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Predigt · 2. Sonntag nach dem Christfest · 5. 1. 2025 · Michael Hufen

Posted on Jan. 13, 2025 in Predigten, Uncategorized

Predigttext: Lukas 2,41-52

Liebe Gemeinde, stellen Sie sich folgende Situation vor: ein Lehrer will in der dritten Klasse das Thema „Abendgebet“ unterrichten. Schön behutsam, wie er es gelernt hat, geht er also von den Erfahrungen der Schüler aus und fragt sie: „Nun was macht ihr vor dem Schlafengehen?“ Ein Schüler antwortet: „Ich putze mir die Zähne!“ – „Sehr schön“, darauf der Pädagoge, „aber vielleicht noch etwas anderes?“ – „Hmm: ich lese noch im Bett!“. Der Lehrer – ein erfahrener Mann, sieht ein, dass er so nicht ans Ziel gelangt. Deswegen will er noch einmal anders an die Sache herangehen: „Fragen wir doch mal anders: Sagt, was machen deine Eltern vor dem Einschlafen?“ Bevor sich jemand meldet, ruft einer dazwischen: „Sie wissen es, Herr Lehrer, und ich weiß es auch; aber sagen Sie: ist das eine Frage für die dritte Klasse?“
Liebe Gemeinde, wer von Ihnen Kinder hat, oder Kinder unterrichtet, kennt solche Situationen: Neunmalklug können die kleinen Besserwisser schon recht früh sein und je älter sie werden, desto „erhabener“ werden ihre Antworten. Unterrichten Sie mal in der 6. und Sie werden staunen, wie viel geballtes und überzeugtes Lebenswissen Ihnen da entgegengeschleudert wird, stellt man eine falsche Frage oder bewegt sich in den Augen der Schüler auf einem falschen Gleis. In einer 6. Klasse wollte ich die Heilung des Blindgeborenen lesen und besprechen. Das Ergebnis sollte sein, dass die Schülerinnen den Unterschied zwischen: dem „Sehen dessen, was vor Augen ist“ und einem „Sehen mit dem Herzen“ kennen lernen. Als Einleitung ging es um die verschiedenen Bedeutungen von „Blind“ dann schrieb ich als Überleitung das bekannte Zitat von Saint-Exupery an die Tafel: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ an die Tafel und bereitete mich auf einen beschwerlichen Weg vor, da meldete sich Martin und sagte: “Aber Herr Hufen, daß ist doch ganz klar, einmal geht es um Sehen mit den Augen und das andere ist so was Psychologisches, so was mit Glauben.“

Ungefähr zwölf Jahre alt war auch Jesus, der, nachdem ihn seine Eltern, Maria und Josef, drei Tage lang vergeblich gesucht hatten, nicht anderes oder besseres zur Antwort zu geben hatte als: „Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, … ?“ Jesus also, der zwölfjährige Knabe hat es besser gewusst als alle anderen und sieht zudem noch keinen Grund, sich für sein Verhalten zu entschuldigen. Ein unerhörtes Verhalten, auch in jener Zeit, und wahrscheinlich wird absichtlich nicht überliefert, wie Josef, der Mann, der für Jesu Erziehung verantwortlich war, darauf reagiert hat. Möglicherweise gab es was hinter die Ohren – denn: Gottes Kind, hin oder her: so geht´s ja wohl auch nicht!

Sie spüren die Schwierigkeit, liebe Gemeinde, sich der Kindheit Jesu zu nähern: denn entweder ist er der Sohn Gottes, also Gott selbst und man hat sich ihm mit einem gewissen Respekt zu nähern – dann aber erscheinen die Kindergeschichten von Jesus seltsam unwirklich und wir müssten feststellen, dass unser Gott doch nie ganz Mensch geworden ist, wenn er gewissermaßen schon als „fertiger Jesus der Christus“ auf die Erde gekommen ist. Oder aber wir erkennen an, dass auch dieser Mensch Jesus, der als Jesus von Nazareth aufgewachsen ist, dazu gelernt hat, Fehler gemacht usw.: so wie wir alle eben – dann aber hat man immer ein bisschen das Gefühl, dem Heiland wurde ein Stück seiner Heiligkeit genommen.

