Predigt · Christvesper · 24. 12. 2024 · Thies Gundlach
Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater, und unserem Herrn JC. Amen
Liebe Gemeinde!
In was für Turbulenzen sind wir eigentlich hineingeraten? Wir spüren, dass unsere Welt aus den Fugen gerät. Mit der monströsen Autofahrt in den Weihnachtsmarkt Magdeburgs findet dieses Jahr ein furchtbares Ende, nachdem es im Sommer nach endlos zähen Streit aussah und zuletzt doch in einem wilden Schlagabtausch endete. Zugleich aber ahnt man: Dies ist nur ein Auftakt, ein Startpunkt, eine „Vorgruppe“! Denn für das nächste Jahr gilt: Trump kommt, Wahltag kommt, Klima kommt, Cyberkrieg kommt, Streit kommt, – nur die Hitze bleibt und das Geld geht.
I.
Gegen diese tiefe Verunsicherung, was da noch alles kommen mag, braucht es andere Kraftquellen, anderen Halt, andere Zuversicht: gewonnen aus dieser unendlich vertraute Weihnachtsgeschichte nach Lukas! Denn sie kann uns hineinlocken in eine andere Atmosphäre, in ein anderes Tempo. Das Hektischste, was ich in der Weihnachtsgeschichte lese, ist der Satz über die Hirten: „.. und sie kamen eilends und fanden beide …“. Allerdings habe ich mir dies eigentlich nie wirklich gehetzt vorgestellt, eher leicht beschleunigt oder so! Die Hirten auf dem Felde also in einem Tempo, von dem wir heute mitunter nur träumen können. Ansonsten aber herrscht tiefe Stille: Maria und Josef, das Kind in der Krippe, die Tiere, die Engel oben drüber – es ist wie ein Standbild, eine Ikone der Beschaulichkeit, eine Photographie des Innehaltens, die uns für einen Moment fasziniert und damit selbst entschleunigt. Vermutlich ist diese Stunde hier in der Kirche auch für uns alle der ruhigste, stillste und innigste Moment in den Weihnachtstagen. Und das ist auch gut so, das ist kirchliche Kernaufgabe: Stille ermöglichen, Innehalten anbieten, innerlich werden, das sollte die Kirche schaffen. Oder anders gesagt für uns alle, die wir viel zu oft auf unsere Handys schauen: die Kirche nimmt uns für eine kleine Weile mal das Handy weg – und das ist auch gut so.
Denn Innehalten gelingt mit dem Hören auf Geschichten, die uns auf andere Gedanken bringen; hören Sie darum noch mal den Anfang der Botschaft des Propheten Jesaja: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“
Na, das mit dem „Volk im Finsteren“, das kriegen wir ja auch ganz gut hin! Einerseits, weil es wirklich mitunter orientierungslos wirkt, wie wir agieren. Anderseits aber auch, weil viel zu viele Menschen von einer Art „Finsternis-Bewirtschaftung“ leben und daraus Honig saugen. Wenn man all die Untergangsmeldungen von allen Seiten zusammennimmt, dann kann man sich nur wundern, dass überhaupt noch eine Bahn fährt, eine Brücke hält und eine Schule aufmacht. Wir müssen auf einander aufpassen, dass wir nicht in einen „Tanz um das goldene Kalb der Hoffnungslosigkeit“ verfallen.
Aber wie ist es mit dem „großen Licht“, das das Volk sieh und der Helligkeit im ganzen Lande? Jesaja verheißt uns einen Friedefürst auf dem Thron David, auf dem Thron also, den David und sein Sohn Salomon vor bummeligen 300 Jahren besetzten. Es soll also wieder so werden, wie es damals schon nicht war, ein beliebte Figur, die wir auch heute kennen, und die die Gegenwart immer schlecht aussehen lässt. Dabei kennen vermutlich viele den Merkvers: “Erinnerungen schreiben mit goldenen Federn“. Aber dieser Friedefürst auf diesem Thron Davids, der soll alle Fehden beenden, allen Streit überwinden, alle Kämpfe aussetzen, alle Kriege abschaffen, weil er sich auf Recht und Gerechtigkeit stützt. Also doch irgendwie ein Superheld, ein Siegertyp, ein Tausendsassa, der auf einen Schlag all jene dunklen Kräfte bezwingt, deren Namen nicht genannt werden darf.
II.
Man braucht diesen übergroßen Erwartungshorizont des Jesaja, um noch einmal zu spüren und zu erahnen, wie unerhört frech und selbstbewusst und provozierend die frühen Christen waren, als sie behaupteten, dieser Thron Davids sei nunmehr eine Krippe, dieser Friedefürst sei ein Baby und dieser Gold-Held sei das Kind einer Flüchtlingsfamilie. Dass sich damals die etablierten Religionsparteien nicht nur verwundert haben, sondern auch gelacht haben über diese Anmaßung, ist nach der Durchsetzung des Christentums als Weltreligion verschütt gegangen. Aber Lukas schreibt die Geburtsgeschichte schon etwa im Jahre 100 nach Christi Geburt, eine unerhört selbstbewusste Erzählung, die all die großen Verheißungen runterbricht auf dieses kleine Kind in einer Unterkunft dritter Klasse.
