensohn macht den Unterschied.
Die Hoffnung, von der alle frühchristlichen Autoren schreiben, die Christinnen und Christen in aller Dunkelheit Licht erkennen lässt.
Licht in der Dunkelheit
Gott alles Gute zutrauen. Trotz allem Augenschein. Unter diesem Vorzeichen ist die Passionsgeschichte zu lesen und zu durchleben.
Und so kann ich erkennen, wann ich den Kopf senken muss, um meine Schuld zu bedenken und wann ich den Kopf nutzen muss, um nachzudenken und zu verstehen.
Und ich glaube, dass ich den Kopf heben muss, um Rettung vor Augen zu haben.
Amen