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Predigt · 1.Sonntag nach Trinitatis · 11. Juni 2023 · Pfarrer Michael Hufen

Posted on Jun 12, 2023 in Predigten

Liebe Gemeinde,

„Ich glaube“

Ich glaube an Gott, den Vater …

In den vergangenen Wochen waren wieder einige Schulklassen hier in der Kirche – im Rahmen von Projektwochen oder mit dem Ethikkurs zum Thema Weltreligionen.

„Glauben Sie wirklich an Gott?“ war eine häufige Frage, zu seltsam kam es den meisten Schülerinnen und Schülern vor, überhaupt etwas zu glauben und dann auch noch all diese  Geschichten von der Schöpfung und dem Mann am Kreuz.

Und eigentlich sieht der Befragte doch ganz normal aus.

Ja, ich glaube das.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass das erste Wort im Glaubensbekenntnis „Ich“ ist?

„Ich glaube“, ja ganz subjektiv bekenne ich mich dazu, was vor über 1500 Jahren christliche Gemeinden als gemeinsames Bekenntnis formuliert haben. Und ich weiß, dass dies alles andere als ein einfacher und friedlicher Prozess war, dass es auch hier schon um Macht ging um Rechtgläubigkeit und Häresie.

Ich habe mich entschieden in dieses Bekenntnis einstimmen zu können und mir ging und geht es dabei wie so mancher Konfirmandin und manchem Konfirmanden, die sich vor der Konfirmation fragen, ob sie das wirklich bekennen können, ob es wirklich ihr Bekenntnis ist.

Ich bekenne und ich reibe mich an manchen Aussagen und stelle fest, dass es gar nicht so einfach ist, es anders oder vielleicht sogar besser zu formulieren.

Beim Bekennen werde ich mir vielleicht meiner eigenen Begrenzt- und auch Beschränktheit bewusst. Ich glaube das und jemand anderes glaubt es auch und jemand wieder etwas anderes und alle gemeinsam versuchen wir das Göttliche zu umkreisen, dem wir uns auf unseren je eigenen Wegen anzunähern versuchen. Nicht weil wir es sollen, sondern weil wir vielleicht schon gespürt haben, dass Glauben mehr ist als ständige Herausforderung und Zweifel, sondern, dass er uns gut tut, ja dass Glauben und Religion mit ihren Traditionen gut tun.

Zuerst einmal mir, der bekennt: „ich glaube“.

Und weil der große Berliner Theologe Schleiermacher vielleicht Recht hat, wenn er von Religion als einem „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“ spricht. Glauben und Religion als etwas wahrnehmen, erleben und fühlen, dass mehr ist als Spekulation und Moral – nicht der erhobene moralische Zeigefinger des du sollst, sondern du kannst und du willst und darfst.

Ja warum eigentlich?

Da sind wir beim heutigen Predigttext

Auch eine Art Glaubensbekenntnis, aber ganz und gar nicht subjektiv, sondern absolut und ohne Relativierung.

Im 1.Johannesbrief heißt es im 4.Kapitel:
Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat.
Gott ist die Liebe;
und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Darin ist die Liebe bei uns vollkommen,
dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts;
denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.
Furcht ist nicht in der Liebe,
sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus;
denn die Furcht rechnet mit Strafe.
Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Wenn jemand spricht:
Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner.
Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht,
wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?
Und dies Gebot haben wir von ihm,
dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

„Gott ist die Liebe …“, schreibt der Autor der Johannisbriefe. Seine Worte richteten sich an eine Gemeinde, die inmitten heftiger Auseinandersetzungen lebte. Die religiös-philosopische Strömung der „Gnosis“ schickte sich an, mit ihrem Gedankengut die überlieferte Christusoffenbarung umzugestalten. Eine starke Betonung der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit des Lebens gingen in ihr einher mit geradezu hymnischen Spekulationen über die unvergängliche Seele im Körper des Menschen.

Die praktische Konsequenz war, dass die Gnostiker einerseits unbeherrscht und ausschweifend lebten, da ja diese Welt zu nichts nütze sei. Andererseits steigerten sich in eine asketische Grundhaltung, die Welt und Leben verneinte.

Im Johannesbrief heißt es in klarer Entgegensetzung zur „Gnosis“:„Wir haben erkannt und wir sind fest überzeugt, dass Gott die Liebe ist“ und – das macht nun den Unterschied – wer  liebt, der trägt Gottes Nähe in diese Welt Gottes.

Zwei Existenzweisen standen sich gegenüber: ‚Alles zwecklos. Man kann nichts machen, als sich aus diesem Leben zurückzuziehen’ oder ‚Liebe, praktische Liebe in und für diese Welt, ist unser Weg’. Darum sagt der Autor der Johannisbriefe in großer Deutlichkeit: „Wer seinen Bruder hasst (weil er ihm egal ist oder nur auf dem Weg zur eigenen Vollkommenheit im Weg steht), liebt nicht Gott.“

Von diesen Worten geht ein starker Impuls bis zu uns heute aus, ein Mensch der Liebe zu werden. Was aber heißt und bedeutet das? Wie ist es möglich, in einer Welt, in der jeder an sich selbst denkt, im Berufsleben und im privaten und öffentlichen gar nicht umhin kommt, sich zu schützen und partiell erst einmal an sich zu denken, „Liebe“, d. h. Nächstenliebe zu üben?

