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Predigt · 1. Sonntag nach Epiphanias · 7. Januar 2024 · Pfarrer Michael Hufen

Posted on Jan 8, 2024 in Predigten

Liebe Gemeinde, 
eigentlich könnte ich es heute mal ganz kurz machen: „Wenn jemand den Herrn nicht lieb hat, der sei verflucht. Maranata!“ So schreibt es Paulus am Ende des 1. Korintherbriefs. Alles klar. Wer hat noch Fragen? Ja, ich. Warum schreibt das Paulus erst im 16. Kapitel seines Briefs?

Wenn es alles so einfach wäre und so klar verständlich, was das denn bedeutet: „den Herrn lieb haben“ – und was das dann für das eigene Leben als Christin und Christ und das Leben der Gemeinde, der er diesen ausführlichen Brief schickt, bedeuten mag, warum dann 15 Kapitel vollgepackt mit Problembeschreibungen und theologischen Erklärungen. Am Ende eines – vielleicht im Umfang dem 1. Korintherbrief ähnelnden Buches findet sich ein ähnlich auslegungsbedürftiger Satz. Eliot Weinberger: „Engel &Heilige“: 1. Teil Engel – 60 Seiten, 2. Teil Heilige – 90 Seiten und 3. Teil Das Jenseits – 1 Seite „Im Glaubnitztal in Kärnten erzählte man sich noch bis vor kurzem die Geschichte von zwei Schafhirten, alten Freunden, die einen Pakt schlossen: Starb der eine, würde er zurückkehren und dem anderen erzählen, was er gesehen hatte. Tatsächlich starb einer von ihnen wenig später und kehrete tatsächlich zurück.Er sagt: „Es ist nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es ist nicht so, wie du es dir vorstellst. Sie sind sehr streng, was die Regeln angeht.“
Dann verschwand er. „Den Herrn lieb haben“ – „Sie sind sehr streng, was die Regeln angeht.“ Also: wie denn nun? 

Am Anfang eines neuen Jahres stehen wir und schauen zurück und nach vorn. Ich wünsche Ihnen allen, dass sie auch mit Freude und guten Erinnerungen ins vergangene Jahr zurückblicken können. Persönliche Erlebnisse und weltpolitische Ereignisse machen dies am Anfang des Jahres 2024 sicher zu einem schwierigen, wenn nicht gar unmöglichen Unterfangen.
Und der Blick nach vorn? Mit gutem Mut sollten wir zwar vorangehen, gerade und besonders, wenn wir das, was wir uns Weihnachten über Hoffnung, Zuversicht und Veränderung der Welt erzählt haben, die seit Jesu Geburt diese Welt in einem neuen Licht erscheinen lassen, aber wie schwer fällt uns das? Draußen im Schaukasten habe ich ein Blatt mit der Jahreslosung für das Jahr 2024 aufgehängt. Auf den gängigen Internetseiten fand ich die Losung in Deutsch, Französisch, Englisch ja sogar Latein und Altgriechisch; in Ukrainisch und Russisch stand sie da nicht, auch nicht in Arabisch und Neu-Hebräisch – auf dem Aushang jetzt schon.

