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Predigt · Sonntag Misericordias domini · Pfr. Dr. Thies Gundlach

Posted on Mai 11, 2023 in Predigten, Uncategorized

Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn JC. Amen

Liebe Gemeinde,

darf man als Pfarrer der evangelischen Kirche eigentlich einen vorgeschlagenen Predigttext doof, langweilig und banal finden? Darf man einen Bibeltext als theologisch unbedarft kritisieren? Kann man so mit der Bibel, mit unserer Heiligen Schrift umgehen?

Trocken konnte man sagen: Pensionierten OKR oder Vizepräsidenten dürfen vermutlich alles, sie sind ja nun „lame duck“ und also ungefährlich! Oder man verweist auf den Übervater Martin Luther, der ja auch nicht gerade zimperlich mit einzelnen Bibeltexten umgegangen ist; berühmt wurde sein Ausspruch: „In den Jäckel mit dem Jakobusbrief!“, den er auch für theologisch missraten hielt. Nun gut, eingestehen muss ich natürlich etwas kleinlaut, dass ich kein Martin Luther bin und dennoch halte ich den für den heutigen Sonntag vorgeschriebenen Predigttext für eine Entgleisung. Hören Sie einmal:   

„Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teil habe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: 2 Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist, und achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt, nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund, 3 nicht als solche, die über die Gemeinden herrschen, sondern als Vorbilder der Herde. 4 So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen.“ (1 Petrus 5, 1 – 4)

Ärgerlich finde ich nicht zuerst, dass nur die Ältesten, also die alten weißen Männer leiten soll, ärgerlich auch nicht allein, dass wir anderen als Herde bezeichnet werden, die offenbar geweidet werden müssen, sondern wirklich missglückt finde, dass 1. der Text ein Plagiat ist, weil sich der Autor hinter dem Apostel Petrus versteckt, ihn als Autoren ausgibt, obwohl dieser schon seit mindestens 50 Jahren tot ist. „Pseudepigraphen“ nennt man solche Leute, die ihre banalen Texte mit berühmten Namen schmücken, was in der Bibel häufiger vorkommt. 2. und schlimmer noch ist, dass die Mahnungen an die Ältesten irgendwie schrecklich richtig sind, aber doch auch völlig selbstverständlich. Man ahnt daher schon, welche desaströsen Verhältnisse in den angeschriebenen Gemeinden herrschen, sonst müsste man ja die Ältesten nicht derart ermahnen. Aber 3. und am Schlimmsten finde ich, dass der Autor sich theologisch überhebt, weil allein Gott, nicht aber ein Mensch die „unverwelkliche Krone der Herrlichkeit“ zusagen kann. Das ist doch eher eine Verschleuderung des Himmels, ein Art Übergriffigkeit über Gottes alleiniger Zuständigkeit, wenn man für halbwegs anständiges Hirtentun einen festen Platz im Himmel zugesagt bekommt.

II.

Gut, nun wissen Sie, liebe Gemeinde, dass ich diesen Predigttext nicht so richtig wertschätzen kann; aber wie jeder Text in der Bibel höre ich aus den Zeilen eine Frage heraus, die uns auch heute noch beschäftigen kann und sollte. Bleiben wir mal im Bild der Hirten als Gemeindeleitung: Wie sollte ein Hirte, ein Kirchenfürst, ein Erzbischof, auch ein Gemeindepfarrer oder Superintendent beschaffen sein, damit er ein guter Hirte ist? Auch wenn wir alle viel liberaler geworden sind, wir denken alle automatisch doch an einen anständigen, aufrichtigen, ehrlichen und kompetenten Menschen, der weder Sex noch Crime noch Rock`n Roll übertreibt. Wir haben ein moralisches Ideal vor Augen, das natürlich auch die Elemente des Predigttext enthält – ein Pfarrer oder Bischof sollte weder gierig sein noch herrisch – , aber vielleicht noch andere modernere Fähigkeiten haben, um ein Leitungsamt auszufüllen. Aber damit ist die Frage, welche moralische Qualität ein Hirte im Leitungsamt haben müsse, nicht grundsätzlich bedacht. Allerdings hat unsere Kirche schon ganz früh, nämlich im 3 Jh. eine fundamentale Antwort gefunden, die bis heute für die allermeisten Kirchen gilt. Und diese Antwort hat mit einer der schrecklichsten Christenverfolgungen aller Zeiten zu tun:

