Predigt · Sonntag Jubilate · 21.4.2024 · Pastor Thies Gundlach · 2. Korinther 4,14-18
Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
die deutsche Sprache bietet eine ungewöhnliche Menge an wunderbar alten Worten, die eine schlechte Stimmung beschreiben und damit das Gegenteil von Jubilieren: miesepetrig – griesgrämig – muksch – muffelig – sauertöpfisch – gnatzig – missvergnügt – mürrisch – grämlich – usw.! Im Fach schlechte Laune sind wir Deutschen einfallsreich. Und das sind ja alles nur Worte, die eine persönlich-individuell schlechte Laune beschreiben. Gesellschaftlich können wir das mindestens ebenso gut, jedenfalls wenn man auf Kritiker der Gegenwart hört: Im Grunde ist es ein unerklärliches Wunder, dass wir morgens Strom und Abends warmes Wasser haben. Wir sind Weltmeister im Schlechtreden, man sieht sich dem unmittelbar bevorstehenden Untergang geweiht: Die Wirtschaft geht den Bach runter, das Militär liegt danieder, Straßen und Bahn ein Desaster, die Bürokratie ist ein Monster, die Kirchen im Niedergang und Geld haben wir auch keines – hab ich was vergessen?
Und dann diese brutalen Gewaltergüsse, der Krieg Rußlands gegen die Ukraine, der Hamas und Iran gegen Israel und auch Israels Überreaktion gegen den Gaza usw. Und auch hier gilt: das sind ja nur die Gewaltexzesse in unserer Nähe, von anderen sehen und hören wir kaum etwas. Und ich bin mr sicher: jede/r von uns kann diese Liste des „Weinen, Sorgen, Klagen, Zagens“ fortsetzen – mit dem einen Ergebnis: Der Sonntag Jubilate steht komplett quer im Stall, ist Fehl am Platze und passt in keiner Weise zur Realität unserer Tage.
I
Aber das, liebe Gemeinde, war immer schon so; jedenfalls auch zur Zeit des Apostels Paulus, als er den Predigttext für den heutigen Sonntag Jubilate in seinem 2. Brief an die Korinther schrieb; im 4. Kapitel (14 – 18) heißt es:
„Denn wir wissen, dass der, den der Herrn Jesus Christus auferweckt hat, wird auch uns auferwecken mit Jesus und wird uns vor sich stellen samt euch. Denn es geschieht alles um euretwillen, auf das die Gnade durch viele wachse und so die Danksagung noch reicher werde zur Ehre Gottes. Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsere Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“
Dass der äußere Mensch verfällt und dass die Lebenssituation hoffnungslos ist, dass erfährt Paulus, weil er im Gefängnis sitzt und die damalige Welt deutlich ruppiger und rücksichtsloser mit einem Menschenleben umging als wir heute.
Der äußere Mensch konnte damals schon schnell verfallen, eine Schwerthieb, eine Zahnwurzelentzündung, eine Pestbeule und schon gab es keine Zukunft mehr für den äußeren Menschen. Es starb sich schnell und ich bin überzeugt, dass es damals mindestens ebenso viele gute Gründe gab, über die Verfallenheit es Äußeren zu klagen wie heute-
II.
