Predigt · 15. Sonntag nach Trinitatis · 17. September 2023 · Pastor Thies Gundlach
Predigttext: 1. Mose 15, 1-6
Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater, und unserem Herrn JC.Amen
Liebe Gemeinde,
der vorhin gelesene Predigttext für den heutigen Sonntag ist einer der wirkmächtigsten Text des ATs: „Und Abram glaubte dem Herrn, und dass rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“ (Gen 15,6). Denn diesen Vers hatte nicht nur der Apostel Paulus in die Mitte seiner Theologie gestellt, sondern auch für Martin Luther und seinen reformatorischen Einsichten war er entscheidend. Es ist der Glaube, der uns gerecht vor Gott macht, nicht die Werke. Und dass der Vers auch im Judentum zentrale Bedeutung hat, liegt auf der Hand, ist doch unser AT ihr alleiniges Testament, – auch wenn das jüdische Verständnis des ATs nie Teil des christlichen Glaubens gewesen ist. Und für den Isalm ist ebenfalls dieser gehorsame Abram eine Schlüsselfigur, sodass man sagen kann:
Alle monotheistischen Religionen beziehen sich auf Abram und auf diesen Vers. Aber natürlich versteht jede dieser Religionen jeweils etwas ganz eigenes darunter, sodass die alte Einsicht der Religionswissen-schaft immer noch zutrifft: Die Religionen unterscheiden sich gerade da am Deutlichsten, wo sie die größten Gemeinsamkeiten haben, das ist bei Abram so, bei Hiob, bei Maria usw.
I.
Die Frage ist nur: Wie verstehen wir Protestanten diesen Text heute?
Gott stellt sich dem Abram erst einmal so vor, wie er sich in der Bibel immer vorstellt – bis hin zur Weihnachtsgeschichte und zum Auferstandenen: „Fürchte dich nicht!“ Gott ist ein Ent-Ängstiger, ein Verteidiger gegen die „Dunklen Künste“ – um mal mit Harry Potter zu sprechen. Dann folgt seine Namensvorstellung: „Ich bin dein Schild und sehr großer Lohn!“ Also übersetzt: Ich bin “Schutz und Schirm“ – aber nicht „Schild und Schwert“! Ich bin dein Schutz und deine Zukunft, deine Nachhaltigkeit, deine Nachfolgegarantie. Damals war dies im Wesentlichen die Nachkommenschaft, wie es vorhin im Psalm 127 schon anklang: Kinder sind ein Segen und gut ist es, wenn der Köcher voll ist. Zugeben: Das ist nicht mehr ganz aktuell! Aber umgekehrt gefragt: Welchen Lohn, welche Nachhaltigkeit würden wir uns erhoffen: Gesundheit? Güter? Grenzen?
Abram jedenfalls reagiert auf diese Höchstlohn-Ankündigung mit einer eher mürrischen Mindestlohn-Mitteilung:
Was soll das, lieber Gott, kennst du dich nicht aus mit dem Alter und der schwächelnden Libido? „Ich gehe dahin ohne Kinder und mein Knecht Eliaeser von Damaskus wird mein Haus besitzen!“ Eine recht nüchterne Reaktion, der Weg zum Glauben an die Verheißung ist noch weit. Gott aber bleibt bei seinem Höchstangebot: „Kannst du die Sterne am Nachthimmel zählen?“ Natürlich kann Abram das nicht, was zum einen beweist, dass Abram ein Mensch ist, zum anderen, dass das Weltall wirklich viele Sterne hat, und zum dritten, dass Gott ihn durch Überbietung überzeugen will. Zuerst hat Abram ja nicht einmal ein einzigen Nachkommen für möglich gehalten, aber als Gott nachlegt und die Nachkommenschaft ins Unzählbare erweitert, ist Abram sozusagen geschlagen und glaubte Gott.
II.
