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Predigt · Christnacht 24. Dezember 2023 · Pfarrerin i.R. Ruth Misselwitz

Posted on Dez 25, 2023 in Predigten

Luk. 2,1-20

Liebe Schwestern und Brüder,
in diesem Jahr scheint es besonders schwer über die Botschaft der Engel zu predigen, die da heißt:
„Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren ist, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden, den Menschen ein Wohlgefallen.“
In der Stadt Davids – in Bethlehem – erklingen heute in der Geburtskirche keine weihnachtlichen Gesänge,
die Kirchen in Israel sind geschlossen. In dem Land, in dem Jesus vor 2000 Jahren geboren wurde, ist Krieg.
Radikale terroristische Hamaskämpfer haben Israel überfallen, Menschen ermordet, Frauen vergewaltigt und Geiseln entführt. Die israelische Regierung reagiert mit eiserner Härte gegen die Hamaskämpfer im Gazastreifen und nimmt dafür unschuldige Opfer in Kauf – Kinder, Frauen, Kranke, Alte. In einer Erklärung des ökumenischen Rates aller christlichen Kirchen dieser Welt, die im November diesen Jahres in Nigeria getagt haben, heißt es:

Nicht nur in Israel herrscht Krieg – auch und immer noch in der Ukraine, sowie in unzähligen Orten auf dieser Erde. Der Krieg ist überall auf unserer Welt präsent – damals wie heute. Ist es dann immer noch sinnvoll, die Botschaft der Engel vom Frieden und von der Freude zu verbreiten?

Liebe Schwestern und Brüder, nichts ist sinnvoller als das – gerade oder trotz des Zustandes unserer Welt.
Nichts anderes taten ja damals auch die Engel. Ihre Botschaft verkündeten sie mitten in die dunkle Nacht hinein, in ein Land, das gepeinigt und ausgebeutet wurde von einer Weltmacht, die alles aus den Bewohnern herauspresste, um ihre Macht zu erhalten. Die Engel verkünden Ihre Botschaft gerade den Ärmsten der Bevölkerung, den an den Rand Gedrängten und Gedemütigten – den Hirten auf dem Felde.
Euch ist heute der Heiland geboren – euch ist der ersehnte Frieden versprochen, euch wird Gerechtigkeit widerfahren, weil Gott sich entschieden hat, selbst als Mensch unter den Menschen zu wohnen, um euch nahe zu sein und euch zu befreien.

Die äußerlichen Bedingungen waren alles andere als komfortabel. Als Familie hat sich Gott zwei Menschen aus einfachen Verhältnissen mit einer komplizierten Beziehung ausgesucht. Der Verlobte Josef weiss nicht woher das Kind kommt, das in Marias Bauch wächst und dennoch nimmt er es als seinen Sohn an und übernimmt die Fürsorge für ihn. Von einer heilen Familie kann keine Rede sein. Als Geburtsort wählt Gott einen ärmlichen Stall mit Ochs und Esel. Die Botschaft von der Erlösung der Welt, vom langersehnten Frieden und seiner Gerechtigkeit erreicht genau die Menschen, die es am nötigsten brauchen.

Und so, liebe Schwestern und Brüder, ist es auch heute noch. Die Menschen, die in der Dunkelheit und im Elend leben, brauchen am dringendsten die Botschaft des Friedens und der Gerechtigkeit. An sie wenden sich die Engel, für sie ist der Heiland geboren. Und so gilt auch ihre Botschaft den leidenden Menschen in der Ukraine, den trauernden Müttern und Frauen der Soldaten in Russland, den verwundeten palästinensischen Kindern, Frauen und Männern im Gazastreifen, den Kindern, Frauen und Männern in Israel, die von Furcht und Entsetzen gelähmt sind.

Diese Botschaft des Friedens gilt allen Menschen dieser Erde, die unter Hass und Gewalt leiden und sich nach Frieden und Gerechtigkeit sehnen.Doch die Botschaft der Engel vom Frieden hat einen anderen Klang als die Botschaft der Militärs und Politiker. Die göttliche Botschaft vom Frieden hat ihren Ursprung in der Vergebung und der Liebe. Die weltliche Botschaft vom Frieden hat ihren Ursprung in der Vergeltung und der militärischen Stärke. Gott bietet für die Erlösung der Welt andere Werkzeuge an, die sehr viel nachhaltiger sind. Wir kennen sie aus der Botschaft und dem Leben Jesu. Es ist die Gewaltlosigkeit, die Feindesliebe, die Barmherzigkeit, die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Demut und die Hoffnung – um nur einige zu nennen.

Und uns als Christen ist es aufgetragen, diese Werkzeuge immer und immer wieder vom Staub des Vergessens zu befreien und sie anzuwenden. So schwer und so unsinnig, das auch erscheinen mag – wir werden nicht davon entbunden. Wir als Kirchen haben das Feuer der Zerstörung zu löschen und nicht noch Öl hineinzugießen, indem wir religiöse oder nationalistische Vorurteile und Abgrenzungen verkünden und die eine oder andere Seite militärisch aufrüsten.

Unsere Aufgabe ist es, Brücken wieder aufzubauen da, wo sie eingerissen wurden. Unsere Aufgabe ist es, die Bewahrung der Menschenwürde für alle Opfer einzuklagen. Unsere Aufgabe als Kirchen ist es, zwischen den Stühlen zu wandern und für das Leben auf allen Seiten einzustehen. Und das beginnt im Kleinen, unmittelbar in unserer Umgebung. Das beginnt mit unserer Sprache und unserem Denken.
Achten wir auf unsere Sprache, wie wir über Russen und Ukrainer reden, wie wir über Juden und Muslime reden, über Palästinser und Israelis.
Entfernen wir das Gift des Hochmuts und der Feindseligkeit und geben wir der heilsamen Kraft der Menschenliebe Raum, so werden wir die zarte Pflanze der Hoffnung mitten unter uns entdecken.
Sie wird wachsen, wenn wir ihr Raum und Nahrung geben – Licht bekommt sie von ganz oben, wenn nicht unser Schatten auf sie fällt.

Liebe Schwestern und Brüder,
die frohe Botschaft der Engel an die Hirten von der Freude und dem Frieden ist für uns und für die Welt überlebenswichtig. „Die Mitte der Nacht ist der Anfang des Tages“ – diese alte Weisheit ist Trost und Orientierung für alle, die die Finsternis umhüllt. Ja, Gott hat die Welt nicht verlassen, im Gegenteil, er ist mitten in sie hinein gestiegen, um alle die aufzufangen, die nicht mehr weiter wissen. Ich möchte schliessen mit einem Vers von Jochen Klepper aus dem Lied:
Die Nacht ist vorgedrungen
„Noch manche Nacht wird fallen auf Menschen Leid und Schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“

Amen.