In den Jahren 249/251 n.C. hat der römische Kaiser Decius den allerletzten großangelegten Versuch unternommen, diese neumodische Religion des Christentum im ganzen Reich zu verbieten und die alten römischen Götter wiederzubeleben. Eine solche Christenverfolgung müssen wir uns etwa so vorstellen: Jeder Bewohner des römischen Reiches sollte vor einem Kaiserstandbild einen Kotau vollziehen, seinen Gehorsam schwören und durch eine Opfergabe den alten Göttern huldigen. Auf dem Boden vor dem kaiserlichen Standbild war ein Blech oder Stein gelegt, das ein Kruzifix zeigte, so dass man den Gekreuzigten mit seinen Füssen betreten musste – eine zutiefst kränkende Geste noch heute im Orient. Wer dies alles aber nicht tun wollte, geriet in Kerkerhaft oder gar in Lebensgefahr.

Diese sog. Decische Christenverfolgung wurde natürlich unterschiedlich streng umgesetzt, man kann sich das vorstellen wie bei uns die Corona-Politik, die zwar einheitlich verabredet wird, aber in der doch jeder Regionalfürst seine eigenen Regeln definiert. Manche Gegenden des Weltreiches haben die Verfolgungen gar nicht gespürt, andere dagegen hatten übereifrige Provinzfürsten und litten sehr unter diesen Verfolgungen. Besonders betroffen war damals die Kornkammer des Reiches, nämlich Ägypten, auch weil Ägypten seit Augustus die einzige Provinz des Weltreiches war, die dem Kaiser unmittelbar unterstellt war. In den Gemeinden in Ägypten brach nun die schiere Verzweiflung aus, denn nicht alle waren zum Märtyrertod geboren. Vermutlich war es damals wie es auch bei uns heute und zu allen Zeiten sein würde: Manche erwiesen sich als außerordentlich standhaft und verweigerten den Kaisereid und kamen dafür ins Gefängnis oder wurden sogar Blutzeigen JC. Andere flohen mit ihren Gemeinden in die Wüste und entgingen so den Häschern des Kaisers. Und wieder andere vollzogen diesen Kaisereid, um ihr Leben und das ihrer Familien zu retten, ohne aber innerlich mit dem Glauben zu brechen.

Zum Glück dauerte diese decische Verfolgung nur zwei Jahre, 251 n C war der Spuk vorbei und Decius tot. Nun aber ging in den Gemeinden eine ganz andere Verfolgung los, nämlich jene, die den Eid vor dem Kaiser verweigerten und den Mut zum Widerstand aufgebracht hatten, sprachen den in die Wüste Geflohenen und den Umgefallenen den Lapsi jedes moralische Recht ab, irgendetwas in der Kirche zu sagen oder zu tun zu haben. Sie hätten ja wohl den Herrn verraten und damit jeden moralischen Credit verspielt, all ihre Taufen oder Trauungen und erst recht ihre Gottesdienste und Eucharistiefeiern zählten nicht, denn Eucharistie heißt ja Gemeinschaft mit dem Herrn feiern, den sie gerade erst verraten hätten. Es müsse alles wiederholt werden. Die „Lapsi = Gefallenen“ hielten dagegen, dass sie in den Verfolgungsjahren die Gemeinde zusammengehalten hätten und dafür gesorgt hätten, dass Gottes Evangelium weiterhin gehört werden konnte. Und jetzt können wir, liebe Gemeinde, eine Art Murmelphase in die Predigt einbauen und Frage diskutieren lassen: Wie würden Sie entscheiden?