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ so schrieb es Paulus an die Gemeinde in Korinth, 8 Verse vor dem zünftigen Zuruf, den ich an den Anfang dieser Predigt gestellt habe.
„Wenn jemand den Herrn nicht lieb hat, der sei verflucht. Maranata!“ „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ – Aufforderung und Erinnerung, Zusammenfassung christlicher Existenz und ganz sicher auch ein Alleinstellungsmerkmal des Christentums. 16 lange, manchmal zähe, immer hochtheologische und doch auch gemeindealltägliche Kapitel lang schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. Einige dieser Kapitel kennen wir alle – mindestens das Hohelied der Liebe im 13. Kapitel – immer wieder gern zitiert, sozusagen ein absoluter Grundbestandteil jeder kirchlichen Trauung – dabei beschreibt Paulus ausführlich die göttliche Liebe zu uns Menschen und ihre Entsprechung in der mitmenschlichen Liebe, weniger in der partnerschaftlichen, gar ehelichen Liebe – damit hatte es der gestrenge Glaubenslehrer nicht so. Einen anderen Text aus dem 1. Korintherbrief werden wir nachher beim Abendmahl hören. Die Einsetzungsworte zum Abendmahl finden wir als Zitat Jesu nur hier im Paulusbrief. Eingebettet in die ausführliche Besprechung von Missständen in der Gemeinde bei der Feier des Abendmahls in der Gemeinde. Überhaupt die Gemeinde in Korinth. Das antike Korinth war eine blühende, aber auch korrupte und hinsichtlich der Sitten ziemlich berüchtigte und heruntergekommene Großstadt. Der Apostel Paulus hatte die Gemeinde wahrscheinlich im Jahr 49 nach Christus auf seiner zweiten Missionsreise gegründet. Die Gemeinde entwickelte sich zunächst sehr gut. Doch dann traten Probleme auf, wie der erste Korintherbrief zeigt. Der Glaube der Gemeinde war in große Gefahr geraten, rivalisierende Gruppen hatten sich gebildet, es gab sittliche Missstände und große Unsicherheiten hinsichtlich des Verhaltens in der Gemeinde und gegenüber der heidnischen Umwelt. Im Gottesdienst kam es zu unwürdigen Zuständen, vor allem auch beim Abendmahl, das man noch als Gemeinschaftsmahl feierte. Auch die Auferstehung der Toten wurde geleugnet.

Für Paulus liegt die Ursache aller dieser Probleme in einem schwerwiegenden Missverständnis der Korinther hinsichtlich ihres christlichen Glaubens. Die Korinther fühlten sich bereits als Teil der himmlischen Welt und betrachteten das Wirken des Heiligen Geistes unter ihnen als Beweis dafür. Sie verhielten sich überheblich, selbstgefällig und schauten verächtlich auf Paulus und seine Mitarbeiter herunter. „Alles ist erlaubt“, glaubten sie, und so verhielten sie sich auch. Paulus schrieb daraufhin den ersten Korintherbrief, um die Gemeinde auf das Zentrum des Glaubens, das Kreuz von Jesus Christus, hinzuweisen.    Aus diesem Brief, aus dieser Korinther Glaubenskrise stammt unser Predigttext. 

1 Kor 1,26-31:

„Seht doch, Brüder und Schwestern, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme. Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der für uns zur Weisheit wurde durch Gott und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, auf dass gilt, wie geschrieben steht: »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder 

Zwischen Paulus und „seiner“ Gemeinde in Korinth hat es ordentlich gekracht. Eigentlich die ganze Palette von Streitigkeiten, die ein „normaler“ Mensch in einer Gemeinde auch erwarten würde.

Kann ich bitte diese „alten“ Probleme auch haben!

Eine Gemeinde, die sich um theologische Fragen streitet, die bereit ist auf ihren Gründer zu hören – wie herrlich.  

So oder so ähnlich lese ich den Leitartikel zur Jahreslosung in der Kirchenzeitung von unserem Bischof Stäblein. Er beschreibt die Herausforderungen, vor der Gemeinden, ja die ganze Kirche heute stehen. Harter Streit, ohne wirklich aufeinander zu hören, schnelle Urteile über Menschen, die nicht der gleichen Meinung sind, sei es zu Corona, zur Frage von Krieg und Frieden in der Ukraine oder darüber, wie differenziert man die unglaubliche Gewalt im Gazastreifen bewertet. „Lumpenpazifist“ war da eine schnell gebrauchte Bezeichnung, „Querdenker“, „Leugner“ auch gerne genommen. 

Wie gerne hätte ich da den Streit in Korinth.

Als Student habe ich geradezu atemlos den Ausführungen von Prof. Wolff – einem ausgewiesenen Spezialisten – über die Zustände in Korinth gelauscht. 