In dieser Welt aber heißt der Jubilate-Grundsatz des Paulus: Der innere Mensch wird von Tag zu Tag erneuert. Denn der innere Mensch ist gar nicht auf das Äußerliche und Zeitliche fixiert, sondern auf das Zeitlose, das Unsichtbare, das Jenseitige, auf eine – wie es bei Paulus heißt – „ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“. Man mag darüber stolpern oder sich auch wundern, klingt dies doch etwas abständig und fremd. Doch in meinen Augen ist dieses Gegenüber, diese Unterscheidung zwischen „zeitlich-äußerlich-Verfallen“ und „ewig-innerlich-Erneuern“ mit das Modernste und Zukunftsfähigste, was ich von Paulus kenne. Denn der innere Mensch oder – wie viele Jahrhunderte später Martin Luther sagen wird – der inwendige Mensch ist die letzte und gewichtigste Quelle gegen alles äußere Verfallen, gegen Mutlosigkeit und Verzweiflung, gegen Miesepeter und Griesgrame. Nur ein innerlicher, ein inwendiger – heute würde man vielleicht sagen – ein seelenstarker, innerlich resilienter Mensch kann sich wehren gegen alle äußere Verfallenheit. Und deswegen ist es auch für unseren Glauben zentral, dass wir diese Unterscheidung zwischen äußerlichen und innerlichen Mensch aufrecht erhalten und verteidigen. Denn eine solche Quelle von kräftiger Opposition und unzerstörbarer Zuversicht, die können wir ja doch auch sehr gut gebrauchen, damit wir gegen alles Klagen und Jammern, gegen alles Miesepetrige in uns und um uns herum Widerstand leisten können. Wie sollten wir einen Jubilate-Gottesdienst feiern, wenn es nicht inwendige Quellen der Zuversicht und Unverzagtheit gibt? Das Äußere ermutigt dazu jedenfalls nicht!
III.
Leider aber – und damit wird die Sache kompliziert – kann man mit dem inneren Menschen auch sehr äußerlich umgehen! Man kann ihn quasi dem Verfall des äußeren Menschen gleichschalten. Der äußerliche Verfall kann auch „Herz und Mund und Tat und Leben“ befallen, der Mut kann verfallen, die Zuversicht kann kränkeln, das Unverzagte kann Urlaub machen und dann sind wir Menschen auch innerlich „auf den Hund gekommen“, also können uns seelisch weder ein Pferd noch einen Ochsen als Zugtiere leisten, sondern müssen mit einem Hundekarren vorlieb nehmen. Der innere Mensch gehört zu den bedrohten Arten unserer Welt! Der den Äußerlichkeiten verfallene Mensch dominiert, also jener Mensch, der im Außen lebt, in Kaufhaus und Konsum, in Kino oder Künstlichkeit, im Sichtbaren und Vordergründigen, also in all dem, was den innerlichen, inwendigen Menschen veräußerlichen kann. Deswegen ist die Stärkung des inneren, inwendige Mensch unerlässlich und oft der einzige Widerstand, die einzige Quelle, um gegen all die äußerlichen Gefangenschaften und Verfallsdaten anzutreten.
Und es kein Wunder, liebe Gemeinde, dass alle diktatorischen Absichten immer daran zu erkennen sind, dass sie den inneren Menschen äußerlich festlegen wollen. Dabei ist es fast gleichgültig, in welche Weltgegend oder in welche historische Zeit man schaut, immer sind Diktaturen – oder solche, die es werden wollen – daran zu erkennen, dass sie den inneren Menschen veräußerlichen und bestimmen und gar ersticken wollen. Russland unter Putin mitsamt der russisch-orthodoxen Kirche überfallen ein Nachbarland und zerstören äußerlich-militärisch genau das, was sie eigentlich befreien wollen. Aber im Kern überfallen sie gar nicht nur das äußere Land, sondern sie bekämpfen die Seelen der Menschen, sie wollen keine Ukrainer*innen mehr kennen, sie wollen keine ukrainischen Geschichte, kein ukrainisches Innenleben, keine ukrainischen Lieder, sondern der innere Mensch soll russisch werden, er soll seine ukrainische Identität verlieren. Alle Diktatoren haben Angst vor einem stabilen inneren Menschen, der andere Lieder singt, der andere Sprachen spricht und andere Werte teilt, der andere Hoffnungen hat und andere Helden*innen verehrt – das war damals im Faschismus und Stalinismus so, und ob es in China oder Myanmar oder Iran anders zugeht, wage ich zu bezweifeln. Der innere, unabhängige, der von Tag zu Tag erneuerte Mensch ist die eigentliche Gefahr für alle Diktaturen, für alle, die Angst haben vor mehr als ihrer eigenen Meinung.