Auch als moderner Mensch kann man diesen überwältigenden Blick auf den Sternenhimmel durchaus nachempfinden. Als ich vor zwei Jahren mit einem Segelschiff über den Atlantik gesegelt bin, habe ich den berühmten Schlusssatz von Immanuel Kants „Kritik der Praktischen Vernunft“ quasi persönlich lieben, achten und verehren gelernt: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht …: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ So wird es Abram auch gegangen sein – wer so ein Universum schaffen kann, dem wird man Glauben schenken dürfen. Der Sternenhimmel hat die Kraft, unseren Alltag, unsere Sorgen, unser „Weh und Ach“ nicht klein, wohl aber realistisch zu machen. Und entsprechend wird die Gerechtigkeit nicht erworben, sondern „zugerechnet“, zugesagt, zugesprochen, zugeflüstert, zugeraunt, zugesungen! Sie ist weder von Abram noch von uns zu erwerben oder zu verdienen, nicht zu erarbeiten oder zu kaufen, sondern man muss sie sich gefallen lassen, man kann sie hinnehmen, annehmen, geschehen lassen, aber nicht erwarten oder einfordern.
Aber natürlich muss man die unterschiedlichen Vorstellungen von dieser zugerechneten Gerechtigkeit vor Augen haben:
Für Abram ging es schlicht um die Zukunft seines Geschlechts. Damals dachte man in Abstammung und Genealogie: Volk, Stamm, Familie – das waren die Größen, in denen man Zukunft sichern konnte. Aber heute ist eine solche Volk- & Stammes-Orientierung eine Drohung. Denn alle modernen Versuche, diese Kategorien in der Gegenwart wiederzubeleben, endeten in einer Katastrophe, sei es im Völkischen oder im Fanatismus der Warlords.
III.
Aber wie dann? Was ist unsere Lesart für diese zugerechnete Gerechtigkeit? Gehen wir an den Anfang der Geschichte zurück und hören noch einmal Gottes Selbstvorstellung: „Fürchte dich nicht! Ich bin dein Schild und sehr großer Lohn!“ Wovor fürchten wir uns? Welcher Horror besetzt unsere Seelen? Welche Abgründe bewohnen unsere Herzen? Gerade wir Deutschen neigen ja bekanntermaßen zu einer „German-Angst“, wie die Englänger sagen, und tatsächlich: Im Grunde hatten wir uns doch im letzten Winter schon ohne Wärme in sibirischen Kälte-Verhältnissen gesehen? Und dann war schlagartig klar, dass uns „der Robert“ die Gasheizungen persönlich rausreißen wird. Und jetzt „schmiert die deutsche Wirtschaft ab“, wie der SPIEGEL schrieb. Immer hab ich das Gefühl: Geht’s nicht auch ein bißchen Kleiner? Es bleibt natürlich richtig: Krisen sind da, von der Klimakatastrophe, die in diesem Sommer deutlich mehr Belege gefunden hat als wir alle gehofft hatten, bis zur Spaltungskatastrophe, die sich in Hasstiraden und Gewaltexplosionen niederschlagen. Aber Krisen-Listen befördern Ängste und stärken Mutlosigkeit. Krisen-Listen bevorzugen Paniklösungen, sie erzeugen grobe Urteile und verstärken das Gefühl, zur letzten Generation zu gehören. Krisen-Dramatisierung sind Wasser auf die Mühlen von schnellen, einfachen und schlichten Lösungen. Aber hier gilt der alte Grundsatz: Einfache Antworten auf komplexe Probleme sind immer falsch!
IV.
