Predigt · 3. Sonntag nach Trinitatis · 25. Juni 2023 · Pfarrerin i. R. Ruth Misselwitz
Jona (3, 10 ) 4, 1 – 11
Liebe Schwestern und Brüder,
ein Prophet aus dem Alten Israel mit Namen Jona erhält von Gott den
Auftrag, nach Ninive zu gehen, um den Einwohnern ihr böses
Verhalten vor Augen zu halten und eine deftige Strafe Gottes
anzukündigen.
Ninive ist nicht irgend eine kleine unbedeutende Ortschaft in der
Nachbarschaft von Israel,
Ninive ist die Hauptstadt der Assyrer –
der Großmacht, die als Besatzungsmacht brutal das Nordreich Israels
überfallen und es jahrzehntelang unterdrückt hat.
Für einen Israeliten war Ninive das Symbol für Großmannssucht,
Gewaltherrschaft und Gottlosigkeit.
Und ausgerechnet in diese Stadt soll Jona gehen und das Strafgericht
Gottes androhen.
Jona weigert sich und ergreift die Flucht.
Am Anfang wird noch nicht gesagt warum –
aber ich kann mir sehr viele gute Gründe denken, warum er diesen
heiklen Auftrag nicht ausführen will.
Da wäre für mich zuerst die Furcht vor der Reaktion der Niniviten.
Wenn Jona ihnen ihre Bosheit vor Augen hält, kann er schon damit
rechnen, dass er ausgelacht, verfolgt, im schlimmsten Falle sogar
getötet wird.
Das Schicksal der Prophetinnen und Propheten, die den Königen und
dem Volk den Spiegel vor Augen gehalten,
und Recht und Gerechtigkeit eingeklagt haben,
nahm überwiegend ein böses Ende – bis auf den heutigen Tag.
Ein weiterer Grund wäre der Zweifel über die Wirksamkeit solch
einer Drohung.
Würde das was nützen, würden sie zur Einsicht kommen?
Würden die Worte nicht alle im Nichts verhallen und es wäre sowieso
alles sinnlos?
Jona beschließt jedenfalls, vor diesem Auftrag und vor Gott zu
fliehen und besteigt ein Schiff, das in die entgegengesetzte Richtung
fährt – nach Tarsis.
Ein furchtbares Unwetter tobt über dem Meer und die Matrosen
suchen nach dem Grund dieses Unheils und vermuten,
dass einer von der Besatzung den Zorn des Meeresgottes auf sich
gezogen hat.
Sie losen und das Los fällt auf Jona.
Verzweifelt versuchen sie noch das Schiff und das Leben des Jona zu
retten,
doch das Meer beruhigt sich nicht, bis sie Jona ins Meer werfen.
Doch Gott lässt einen großen Fisch kommen, der Jona verschlingt
und nach drei Tagen wohlbehalten an Land wieder ausspeit.
Und Jona bekommt zum zweiten mal den Auftrag:
„Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was
ich dir sage.“
Diesmal fügt sich Jona dem Auftrag
und das Unglaubliche passiert, die Niviviten hören Noah zu, erkennen ihre Schuld und tuen Buße –
zuerst die Einwohner, dann der König.
Und nun lese ich den Text im Jonabuch weiter, der der heutige
Predigttext ist aus dem 4. Kapitel.
„3,10 Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen
Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s
nicht.
4,1 Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig 2 und betete
zum HERRN und sprach: Ach, HERR, das ist’s ja, was ich dachte, als
ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis
fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und
von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. 3 So nimm
nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als
leben. 4 Aber der HERR sprach: Meinst du, dass du mit Recht
zürnst? 5 Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der
Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich
in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. 6 Gott
der HERR aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona,
dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem
Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus. 7 Aber am
Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen;
der stach den Rizinus, dass er verdorrte. 8 Als aber die Sonne
aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die
Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er
sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben. 9 Da
sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des
Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod.
10 Und der HERR sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich
nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht
ward und in einer Nacht verdarb, 11 und mich sollte nicht jammern
Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend
Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch
viele Tiere?“
Liebe Schwestern und Brüder, mit dieser Frage endet das Jona-Buch.
Wir wissen nicht, wie Jona darauf reagiert.
Aber uns gibt es eine Menge zu grübeln auf.
Und vor allem, wir bekommen die Antwort des Jona,
warum er sich diesem Auftrag entziehen wollte:
„Ach, HERR, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem
Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich
wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte
bist und lässt dich des Übels gereuen.“
Jona hadert mit Gott, weil die Niniviter nicht die gerechte Strafe
bekommen haben, die sie verdient haben.
Dabei wäre das doch die Gelegenheit gewesen, den Völkern,
die Israel unterdrückt und misshandelt haben,
zu zeigen, wer hier der starke und mächtige Gott ist.
Für sein geschundenes Volk Israel wäre es eine Genugtuung gewesen,
das hochmütige und gewalttätige Assur in Schutt und Asche zerstört
zu sehen,
endlich hätte sich die Gerechtigkeit durchgesetzt, auf die sie so lange
gewartet haben.
Rache und Vergeltung hätte Gott selbst übernehmen können für die
vielen Wunden, die ihnen geschlagen wurden.
