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Predigt · 10. Sonntag n. Trinitatis · Iraelsonntag · 21. August 2022 · Pfarrer Michael Hufen

Posted on Aug 20, 2022 in Predigten


Liebe Gemeinde,

manchmal, vielleicht sogar ziemlich oft, meinen wir richtig gut Bescheid zu wissen.

Über Menschen, über die Beweggründe ihres Handelns, über Dinge des täglichen Lebens, ja sogar über schwere Viruserkrankungen, Epidemien, Krieg und Geopolitik.

Dabei spielt uns manchmal unser Denken einen Streich, manchmal lassen wir uns täuschen oder schlicht anlügen und merken es nicht. Und ziemlich oft ist es so, dass wir als Kriterium unserer Einschätzungen nicht danach fragen, wie Menschen und Sachverhalte wirklich sind, sondern einfach so entscheiden, wie wir es gerne sehen wollen.

Ist ja auch einfacher, sehr menschlich und nicht so anstrengend.

Keine Angst, das wird jetzt keine Predigt über die Macht der Medien und unsere Denkfaulheit und Vorurteile. Sondern es geht, wie es sich im christlichen Gottesdienst gehört um Jesus – und damit geht es dann doch wieder um Alles.

Doch Schritt für Schritt:

Wir sind noch nicht in der Advents – und Weihnachtszeit also ist unser Blick auf Jesus noch nicht ganz verschleiert vom lieben Jesuslein und dem süßen Heiland, sondern wir sind in der Mitte der Trinitatiszeit, am Israelsonntag und stehen vor der Frage, welche Bedeutung es hat, dass Jesus ein Jude war, was er selber darüber sagt und was wir entsprechend mindestens zur Vervollständigung unseres Jesusbildes wissen, besser wahrscheinlich: beherzigen sollten.

Im Predigttext für den heutigen Sonntag, der laut manchem Exegeten sowohl als Zentrum und zugleich als einer der schwierigsten Texte des Matthäusevangeliums gilt, erleben wir Jesus klar, ja, man könnte sogar sagen, als einen, der so richtig Klartext redet: mir sind die Gebote Gottes, das Gesetz Gottes wichtig – und das steht am Beginn der so bekannten Bergpredigt. Doch hören sie selbst:
(Verlesung des Predigttextes: Mt 5,17–20)

Liebe Gemeinde,

erinnern sie sich: am vergangenen Sonntag ging es um das Gleichnis „Von den anvertrauten Talenten“. Ich habe versucht zu zeigen, dass mit Talent die Erwartung des Gottesreiches gemeint ist. Mit diesem Talent richtig umzugehen, bedeutet nun, in, mit und durch diese Erwartung und Hoffnung, schon hier auf Erden am Reich Gottes mit und darauf hin zu arbeiten.

Heute beschreibt uns Jesus ganz deutlich, mit welchen Prinzipien, Grundlagen, ja Werten das geschehen soll.

Keine Kritik an den Gesetzeslehren oder den Pharisäern!
Jesus sagt: Gebote und das Reich Gottes – die gehören zusammen!
Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.

Nun werden einige von uns sicher ohne Probleme die 10 Gebote aufzählen können, aber wie steht es denn mit den ganzen 613 Geboten des jüdischen Gesetzes?

Doch so weit will und kann ich es gar nicht treiben.

Jesus sagt das Gesetz gilt!

Belassen wir es doch erst einmal bei den 10 Geboten:

»Keine anderen Götter haben.« »Nicht falsch Zeugnis reden.« »Nicht begehren.«

Wer hat nicht schonmal eines übertreten?

Über einen, der es geschafft hat, alle Gebote zu halten, heißt es in der Bibel: »Und Jesus gewann ihn lieb« (Mk 10,21).

Man kann nur staunen über so viel Konsequenz und Willenskraft. Was für eine Leistung!
Wenn Jesus nun sagt: Ich bin nicht gekommen, (das Gesetz) aufzulösen, sondern zu erfüllen, dann zeigt mir dieser Satz zuerst: Jesus war ganz und gar Jude. Und damit Mitglied einer anderen Religion – mit einem anderen Verständnis der Gebote als Teil einer lebendigen Gottesbeziehung. Insofern macht seine Botschaft noch einmal unmissverständlich deutlich, dass Jesus ganz und gar in seiner Religion – dem Judentum – verwurzelt ist.

Für uns sollte das eine wertvolle Erinnerung: Seien wir  vorsichtig, wenn wir uns auf Jesus berufen! Vereinnahmen wir ihn nicht! Reduzieren wir ihn nicht, auf die Teile seiner Lehre, die uns sympathisch und unanstößig sind. Denn da gibt es einen ziemlich großen Teil seines Wesens, der uns fremd ist – mit dem wir uns (noch) nicht auskennen.

Als evangelische Christen sind wir es gewohnt, über Gesetz immer im Gegenüber zum Evangelium zu reden. In guter reformatorischer, ja lutherischer Tradition sehen wir die Gesetzesbefolgung immer in der Gefahr, sich durch das eigene Tun, durch Werkgerechtigkeit vor Gott selbst gerecht machen zu wollen.

Sicher klingt uns da „Allein durch Gnade, allein durch Glauben, allein durch Christus“ in den Ohren. Noch bevor wir selbst etwas leisten, nimmt Gott uns an, wenn wir auf ihn vertrauen, an ihn glauben.