Das war weit vor der Kirchlichen Mitgliedschaftsuntersuchung, der noch im Januar erwarteten Studie zum sexuellen Missbrauch in der evangelischen Kirche und den unaufhörlich steigenden Kirchenaustrittszahlen.Und es war natürlich auch vor Corona, vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine und dem Terrorangriff am 7.Oktober doch etwas ganz Entscheidendes war auch anders, es war offensichtlich noch üblich Briefe zu schreiben, Argumente sorgsam abzuwägen, im Empfänger  – und hat man ihn noch so deutlich als Gegenspieler erkannt  – immer den Menschen zu sehen, der genauso wie man selbst, von Gott geliebt, immer auf der Suche, fehlerhaft und voller Irrtümer ist.  

Unser Bischof wünscht sich, dass Kirchen und Gemeindehäuser die Orte sind, an denen Auseinandersetzungen in Liebe zu führen sind, ja dass Kirchen und Gemeindehäuser zu Demokratieschulen werden. Wie schön wäre das, nur genau hier liegt ja das Problem und ich möchte es mit der korinthischen Situation vergleichen. Die Korinther haben sich an die Brust geschlagen und gesagt, wir sind toll, bei uns wirkt der Geist. Nur, gestimmt hat das irgendwie nicht – und Paulus hat sie deutlich darauf hingewiesen.
Das Selbstbewusstsein mit der Kirche in den vergangenen Jahren Positionen besetzt hat und dabei bewusst oder unbewusst einen erheblichen Teil der Bevölkerung, ja der eigenen Gemeindeglieder vor den Kopf gestoßen hat, macht genau das so schwer: in Gemeindehäusern Auseinandersetzungen in der Liebe zu führen, offen und einladend für die Menschen zu sein, die gesellschaftlich unbeheimatet, sich immer weiter zurückziehen oder abdriften, weil sie nicht gehört werden oder sie einfach müde geworden sind, sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die schon immer auf der richtigen Seite gestanden haben und den harten und bösartigen Ton aus den sogenannten sozialen Medien auf den mitmenschlichen Umgang übertragen. 

Zugegeben, Paulus ist mit seinen Bemerkungen auch nicht immer fein: „Wenn jemand den Herrn nicht lieb hat, der sei verflucht. Maranata!“

Aber er hat wenigstens 15 Kapitel lang argumentiert, beschrieben, geworben und versucht zu überzeugen und wenn man auf den 2. Korintherbrief schaut, dann tut er das dann noch einmal 13 Kapitel lang. 

Auch wenn ich mir selbst eine gewissen Ungeduld nicht absprechen kann, halte ich es dann doch mit dem Text über das Jenseits: „Sie sind sehr streng, was die Regeln angeht“: Es wird nicht gesagt, ob es die Befolgung von Regeln in diesem Leben betrifft und vor allem welcher? oder ob nach dem Tod alles sehr wohlgeordnet zugeht. Was aber gesagt wird: es wird anders sein als wir es erwarten.  

Diese Erkenntnis soll uns aber nun nicht müde und gleichgültig machen. Uns bleibt immer noch die Aufgabe, herauszufinden, wie menschliches, mitmenschliches Leben hier in dieser Welt funktioniert. Und da sind wir immer wieder darauf zurückgeworfen, was wir wissen können, ja, was wir als den Grund unseres Glaubens beschreiben.Gott als Kind in diese Welt gekommen, das Licht, das uns im Dunkeln den Weg finden lässt, herrscht tatsächlich als König  – nach seinen Geboten und nicht nach den menschlichen.  „Wunderrat“, „Ewig-Vater“, „Friedefürst“ – so wird er verheißen. Als lebendiges Wort der Liebe Gottes ist er im Stall zur Welt gekommen. Als Mensch hat er gelebt, gelitten und ist gestorben, für uns, uns zu Gute. Aus Liebe.Mehr als wir fassen können, aber antworten können wir und es wenigstens versuchen:
Alles was wir tun, versuchen wir aus der Liebe heraus zu tun.

Gott, Hilf uns bitte dabei!

Amen