Predigt · 2. Oktober 2022 · Pfarrer Michael Hufen
Apostelgeschichte 4,32-37
Liebe Gemeinde,
Heute ist Erntedank – gefeiert haben wir das schon im vergangenen Sonntag in einem sehr stimmungsvollen Gottesdienst mit dem Kindergarten. An der Kanzel hängt noch der wunderbare Kranz, den Renate Wagner-Schill und Lilli Mutzke gebunden haben.
In der vergangenen Woche gab es wieder einmal eine Ökumenische Bibelwoche – mit den Katholiken aus St.Georg, dem Cafe Impuls, der Martin Luther Gemeinde und Gästen aus anderen Pankower Gemeinden. Thema war „Kirche träumen“ – eine Beschäftigung mit Texten aus der Apostelgeschichte – also den Berichten aus der Entstehungszeit der ersten christlichen Gemeinden, mit alle ihren Herausforderungen und grundsätzlichen Entscheidungen.
Wie geht das nun zusammen? Erntedank und Apostelgeschichte? Danken und Erinnern. Den eigenen Ertrag bedenken und hören, wie es damals war.
In der Erinnerung beginnen wir oft, die Vergangenheit zu verklären. Die gute alte Zeit, Erlebnisse in der Schulzeit, der erste Kuss und um den Blick etwas zu weiten, vielleicht auch manchmal die politische Situation: der Frieden in Europa, der so lange als selbstverständlich genommen wurde oder vielleicht – am Vorabend des 3.Oktober – auch die eigene revolutionäre Rolle und Beteiligung, ja die Bedeutung der Kirche im Wendeherbst vor 33 Jahren.
Mit so einer scheinbaren Verklärung beginnt auch der Text über den wir am Donnerstag bei der Bibelwoche gesprochen haben und den ich heute als Predigttext ausgesucht habe:
Apostelgeschichte 4,32-37
32 Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. 33 Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. 34 Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte 35 und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte. 36 Josef aber, der von den Aposteln Barnabas genannt wurde – das heißt übersetzt: Sohn des Trostes –, ein Levit, aus Zypern gebürtig, 37 der hatte einen Acker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen.
Der Herr segne dies Wort an uns!
Gott! Erinnere uns an den Anfang.
Am Anfang, als Leben begann, sprachst du zu uns: ihr seid willkommen,
hast du an die Hand uns genommen.
Erinnere uns an den Anfang, an Ursprung und Werden, Vergehen,
damit wir das Leben verstehen, damit wir klug werden.
Weißt du noch? Erinnerung an den Anfang.
Als alles begann. So war es einmal – oder mag es gewesen sein…
Weißt du noch, welche Sehnsüchte wir hatten und wo wir heute stehen.
Ein Herz und eine Seele waren sie, diese kleine jüdische Gemeinde in Jerusalem, die an Jesus, ihren Messias, glaubte. Von seiner Auferstehung ging eine ungeheure Kraft aus. Niemand war dabei gewesen, und doch glaubten sie daran.
Sie waren wie frisch verliebt! Ständig hingen sie zusammen, konnten sich blind aufeinander verlassen. Eine verschworene Gemeinschaft, zu der jeder das beitrug, was er konnte. Da gab es keine Konkurrenz, keinen Neid auf das, was die Nachbarn hatten. Auf Privatbesitz verzichteten sie, teilten, was es gab. Es war ihnen alles gemeinsam. Und das fiel nicht einfach vom Himmel… oder doch?!
Weißt du noch?
Im Blick zurück verklärt sich manches, wir ahnen und wissen es. Und trotzdem ersetzt oft die verklärte Erinnerung das eigentliche Bild – nicht wie es war, aber wie es wahrscheinlich realer ist. Wir wollen eine Vergangenheit, die es vielleicht so nie gab.
Wir idealisieren und überzeichen und merken dann kaum noch, was dieses verklärte Bild der Vergangenheit mit uns in der Gegenwart macht, wie es uns den Blick auf die Realität verstellt.
Wie es wirklich war in den Jahren nach Jesu Tod und Auferstehung können wir hinter der Erzählung des Lukas in der Apostelgeschichte nur ahnen. Lukas schreibt, und das kann man als gesichert annehmen, mit einem Abstand von mindestens 35-40 Jahren zu den Ereignissen in Jerusalem. Er gibt ein Summarium, wie es gewesen sein kann, unter idealen Umständen, vielleicht auch ein Summarium, wie es hätte sein können, ja sollen.
Denn so ganz ein Herz und eine Seele, waren die ersten Christen ja dann doch nicht. So beschreibt Lukas selber die seltsame Geschichte von Hananias und Sapphira, die ihr Grundstück verkaufen, einen Teil des Ertrages für sich behalten und doch der Gemeinde vorspielen, dass sie den gesamten Betrag der Gemeinschaft zur Verfügung stellen würden. Oder erinnern wir uns an den Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth. Da gab es ein Problem damit, dass sich die Reichen in der Gemeinde vor der gemeinsamen Abendmahlsfeier schon die Bäuche vollschlugen und die Armen, die direkt von der Arbeit kamen, mit Brot und Wein vorlieb nehmen mussten.
Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele …
Ist das tatsächlich ein erstrebenswerter Zustand? Immer Eintracht und gegenseitiges Verständnis, Friede, Freude, Eierkuchen?