Aber wie dann? Was bewirkt die von Gott zugerechnete Gerechtigkeit heute bei uns? Wieder hilft der Blick auf Abram? Sie verschafft ihm Freiheit von Zukunfts-Misstrauen, sie ist eine Art Mut-Infusion oder Zuversichts-Impfung, die ihn gegen alles noch so berechtigte „Weh & Ach“ der Krisen-Listen-Zukunft immun macht. Wenn Gott dem Glauben Gerechtigkeit zurechnet, dann muss die Angst vor Krisentürmen Reißaus nehmen, dann kriegt Mutlosigkeit Ausgangsverbot, Sinnleere wird neu betankt und Zuversicht gut genährt. Denn der Glaube an Gottes Zurechnungsfähigkeit und -bereitschaft schafft etwas in uns, was sich vermutlich wirklich nur sehr persönlich und quasi bekenntnishaft sagen lässt:
Gott entängstigt mich, er nimmt mir die Panik vor der Zukunftslosigkeit, er hebt meine Angst auf eine andere Ebene, in eine andere Dimension. Das ersetzt nicht Herausforderungen, aber eröffnet neue Kraftquellen. Gott schenkt mir im Glauben Schild und Zukunft, nicht als Lösung für meine Aufgaben, sondern als Ermöglichung einer Mut-Nahrung. Es ist gleichsam eine spirituellen Mahlzeit, sie hält mir eine andere Dimension hin, ein Ausatmen, ein Innehalten, eine Stille, die mich schützt und die mir hilft zu leben. Und dieses Innehalten ist mehr als Beruhigung, wenn auch weniger als eine Problemlösung! Gottes Zurechnung ist wie eine Insel, wie ein Eiland auf den Wogen des Krisenlebens. Eine Art Zwischenruf, eine Unterbrechung der vielen Ängste, die wir uns gönnen. Gottes zugerechnete Gerechtigkeit ist wie ein Horchen trotz Tosens, ein Staunen trotz Sorgen, ein Sehen trotz Nebels, es ist Innehalten ohne Angst und Sorge um mein Leben, um meine Zukunft, auch ohne Furcht vor meiner Schuld und meinem Versagen. Gott schafft einen weiten Raum in mir, aber er ersetzt mich nicht, er erschafft Licht, aber er sieht nicht für mich, er führt mich an Quellen, aber er trinkt nicht für mich, er öffnet Türen, aber durchgehen muss ich schon alleine.
V.
Das – liebe Gemeinde – sind jetzt alles persönliche, schwebende Formulierungen, die uns wie die Musik hineinlocken sollen in eine Stimmung, die uns glauben und hoffen lässt, dass Gott auch unseren zaghaften, sich in Krisen eingerichteten Glauben zur Gerechtigkeit anrechnet. Aber Worte sind Worte, sie haben ihre Grenzen; deswegen ein andere Übersetzung des gleichen Gedankens:
Schlagen Sie doch im Gesangbuch das Lied 487 auf; es ist eines der schönsten, innigsten und geistlichsten Abendlieder unseres Gesangbuches, es wird aber deswegen leider sehr selten gesungen.
Es ist wie kaum ein anderes geeignet, uns diese andere Dimension der Gottesgerechtigkeit spürbar zu machen. Denn mit der Nacht kriegen Ängste Ausgang, die Schatten werden länger, die Seele kann ihre Furcht leichter ins Bewusstsein spülen, weil die Vernunft ruht. Und dass diese Nachtsituation 1942, als der Text entstand, besonders dramatisch war und gegenwärtig wohl nicht so sehr bei uns, wohl aber bei vielen bedrohten Menschen dominiert, liegt auf der Hand. Und da hinein eine Wacht, eine Obacht, ein Schild und Schutz Gottes, der mit friedvollen Tönen mich anrühren will. Christus als mein Hort und Halt, den ich mit Gebeten bedrängen kann wie die bittende Witwe den ungerechten Richter (Lk 18) im Evangelium: Bleib bei mir! Bleib bei meinem Einschlafen, vertreibe meine vorlauten Ängste, schenkt mir Deinen Trost, dass ich „fromm“ werde, also laut Duden: tüchtig und tapfer, also innerlich stark und fest. So ausgestattet weiß ich, „dass auf gute Nacht guter Morgen kommt“. Und diese Zuversicht auf einen guten Morgen ist mindestens so groß und schön wie der gestirnte Himmel über uns, den Gott Abram gezeigt und den Immanuel Kant erkannt hatte. Amen