Dazu zuerst einmal zwei Fesstellungen, was Nächstenliebe nicht ist:

Wenn mir andere Menschen Mittel zum Zweck werden, wenn ich helfe und mich engagiere, um mir eigentlich nur selbst auf die Schulter zu schlagen, hat das mit Nächstenliebe, also mit einer menschlichen Antwort auf Gottes Liebe nicht viel zu tun.

Wenn ich mir in einer Scheinmoral gefalle, die sich nur um meine Interessen und meinen Bauchnabel dreht, dann auch nicht.
Liebe ist mehr als ein bisschen Menschlichkeit, die nicht wirklich weh tut.
Was aber ist „Liebe – Nächstenliebe“?

Unser Text verankert die Liebe zum Mitmenschen in der Liebe, die von Gott ausgeht. Man kann sogar sagen, dass die menschliche Liebe, so man das große Wort gebraucht, nicht ohne Verankerung in Gottes Liebe zustande kommt. Ich würde das als die Hauptaussage des Textes ansehen, so allgemein das jetzt auch in unseren Ohren klingen mag.

„Gott ist die Liebe.“  Das ist das Wesentliche. Es ist der Hauptsatz über Gott. Gottes Energie, Gottes Kraft und alles, was von Gott ausgeht, unterliegen ihm wie das Licht, das von der Sonne ausgeht. Gott wendet all sein Tun unter die Liebe. Der Lichtstrahl, der von Gott ausgeht, ist von ihm, das heißt durch seine Liebe geprägt.  
Wie die Sonne in sich Erscheinungen birgt, die wir nicht verstehen, ja als Schaden für uns ansehen, Eruptionen von Energiemassen, Sonnengewitter, Sonnenwinde und – stürme, so geht von Gott vieles aus, das wir nicht verstehen und das uns Schaden und Vernichtung bringt. Trotz dieser „dunklen Seite“ Gottes gilt, dass inmitten der vielen nicht nach-vollziehbaren Taten Gottes das allem Übergeordnete seine Liebe ist. Der Autor der Johannesbriefe will, dass wir das sehen und annehmen.

Die Grundhaltung Gottes beschreiben Menschen immer wieder in Geschichten und Bildern. Sehr bekannt ist das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“. Gott der Vater, der den Sohn, der sich von ihm entfernt hat, ja tatsächlich auf ziemlich krumme Wege geraten ist, wieder aufnimmt.

Gott ist der, der mich aufgrund meiner Schwächen, Fehler und Verirrungen nie abschreibt.
Er kennt keine Vorurteile gegenüber meiner Person, die er nun in meinem wiederholten Scheitern bestätigt sieht.
Er ist in Gedanken immer bei mir.
Er freut sich unbändig, wenn ich auf den guten Weg zurückgefunden habe.
Wenn mich keiner versteht und ich mich nicht verstehe, gibt es wie einen archimedischen Punkt seine ausgebreiteten Arme.

Geborgen, sicher, behütet und bewahrt wie der verlorene Sohn, der in die Arme des wartenden Vaters fliegt.

Liebe Gemeinde!

„Furcht ist nicht in der Liebe.“ Die „Liebe“ ist hier die Liebe Gottes. Karl Barth legt das darum so aus: Wer im Haus der Liebe Gottes bleibt, hat keine Furcht. Geht ein Mensch immer wieder in das Haus der Liebe Gottes, dann wird ihm die Furcht ausgetrieben.
Der Eintritt in das „Haus Gottes“, die Bewusstmachung, wie stark ich geliebt werde, lässt die Furcht nicht zu.

Keine Furcht haben – ich muss gestehen, dass mir das mit der Liebe, die Gott ist, einleuchtet, aber „keine Furcht haben“ finde ich gerade eine fast unglaublich starke Aussage:

ihr werdet keine Furcht haben – eure Seelen werden zur Ruhe kommen.

Die Situation vieler Menschen wird aktuell mit dem Wort „Seelenerschöpfung“ beschrieben. Seelenerschöpfung als Folge der sich immer schneller abwechselnden Ereignisse – Corona, Impfung, Inflation, Krieg, Migration und der damit einhergehenden Veränderungen und das alles vor dem Hintergrund des persönlichen Lebens mit all seiner Sorge, mit seinem Kummer und auch allzu oft auch seiner Trauer . Eine schier endlose Folge von Herausforderungen und Belastungen, die wir Menschen kaum verarbeiten und aushalten. Dauernde Veränderung die aufs engste mit hochmoralischen Verantwortungsreden verbunden sind, die Menschen erschöpfen und krank machen.

„Furcht ist nicht in der Liebe“

Bleibt im Haus Gottes und ihr bleibt in der Liebe

Es geht darum, sich sozusagen von Gottes Liebe anstecken zu lassen.

Und so können wir hoffentlich diese konkrete Aussage über Gott durch eine Art eigenes „Ich“-Bekenntnis – als Mischung aus Vertrauen und Hoffnung – ergänzen.
„Ich will keine Vorurteile hegen und pflegen.
Ich will niemanden abschreiben.
Ich will Geduld haben und warten.
Ich will vergeben und vergessen.
Ich will mich mit anderen über jedes gelungene Wegstück freuen.“

Angesteckt von der Liebe Gottes, ohne Furcht unser Leben nicht nur liebevoll annehmen – was schon viel ist – sondern auch unseren Mitmenschen liebevoll begegnen. Mit uns selbst und anderen Menschen barmherzig sein.

„Selig sind die Barmherzigen deswegen“, sagt Dietrich Bonhoeffer, „weil sie den Barmherzigen zum Vater haben.“

Amen