Deswegen können wir – liebe Gemeinde – wirklich froh sein, dass wir fast täglich eine Öffentlichkeit haben, die sich streitet und diskutiert, denn nur wer den inneren Menschen verbieten will, der hält Demokratie für eine „Quatschbude“ und kritischen Journalismus für „Journaille“. Doch der innere, aufs Ewige gerichtete Mensch ist in Gefahr, immer und überall, auch vor sich selbst. Immer wieder muss er sich des Vorwurfes erwehren, dass er „nur“ innerlich, „nur“ inwendig, „nur“ kleinbürgerlich auf sich selbst bedacht ist, dass er brav im Biedermeierstuhl versinkt und sich der äußeren Mitverantwortung entzieht. Und tatsächlich ist an diesem Vorwurf ja auch etwas dran, ich erlebe jedenfalls immer mehr Menschen und auch Anteile in mir selbst, die so gar keine Lust mehr haben auf dieses ständige Diskustieren und Streiten und Kompromisse finden, die ja doch immer weniger sind als das, was eigentlich richtig und notwendig wäre. Es gibt auch in mir gute Gründe, so miesepetrig und griesgrämig zu werden wie am Anfang der Predigt beschrieben. Aber Demokratie backt grundsätzlich nur kleine Brötchen, Demokratie kennt nur Trippelschritte, große Schritte oder gordische Knoten zerhauen können nur autoritäre Herrschaften! Und das mag solange faszinieren, wie diese Schritte mir gefallen, ab dann sind sie pure Gewalt. Deswegen glaube ich, dass dieser Vorwurf der falschen Innerlichkeit selbst schon ein Versuch ist, die Widerstandskräfte des inwendigen Menschen klein zu reden und zu brechen.
IV. Zuletzt: Aber bleiben wir auf den Spuren eines Paulus, dann ist der innere Mensch dem Ewigen, dem Zeitlosen zugewandt, also jenen Dimensionen, die jedenfalls lange Jahrhunderte mit Gott als dem Inbegriff des Guten, des Wahren und Schönen gefüllt war. Gottes tägliche Erneuerung des inneren Menschen ist ja keineswegs inhaltlos oder formal, sondern erneuert wird der innere Mensch eben mit ihm, mit Gott selbst, mit seinem Licht, seiner Zuversicht, seiner Gerechtigkeit und Wahrheit.
Gottes Wort als Quelle der Erneuerung ist keine neutrale Mitteilung, kein sachdienlicher Hinweis für dies und das, sondern Licht, Leben, Liebe – oder eben auch: „Frau, Leben, Freiheit“, wie der tapfere Ruf der Frauen im Iran lautet.
Aber dass der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert werden muss – wie Paulus sagt – in seiner Orientierung an Gott und also an Wahrheit und Gerechtigkeit, an Güte und Barmherzigkeit, das leuchtet mir durchaus ein, denn sonst wird der innerliche Mensch schnell äußerlich. Und es ist diese Rede vom Tag-für-Tag- erneuertem-Leben der Grund für die Einrichtung der täglichen Herrnhuter Losungen, denn sie sollen uns jeden Tag neu erinnern an diesen inwendigen Menschen, der täglich Kraft tanken und Mut einatmen muss, damit er nicht verlustig geht – also unlustig wird. Und das gilt selbst für all jene Losungsworte, die ihrerseits „quer im Stall stehen“ und scheinbar so gar nichts mit mir und meinem Leben zu haben, wie z.B. die Losung für den heutigen Sonntag Jubilate:
„Wer als Verleumder umhergeht, gibt Vertrauliches preis, wer aber verlässlich ist, behält Geheimnisse für sich“ (Sprüche 11, 13).
Der Spruch passt ja wirklich zu keinem einzigen Gedanken meiner Predigt oder gar zum Sonntag Jubilate. Aber gerade deswegen ist er klasse, erinnert er doch so daran, dass der innere Mensch eben nicht auf Passgenauigkeit zu den eigenen Gedanken angewiesen sein sollte.
Gott sei Dank ist das so, Hurra und Amen!