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Predigt · 3. Sonntag nach Trinitatis · 16. 6. 2024 · Pastor Thies Gundlach · Lukas 15

Posted on Jun 17, 2024 in Nachrichten, Predigten

Gnade sei mit uns und Friede von Gott und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

die Geschichte vom „Verlorenen Sohn“, die eigentlich heißen müsste: die „Geschichte von den zwei Brüdern“, ist wohl eine der bekanntesten Geschichten der Bibel überhaupt. Viel einprägsamer und memorierbarer als noch so kluge Erwägungen zur Rechtfertigung des Gottlosen bei Paulus oder zu den intellektuellen Höhenflügen eines Johannesevangeliums. Gattungsmäßig ist die Geschichte eine Parabel, also eine „zweckgerichtete Erzählung oder Gleichnis, das jede*r Hörer*in auf sein eigenes Leben beziehen kann und soll“. Die Geschichte hat einen pädagogischen Grundimpuls. Diesen zu erzielen wird aber immer schwieriger, je vertrauter eine Parabel ist: Ach ja, der Vater im Himmel ist barmherzig! Ach ja, der jüngere Sohn ist in seinem Freiheitsversuch gescheitert!! Ach Ja, der ältere Bruder ist ein schlechter Verlierer, ein Neider vor dem Herrn. Es gibt Geschichten, die sind zu bekannt, um sich noch über sie zu wundern.

I.

Deswegen muss man die Geschichte vom verlorenen Sohn sozusagen „aufrauen“ und ihre Provokationen in Erinnerung rufen, die sie für die damaligen Hörer*innen hatte; es war eine Art „Skandalparabel“!
Allein die Aufforderung, das Erbe vorzeitig zu erhalten, ist im Grunde eine Aufforderung an den Vater, nun mal endlich das Zeitliche zu segnen, getreu des Mottos von Erich Kästner: „Wollen Kinder erben, müssen Eltern sterben!“ (Dagegen stand einmal – zum Trost der Älteren unter uns – auf einem vorausfahrenden Wohnwagen: „Wir reisen, bis wir sterben, sonst reisen nur die Erben.“)
Auch eine Provokation ist nicht so sehr das Scheitern des Freiheitsdranges des Jüngeren, sondern dass er wirklich tief, sehr tief fällt. Denn Schweinehirt ist sozusagen das allerletzte, was in Israel erträglich ist; Schweinefleisch ist ja bekanntlich verpönt. Und schlimmer noch: der Jüngere „hängt an einem Fremden“, das muss man mit damaligen Ohren hören als Anspielung auf Homosexualität – ein furchtbares Verbrechen damals. Und dann läuft der Vater auch noch los, kaum dass er den Sohn zurückkehren sieht, für einen „pater familias“ mit seiner Bedeutung, seiner „gravitas“, nicht nur ein ungewöhnliches, sondern ein völlig inakzeptables Verhalten. Kurzum: Jesus lässt im Streit mit den Pharisäern und Schriftgelehrten keine Provokation aus. Wir allerdings müssen uns nach 2000 Jahren Auslegung dieser Parabel die theologische Wissenschaft zu Hilfe holen, um diese Provokationen überhaupt noch zu erkennen. Das aber führt mich zu einem zweiten Aspekt:

II.

Diese Parabel vom verlorenen Sohn gehört zweifellos zum inhaltlichen Kernbestand christlichen Glaubens, sie ist eine Art Grundpfeiler christlicher Verkündigung. Man muss sich das mal in Ruhe auf der Zunge zergehen lassen: Eine Geschichte wandert durch die Jahrhunderte, sie prägt Herz und Gemüt ungezählter Generationen und beschäftigt ebenso viele Theologen. Sie ist keineswegs schlicht, sondern einfach, sie ist keineswegs flach, sondern tief und wird immer geheimnisvoller, je länger man über sie nachdenkt. Seit Jahrhunderten wird diese Geschichte erzählt, in Kinderbüchern illustriert, in großen Kunstwerken interpretiert, in Schülerköpfen memoriert und in Schuldsituationen konsultiert. Die Geschichte dient als Wissen über Gott und als Grundbeleg für seine Barmherzigkeit, die Parabel feiert die Umkehr von einem falschen Weg und die Hoffnung auf ein gutes Ende. Ich bin davon überzeugt: es gibt kaum eine andere Geschichte der Bibel, die das christliche Glaubensleben nachhaltiger beeinflusst hat als diese – mit Ausnahme vielleicht der „Geschichte vom barmherzigen Samariter“. Beide haben Seelenwurzeln geschlagen, sie sind einwandert in die zivilgesellschaftlichen Narrationen und haben das Wissen von Gott und der menschlichen Seele immer, überall und zu allen Zeiten mit geprägt.

III.

Und wir Christen dürfen und sollen uns dankbar und stolz zu dieser großen Geschichte bekennen, wir sollten hinreichend deutlich „Produktstolz“ entwickeln und diese Parabel weitererzählen als das, was sie ist: als einen fundamentalen Beitrag zu Zivilisierung des menschlichen Innenlebens. Denn es sind mindestens drei Dimensionen, die diese Geschichte in de geistliche Welt eingetragen hat:

IV.

Umkehr zulassen, Güte leben und Gönnen-können, – das sind die drei großen spirituellen, geistlichen Impulse dieser unendlich bekannten Geschichte von den beiden Brüdern. Sie hat die Welt und die Seelen der Menschen über Jahrhunderte beeinflusst, und wir können stolz sein auf unsere Bibel und ihre Geschichten, die die Herzen erweitern kann mit Umkehr, Barmherzigkeit und Großzügigkeit. Und wir können diesen „Produktstolz“ auch gegen unsere eigene heutige Verzagtheit setzen, die immer öfter über die vielen Kirchenaustritte und das Schrumpfen und das wenige Geld redet statt den Reichtum unserer Traditionen zu feiern. Die Geschichte vom verlorenen Sohn bleibt auch dann groß und stark und wunderschön, wenn sie nur noch von Wenigen erzählt wird. Auf diese Wenigen kommt es dann an! Und deswegen: Möge Gott uns segnen damit, dass wir zu diesen gehören. Amen!