Doch auch für Luther und die Reformatoren stand nie in Zweifel, dass Gottes Gesetz, die Thora etwas anders ist, meint und von uns Menschen fordert als nur buchstabenhörige Paragraphenreiterei.

Zu deutlich ist doch, warum und wozu Gott seinem Volk das Gesetz gibt.

Thora ist umfassende Lebensweisung, voll mit weisheitlichen Ratschlägen für ein sinnhaftes Leben und zutiefst geprägt von der Geschichte des Gottesvolkes.

Gott gibt das Gesetz nach der Befreiung aus Ägypten, aus dem Sklavenhaus des Pharaos.

Er hat sein Volk befreit, dass die Menschen nicht länger Knechte eines weltlichen Herrschers, sondern Volk seines Schöpfers sind, der weiß, was die Menschen brauchen, der es gut mit ihnen meint. Gott gibt seinem Volk und durch Jesus damit auch uns Ordnungen, die dem Leben und der Freiheit dienen.

Am Sabbatgebot kann man das wohl am einfachsten zeigen:

Wie würde unser Leben aussehen, wenn es keinen Ruhetag gäbe? Wenn es keine Möglichkeit gäbe, den von der Arbeit und der Sorge um das Alltägliche geprägten Ablauf der Zeit zu durchbrechen, um Zeit für sich, die Familie und ja eben auch Zeit für die eigenen Religiosität, den Kontakt zu Gott zu haben?

Vielleicht kennen sie den Spruch “Ein Leben ohne Feste, ist wie ein langer Weg ohne Einkehr“ – ein Leben ohne Sabbat, ohne Ruhetag, reduziert den Menschen auf das, was man Neudeutsch human ressources nennt: austauschbare Voraussetzung für Produktionsprozesse, eine sinnfreie Verzweckung des Menschen.

Stattdessen ist es so gedacht, dass an jedem 7.Tag die Menschen in der Sabbatruhe ein Stück vom Paradies, vom Himmelreich schauen können.

Das Gesetz ist lebensbejahend und sinnstiftend.

Und manchmal erleben wir selbst, wie wichtig es ist, jeden Buchstaben und jedes i-Tüpfelchen davon zu verteidigen. In den vergangene Jahren immer wieder bei der Verteidigung des grundsätzlich arbeitsfreien Sonntags, der nicht den Profitinteressen des Kapitals geopfert werden darf. Und aktuell vielleicht bei der Frage, wie weit das Tötungsverbot denn eigentlich gilt, was das mit Krieg zu tun hat und ob es denn unter bestimmten Voraussetzungen eben doch nicht uneingeschränkt gilt und wir jede Menge Waffen und vielleicht doch auch deutsche Atomwaffen brauchen.

Du sollst nicht töten! – Heißt es, und kein Jota soll davon weggenommen werden!


Liebe Gemeinde, wir könnten jetzt Gebot für Gebot durchgehen und die lebensermöglichende und sinnstiftende Dimension jedes dieser Gebote beschreiben.

In der Evangeliumslesung haben wir vorhin aber schon gehört, dass es auch unter den Juden zur Zeit Jesus üblich war, nach dem höchsten Gebot zu fragen. Nicht im Sinne von: das ist aber noch wichtiger, sondern im Sinne von: in welchem Gebot, ist eigentlich die Intention aller Gesetze, nämlich das Leben und die Freiheit zu gestalten und zu schützen, am besten benannt.

Jesus antwortet auf die entsprechende Frage ganz klar:

Liebe Gott, deinen Nächsten und dich selbst.

Wer das tut, handelt gerecht.

Jesus Antwort ist aber mehr als der beste Weg, der Fangfrage der Pharisäer zu entgehen.

Sie ist die klare Aufforderung an seine Freunde und damit auch an uns, Gott nicht nur den lieben Gott sein zu lassen, sondern die Herausforderung anzunehmen, tatsächlich im Geist der Liebe zu Gott, der uns in unserem Nächsten begegnet, zu leben und mit der Nächstenliebe ernst zu machen. Wie schwer das ist, wissen wir alle und wir können sicher sein, Jesus hat es auch gewusst: aber er traut es uns zu.

Er weiß um die Größe der Herausforderung, aber er vertraut dem Talent, das Gott in uns angelegt hat. Das sollen wir nun nicht verbergen, sondern daran arbeiten es freizulegen, ja zum blühen zu bringen und damit ein Stück vom Himmel auf dieser Erde sichtbar werden zu lassen.

Am Beginn eines Buches, das ich in den Ferien gelesen habe, steht ein Zitat von Jorge Luis Borges: “Jedes Schicksal, wie weitläufig und verschlungen es auch sein mag, besteht in Wirklichkeit aus einem einzigen Augenblick, dem Augenblick, in dem der Mensch weiß, wer er ist.“

Es ist der Moment, in dem so etwas wie Sinn aufscheint, in dem wir Frieden in unserem Herzen finden und die Welt mit anderen Augen sehen. Diese Welt – auf der wir nach Gottes Willen in Freiheit leben sollen und den Weg des Friedens und der Versöhnung gehen können.

Wenn da der Himmel nicht nah ist!
Amen.

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