III.
Im Kern ging es damals schon um die Frage, welche moralische Qualität ein Hirte haben muss, damit seine Gottesdienste und Amtshandlungen gültig sind. Die Antwort der Kirche, die sich damals durchsetze und bis heute gilt, formulierte der ebenfalls in die Wüste geflohene Bischof von Alexandrien, Bischof Cyprian. Seine Lösung hieß, dass nicht das moralische Niveau der Hirten, sondern der korrekte Vollzug des  Gottesdienstes, der Taufe oder der Eucharistie die Gültigkeit garantiert. Ist die Taufe im Namen des dreieinigen Gottes vollzogen, dann gilt die Taufe; sind die Einsetzungsworte in rechter Weise formuliert, ist Christus gegenwärtig; sind die vorgeschriebenen Gebete gesprochen und die richtigen Texte der Bibel gelesen worden, dann gilt das Sakrament, egal wer sie vollzogen hat. Es ist das korrekte Ritual, nicht die moralische Dignität des Hirten, der die Gültigkeit garantieren. Und also muss keine Taufe, keine Eucharistie eines „lapsi“ wiederholt werden.   

Liebe Gemeinde,
ich halte diese Lösung der alten Kirche für geistlich klug und weise, und finde es wichtig, dass wir diese Weisheit gerade auch heute erinnern, wo wir doch mitunter erbittert über Krieg und Frieden streiten. Wir brauchen und sollten keine Moralprüfung unserer Hirten und Oberhirten durchführen, Christi Gegenwart und sein Trost hängen nicht daran, dass der Hirte ein anständiger Ehemann oder schlechter Partner ist, ob er pazifistisch eingestellt ist oder bellizistisch, ob er politisch grün, gelb oder rot ist, ob er klimabewusst lebt oder einen dicken SUV fährt, es gilt der Grundsatz: Wenn er oder sie die Rituale, Gebete und Bekenntnisse der Kirche angemessen aktualisiert und auslegt, gilt sein Wort vom Evangelium. Modern könnte man sagen: Es gilt das korrekte Verfahren, nicht die moralische Qualität der Beteiligten. Und die moderne Demokratie hat diesen kirchlichen Grundsatz der Verfahrensrationalität im Kern übernommen und dies ist allemal humaner und aufgeklärter als die Frage, ob die Hirten das richtige Geschlecht, das passende Alter, diese oder jene Politikposition oder gar das richtige Kopftuch haben. 

Natürlich gilt auch die Rückseite: Manche von Ihnen mögen das erinnern: Vor ein paar Wochen bin ich bei den Einsetzungsworten zum Abendmahl ins Straucheln und hab alles durcheinander gebracht! Das geht nicht, ich musste noch einmal von vorn ansetzen und die Einsetzungsworte korrekt wiedergeben, denn die Feier hängt schon daran, dass wir von Brot und Wein so sprechen, wie es in unserer Kirche verabredet ist.  Das ist übrigens auch beim aaronitischen Segen, beim Credo und Vater unser so, hier kommt es schon darauf an, dass wir uns an die Sprachregelungen unserer Kirche halten.

IV.

Liebe Gemeinde, dass die Glaubwürdigkeit der Hirten nicht völlig gleichgültig ist, sondern massiv Schaden nimmt, wenn sich herausstellt, dass bei ihnen Machtgier, Kriegslust und sexuelle Gewalt in unerhörter Weise präsent ist, das können wir in jüngster Zeit in geradezu dramatischer Weise beim Thema „sexueller Gewalt in der Kirche“ öffentlich verfolgen. Auch wir in der evangelischen Kirche haben Missbrauchsfälle, wenn auch in sehr viel geringerer Zahl. Aber selbst wenn wir gar keine hätten, verfällt auch unsere Glaubwürdigkeit mit jedem Skandal in einer anderen christlichen Kirche, weil es um die Fallhöhe zwischen moralischen Werten und tatsächlichem Verhalten geht. Aber was man zugleich auch sagen muss und kann, gerade jenen, die Jahre später feststellen, dass ihr Hirte völlig unangemessen gehandelt hat: die Taufen sind gültig, die Trost- und Segensworte wirksam, und auch die Abendmahlsfeiern haben Christus in die Mitte gerufen, denn trotz der moralischen Verkommenheit der Hirten: Trost und Segen hängen an Christus selbst, nicht an seinem Bodenpersonal. Das ist die gute Nachricht und deswegen sind die moralischen Mahnungen an die Ältesten in unserem Predigttext nicht verkehrt, aber – wie würde man modern sagen: unterkomplex. Amen