Dieses Dilemma ist vielleicht einer der Gründe, warum es so wenige Kindheitsgeschichten von Jesus in der Bibel.

Mir ist die zweite Erklärung deutlich näher:  Jesus als Mensch, der auch schwächere Momente hatte und aus ihnen gelernt hat. Also ganz Mensch war – wie Sie und ich.

Ich glaube, dass Gott ganz Mensch werden wollte, um uns ganz nahe zu sein. Deswegen stelle ich mir auch Jesu Kindheit vor, wie die Kindheit anderer Kinder auch, zwar besonders getragen und aufgehoben, wie es auch diese Geschichte zeigt, aber nicht vergeistigter oder entrückter als bei anderen Menschen. Jesus wuchs heran und „nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen“ wie es der Evangelist am Ende unseres Predigttextes formuliert.

Warum aber, liebe Gemeinde, wird uns heute diese Geschichte erzählt, außer vielleicht, um unseren Wissensdurst und Neugier, wie das wohl damals bei Jesus so war, zu befriedigen.

Ich denke, es steckt eine tiefe Weisheit gerade hinter den Kinderworten – hinter den Worten, die so unvermittelt und so unbedarft aus den Mündern unserer Kinder kommen, weil sie sich ihnen von innen aufgedrängt haben, ohne dass sie groß darüber nachgedacht haben, ohne, dass sie groß berechnet haben, was für Vorteile sie sich mit der Antwort erkaufen können oder wem sie dienlich sind oder auch, wen sie damit verletzen.

Je älter wir Menschen werden, desto mehr kümmert wir uns um die Wirkungen unserer Worte. Das ist ja auch richtig so, denn wir müssen in der Schule und im Beruf vorankommen. Müssen die Erwartungen der Lehrer erfüllen, um gute Noten zu bekommen, sollten niemanden verärgern. Auf Empfindlichkeiten der anderen Rücksicht nehmen usw. usf. .

Aber eines geht dem Menschen dabei verloren – ein Stück Unmittelbarkeit, ein Stück innerer Freude, die man direkt dem gesprochenen Wort ablauscht.

Manchmal findet sich diese Unmittelbarkeit auch noch bei den Erwachsenen: in einer spontanen Freude vielleicht, in einer erregten oder aufgeregten Situation, bei großer Erschöpfung oder bei gewissen Formen von Ekstase oder in großer Angst. Dann hat der Mensch ein Stück weit die ihm so wichtige Kontrolle über sich verloren. Die Kontrolle, die ihn in diesem Erdenleben seine Existenz zu sichern scheint.

Ich lebe nach gewissen Regeln und Normen, die ein Zusammenleben etwa ermöglichen und ich muss mich daran halten, damit auch ich darin überleben kann. Auch diese Kontrolle, liebe Gemeinde, ist eine Art von Besserwisserei. Wir wissen es eben besser, als derjenige, der gegen eine gesetzte Norm verstößt. Wir wissen es eben besser, als derjenige, der sein Herz auf der Zunge trägt. Und: diese Kontrolle ist wichtig, aber wir müssen aufpassen, dass sie uns nicht zum alleinigen Lebensinhalt wird. Sie können dafür selbst wohl unendlich viele Beispiele finden: denken Sie einfach an die Jugend, die deshalb Jugend ist, weil sie fast alles anders und in ihren Augen besser machen will als die „Alten“. Es ist wichtig, dass auch die Jugend lernt, was es für Regeln und Normen gibt, aber eine Erziehung ist noch nicht deshalb gelungen, wenn diese Regeln auch alle eingehalten werden. Dann nämlich fehlt ein ganz wichtiger Teil: die Freude am Leben, die Unmittelbarkeit, wie ich sie vorhin genannt habe, der Bezug zu dem, was das Leben lebendig macht.