Aber was passiert statt dessen?
Sie tuen Buße, sträuen Asche über ihre Häupter, ziehen das
Bußgewandt an, bereuen ihre Sünden und geloben eine
Kehrtwendung.
Wer soll das denn glauben?
Das sind doch alles nur Lippenbekenntnisse,
den Niniviten kann man doch niemals über den Weg trauen,
die sind doch alle falsch und böse.
Doch Gott vertraut ihnen, er glaubt ihnen,
er verzichtet auf Rache und Vergeltung,
er lässt sie einfach so weiter leben.
Das ist zuviel für Jona.
Mit so einem Gott will er eigentlich nichts mehr zu tun haben.
Dieser Gott ist für ihn eine einzige Enttäuschung.
Und er möchte lieber tod als lebendig sein.
Er hat genug vom Leben, er hat genug von diesem Gott,
der so nachgiebig, so gnädig, so barmherzig, mit so langem Atem
und so reich an Freundlichkeit ist,
der es sich wegen des Unheils noch einmal anders überlegt hat
und Gnade vor Recht gelten lässt.
Und Jona will sterben.
Da lässt Gott einen Rizinusstrauch wachsen, der dem Jona eine
köstliche Kühlung in der heißen Mittagshitze spendet.
Über Nacht aber zerstört ein Wurm diese Pflanze und Jona ist am
nächsten Tag verzweifelt über die Zerstörung seines
Schattenspenders.
Die Antwort Gottes darauf ist:
„Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, …..
der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, 11 und mich
sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als
hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts
oder links ist, dazu auch viele Tiere?“
Liebe Schwestern und Brüder,
Das Jonabuch ist eine ziemlich aufregende Geschichte über die
Gottesbilder, die uns anerzogen sind
und die uns prägen ein Leben lang.
Das Gottesbild in der Jonageschichte ist so ein ganz anderes
als wir es aus vielen Geschichten im Alten Testament kennen.
Hier begegnet uns nicht der zornige, gerechte und strafende Gott,
sondern der barmherzige, der gnädige, der menschenfreundliche Gott,
der Mitleid hat mit den Menschen und den Tieren,
der nicht Verderben, sondern Leben für seine Geschöpfe will.
Jesus Christus, der Zimmermannssohn aus Nazareth, knüpft genau an
dieses Gottesbild an.
In seiner Bergpredigt spricht er von diesem barmherzigen Gott,
der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute
und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte. (Matt. 5,43ff)
Aus diesem Gottesbild entwickelt Jesus die Feindesliebe,
die auch und gerade dem Gegner das Recht auf Leben und
Menschenwürde bedingungslos zuspricht.
Ja, Jesus fordert sogar seine Anhänger auf, genauso vollkommen zu
sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist, der seine Sonne und
seinen Regen allen Menschen schenkt.
Und noch ein zweites ist in dieser Jonageschichte für mich so
aufregend.
Gott hat Vertrauen in den Menschen.
Er glaubt an die Aufrichtigkeit der Einkehr und Umkehr der bösen
Menschen aus Ninive.
Und er schenkt ihnen einen neuen Anfang.
Das Alte darf der Vergangenheit überlassen werden,
es gibt Vergebung und eine neue Zukunft.
Gott sieht durch alle Schichten hindurch das Gute im Menschen,
er vertraut auf die Kraft des Guten in jedem Menschen.
Auch in dem bösesten und gewalttätigsten Tyrannen sieht er den
guten Kern und vertraut ihm.
Und wenn Jesus sagt, dass wir vollkommen sein sollen wie unser
Vater im Himmel vollkommen ist, dann meint er genau das.
Auch wir sollen Vertrauen zu den Menschen haben
und das Gute in ihnen suchen und aufdecken.
Das ist oftmals gar nicht so einfach.
Jona wollte schier darüber verzweifeln und lieber tod als lebendig
sein.
Aber Gott will nicht, dass wir tod sind, er will, dass wir leben und
einander vertrauen.
Was mich in dieser Geschichte noch berührt hat, ist die Erwähnung
der Tiere.
Nicht nur das Schicksal der 120 000 Menschen aus Ninive rührt Gott,
sondern auch das Schicksal der Tiere.
Gott will nicht um der Bosheit der Menschen willen, auch noch die
Tiere umkommen lassen.
Sie sind nun wirklich die unschuldigsten Opfer der menschlichen
Gewalttätigkeit.
Gottes Augenmerk ist eben nicht nur auf den Menschen gerichtet,
sondern auf seine gesamte Schöpfung.
Jedes Lebewesen, jede Pflanze, jeder Stein gehört zur guten
Schöpfung Gottes
und es ist ihm ein Greul, wenn das alles vom Menschen beschädigt
wird.
„Der Menschensohn ist gekommen zu suchen und selig zu machen,
was verloren ist.“ Lk. 19,10,
liebe Schwestern und Brüder,
so hörten wir es am Anfang des Gottesdienstes als Wochenspruch
über dieser Woche.
Lassen wir uns finden von diesem menschenfreundlichen Gott,
der nicht Rache, sondern Vergebung will,
nicht Zerstörung, sondern Umkehr und Leben.
Amen.