Mich setzt so eine Zustandsbeschreibung etwas unter Stress. Warum ist das bei uns nicht so, was ist da schief gelaufen, wo auf dem Weg haben wir uns verloren und was können wir tun, um wieder so zueinander zu finden?
Es gibt sie doch, die Beispiele, wie es anders geht!
Gemeinschaften, Klöster oder Kommunitäten, die in Gütergemeinschaft leben und so auf ihre je eigene Art, ein Beispiel für die Realisierbarkeit dieser frühchristlichen Utopie geben. Nicht umsonst gilt unser Text als die Mutter aller Sozialutopien, ja sogar als Beleg für den frühen Urkommunismus der ersten Christen. Waren die ersten Christen doch Anhänger einer innerjüdischen Reformbewegung, in der das Wort Gottes wuchs und sich die von den Propheten schon lange angekündigte Gerechtigkeit Gottes zu realisieren begann.
Das die Kirche, die gerade ihren Kinderschuhen entwachsen schon in der Pubertät von diesem Weg scharf abwich, bleibt eine dauernde Anfrage an uns. In der Apostelgeschichte heißt es, dass sich ersten Christen noch in den Synagogen trafen oder in den eigenen Häusern – nicht etwa in neuen Kirchengebäuden – das Geld, das sie zusammen legten war für die Bedürfnisse der Armen und Schwachen Gemeindeglieder bestimmt. Sie realisierten also eine frühe Form von Bedürfnisgerechtigkeit, bei der aber jede Geberin und jeder Geber bis zum Schluss darüber frei entscheiden konnte, wieviel er von seinem Besitz einbrachte. Selbst in der Geschichte von Hananias und Sapphira klagt Petrus ja nicht an, dass sie Geld für sich behalten haben, sondern sagt „Konntest du nicht auch, als der Acker verkauft war, noch tun, was du wolltest?“
Ein Herz und eine Seele … eine Fassadenbeschreibung von Gemeinde und Kirche, die mit den dahinter liegenden Strukturen von Macht und Geld nicht viel gemein hat, aber dazu führt, jede aufkeimende kritische Frage im Keim zu ersticken. Weil: wir sind doch ein Herz und eine Seele!
Vielleicht ist es aber auch ganz befreiend sich einzugestehen, dass man eben nicht ein Herz und eine Seele ist, nicht alle toll findet und manchmal so gar keine Lust auf die ritualisierten Konfliktvermeidungsstrategien im innerkirchlichen Bereich hat. In einem Kommentar zu Text heißt es: In Verklärung verkleidete Feigheit und Verlogenheit zahlt sich niemals aus, sondern führt allenfalls zum weiteren Schrumpfen von Gemeinde.
Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele …
Also nichts mit Gütergemeinschaft und Friede, Freude, Eierkuchen?
Für die mögliche Antwort muss ich noch einmal um ihre ungeteilte Aufmerksamkeit bitten, und sei es, weil auch ich eine ganze Weile gebraucht habe, um sie zu verstehen:
Im griechischen Text und auch in der ersten Lutherübersetzung steht am Anfang des Satzes ein Akkusativ also der 4. und nicht der 1.Fall: Nicht: „DIE Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“, sondern „DER Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“.
Nicht sie waren, sondern sie hatten!
Die Gemeindeglieder, so unterschiedlich sie waren, hatten eine gemeinsame Gesinnung, eine gemeinsame Perspektive. Ihnen ging es um dasselbe Anliegen.
Es geht nicht um ein romantisierenden Gemeindeideal, sondern darum, dass wir unsere unterschiedlichen Blickwinkel und Perspektiven auf das richten, was unsere gemeinsame Mitte ist, was als glaubende Menschen unser gemeinsames Anliege sein sollte: Das Evangelium von Jesus Christus.
Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus Christus, und große Gnade war bei ihnen allen.
Darum geht es: um die Auferstehung Jesu Christi: Dieser Glaube realisiert sich dann in einer bestimmten Art des Zusammenlebens bis hinein in materielle Bereiche. Paulus wird dann davon sprechen, dass der Glaube in und durch die Liebe tätig wird.
Man könnte auch sagen, der Auferstandene lebt im Vollzug der Liebe durch uns.
Die junge Gemeinde verstand sich als eine vorweggenommene Abbildung dessen, was im Reich Gottes für alle Realität sein wird, gleichsam als eine Art Vorweg-Ereignung des Himmelreichs auf Erden. Was ganz Israel erhoffte, sollte die judenchristliche Gemeinde zeichenhaft erfüllen, realisieren, abbilden, motiviert vom auferstandenen Jesus. So gesehen, bilden Christen tatsächlich eine Kontrastgesellschaft zur Welt – nicht in Friede, Freude, Eierkuchen – sondern eine im, durch und vom Vertrauen lebende Gemeinschaft, die sich dankbar erinnernd ihren Herausforderungen in der Welt stellt. Wie ein Funke, der regelmäßig das Feuer bei denen entzündet, die sich nicht damit abfinden wollen, dass es ist, wie es ist. Wissend, dass es schwieriger und gefährlicher ist, die unsichtbare ökonomische Infrastruktur eines Machtgefüges infrage zu stellen, als die öffentliche Fassade seiner politischen Führung.
Amen
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