Und, liebe Gemeinde, dieser Bruch der etablierten Erwartungen, dieses auf den Kopf stellen all unserer Heldenhoffnungen, das rettet und befreit uns! Die Weihnachts-geschichte erlöst uns von überhöhten Allmachtsphantasien, sie lässt uns reifen und erwachsen werden, weil wir ahnen: Recht und Gerechtigkeit werden nicht durch superstarke Helden:innen in die Welt einziehen, nicht durch Macht und Gewalt, sondern durch Güte und Geduld, durch Aufrichtigkeit und Erbarmen, durch Zuversicht und Hoffnung.
Manchmal denke ich, dass wir Christen:innen gerade in unseren Tagen, in denen den Kirchen der Wind ordentlich ins Gesicht weht, und so viele Menschen die Kirche verlassen, den Glauben unwichtig finden und Gott einen guten Mann sein lassen, dass wir gerade heute uns anstecken lassen sollten von diesem lukanischen Selbstbewusstsein der Weihnachtsgeschichte. Denn Christ sein damals und in unseren Tagen ist eine Auszeichnung, ist ein Akt der stolzen Treue, ist Solidarität mit einem annähernd in Vergessenheit geratenen Gott. Wer sich heute zu Gott und dem Glauben an dieses Kind in der Krippe hält, der ist nicht Mainstream, sondern zeigt Selbstbewusstsein und Zugehörigkeit.
III.
Deswegen ist in meinen Augen die Weihnachtsgeschichte ein besonderes Geschenk an uns alle, nämlich ein sog. Lego-Geschenk! Sie kennen natürlich alle Legosteine, aber was ist ein Legogeschenk? Das können Sie gar nicht wissen, es stammt nämlich aus unserer Familientradition und meint eine besondere Form von Geschenk. Und die Geschichte dazu geht etwa so: Als unsere beiden Kinder klein waren, also so etwa 4 und 5 Jahre alt, da habe ich einen Nachmittag im Advent die pädagogisch ja so wertvolle Frage an beide gestellt, was sie denn der Mami zu Weihnachten schenken wollen. Nach einem kurzen Verlegenheitsschweigen antwortete Sohn: Ich glaube, die Mami freut sich über Legosteine! Seither heißen bei uns alle Geschenke, die auch eine kleinen Vorteil für den Schenkenden selbst enthalten, Legogeschenke. Also Bücher, die man dann selbst gerne lesen würde; oder Reisen, die man sowieso gerne machen wollte, usw. Sie können ja nachher mal die Geschenke durchsehen unter dem Gesichtspunkt: Legogeschenk oder nicht! Und ehrlich gesagt: Wir in unserer Familie lieben mittlerweile Lego-Geschenke, weil wir uns sagen: davon haben alle etwas!
Und nun lautet die geistliche Frage zu Weihnachten: Ist Weihnachten auch ein Legogeschenk? Gott schenkt uns diesen Sohn, dieses Kind in der Krippe, damit wir erlöst, befreit und gesegnet sind, erlöst von allen Machtphantasien, befreit von allen Hoffnungen auf schnelle Lösungen, und gesegnet mit dem Wissen, dass jeder Frieden klein anfängt und wachsen muss – in uns und um uns herum. Aber zugleich damit schenkt Gott sich selbst eine selbstständige, eine autonome, eine gleichsam erwachsen gewordene Welt, die ihn nicht vergessen muss, sondern ihm Dank und Respekt zollen kann für dieses Geschenk. Gott schenkt uns dieses Kind und macht uns so zu Freigelassenen der Schöpfung, zu Menschen, die Gott ohne Angst, aufrecht und ohne Not loben können. Gott schenkt sich uns im Kind und lässt so seine Welt nicht ganz alleine in ihrem Unfrieden, ihrer Streit- und Großmannssucht. Das Kind in der Krippe erinnert Jahr für Jahr daran, dass Gott ein selbstständiges und selbstbewusstes Leben der Menschen will – mit ihm, nicht gegen oder ohne ihn.
Und weil wir einkehren können in die Geschichte vom Kind in der Krippe, weil wir ankommen können in seine Stille und eintreten können in seine Demut, deswegen kann Gott uns Trost und Mut und Zuversicht und Segen schenken und damit seine Welt reifer, erwachsener, friedlicher und versöhnter machen.
Ein klassisches Legogeschenk, weil alle etwas davon haben – ,
Gott sei Dank und Amen!