Gerade Kinder sagen und zeigen uns immer wieder, was es heißt das Leben, die Umwelt, die alltäglichen Erlebnisse mit unverstelltem Blick wahrzunehmen. Bei ihnen begegnet uns ein eben kindliches Gefühl für Widersprüche und Ungerechtigkeiten und an ihnen können wir am deutlichsten die Folgen unseres Tuns ablesen. Wer eigene Kinder hat oder nah mit ihnen verbunden ist, wird wohl kaum auf den Gedanken kommen, dass sie als Soldaten in einem Krieg ihre Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren sollten. Und wer erlebt, was in Kinderseelen nach Lockdown oder durchschnittlich 5-6 Stunden am Tag mit sozialen Medien passiert, wird dazu eine kritische Haltung entwickeln – um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Wer das anstößig findet, der kann in der aktuellen Kirchenzeitung den Artikel „Bericht aus der Kirchenleitung“ lesen und sich dabei mal beobachten – darf der das schreiben?, oha! Der traut sich ja was. (ich habe den Artikel kopiert und bereitgelegt)


Jesus also antwortet völlig ungetrübt – trotz dreitägiger Suchaktionen seiner Eltern: „Warum habt ihr mich gesucht?“ Ich bin da, wo es mir gutgeht. Worin es ihm gutgeht, das beleuchtet unser Predigttext nur am Rande, aber deutet ebenfalls auf den tieferen Sinn hin. Es geht ihm gut im Hause Gottes, in dem diskutiert und gebetet wird. Und das Gebet, liebe Gemeinde, stellt auf eine ihm eigene Weise das dar, was ich gerade an der Unmittelbarkeit der Kinder gesagt habe: im Gebet verliere ich eben ein stückweit die Kontrolle, weil ich zulasse, dass ich es eben nicht besserweiß. Im echten Gebet kann ich nichts berechnen, weil ich nicht abschätzen und abwägen kann, wie es mir einst gehen wird mit Gott. Und tatsächlich auch gilt „Der Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an“ – da sind wir wieder beim Sehen vom Anfang der Predigt – Gott sieht in unser Herz und kennt uns, was auch immer wir mit lyrischen oder ganz handfesten-lebenspraktischen Worten im Gebet vor ihn bringen.

Das gilt im Unterschied zu den Gebeten, die etwa folgendermaßen klingen: „Lieber Gott, lass uns freundlich zu unseren Nachbarn sein…“ – ich bitte Sie, liebe Gemeinde: für solche Gebete bräuchte ich mich nicht vor den Altar stellen – ich könnte mich auch zu Ihnen umdrehen, den Zeigefinger erheben und sagen: „Verfixt, dann seid doch endlich freundlich zu euren Nachbarn!“ – im Unterschied also zu solchen „Gebeten“ ist das Gebet, welches Jesus uns vorlebt, und auf welches er durch sein unbedarftes Bleiben im Tempel hinweist, ein Gebet der Beziehung, ein Gebet des Vertrauens und ein Gebet der Hoffnung: Denken Sie an das Vaterunser: „dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“.

Darin können wir etwas von den Kindern lernen: von ihrer Unbedarftheit, Unkontrolliertheit – eben von ihrem Besser-Wissen auf einer anderen Ebene. Dann wird uns – als Kinder Gottes – manches leichter fallen und wir werden reich belohnt werden, wenn wir es ab und an zulassen, dass wir die Kontrolle verlieren, um frei zu sein für unsere Beziehung zum Leben, zum Nächsten und zu Gott.
Und das Gottes-Kind Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Und der Friede Gottes, der unmittelbarer von der Lebensfreude zeugt, als wir uns das je vorstellen können, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.