Predigt · Sexagesimae · 20. Februar 2022 · Pastor Dr. Thies Gundlach
Liebe Gemeinde,
wie können wir Gott hören, ihn erfahren, gar sehen und spüren? Denn zugegeben: ich wäre schon gerne fruchtbarer Boden und nicht so gern Fels oder Dornen, auf die Gottes Wort fällt. Aber wie? Wir alle sind vermutlich lange genug evangelische Christen, um zu wissen: Gott kann man nicht herbeikommandieren, man kann ich nicht einbestellen oder zur Anwesenheit nötigen, auch nicht mit einem Gottesdienst: Gott ist frei in seinem Wort. Aber nur abwarten? Ich erzähle Ihnen jetzt eine Situation meiner Reise und Sie werden schnell merken, dass sie von mehr als nur einer Reise erzählt. Aber schauen wir mal!
Wenn man mit neun weitgehend fremden Menschen auf einem relativ engen Raum – 16 Meter war unser Segelboot lang, 5 Meter breit – 21 Tage zusammen ist, dann muss man sich gut vertragen, sonst geht das schief. Und Vertragen insbesondere im letzten Drittel der Reise, denn spätestens nach 2 Wochen sind alle Geschichten erzählt, alle Witze gemacht, alle Diskussionen geführt. Und man ist zunehmend in einer gleichsam meditativen, betrachtenden, sinnierenden Stimmung. Nachts hält einen mitten auf dem Atlantik ein unfassbar schöner, klarer, gigantischer Sternenhimmel wach und am Staunen; am Tage stärkt diese meditative Stimmung eine immer intensiver strahlende Sonne mit ihren unfassbaren Auf- und Untergängen, die von berückender Schönheit sein können. Es wird stiller an Bord, die Bewegungen des Schiffes werden zu einer Art rhythmischer Tanz, der Wind bringt warme, trockene Luft in mal heftiger, mal komfortablen Stärke in die Segel. Und wir neun Segler*innen fallen in eine Art opiumfreie Trance, eine Art Versenkung in die Gegenwart, die man kaum wieder verlassen mag, obwohl man mit Kochen dran ist oder mit der Schiffs-Wache.
Aber in all dieser zeitlosen Zeit fällt dir plötzlich auf, dass es drei ganz verschiedene Formen von Wellen gibt, die das Schiff bewegen und herausfordern. Und diese Wellen sind mehr als Wasser, mehr als äußerliche Bewegung, sind werden transparent und durchscheinend für mehr!
1. Da sind zuerst diese kleinen, begrenzten, kräftigen und oft auch gefährlichen Böen, ein unerwarteter Windstoß, den jeder Segler am Kräuseln des Wassers erkennen kann. Und klug dran tut, diese kurzfristige Aufgeregtheit, die aktualistische Hysterie des Windes frühzeitig zu erkennen. Denn man darf dieser Bö, diesem kurzfristigen Schaumkronen-Macher keinesfalls nachgeben, keinesfalls ausweichen, denn dann trifft einen der Windstoß nur umso heftiger und das Schiff liegt schräg. Gute Segler steuern darum das Schiff in den Windstoß hinein, sie halten gleichsam dagegen, ja, sie nutzen die Bö aus, um den eigenen Kurs umso klarer festzuhalten und sich von diesen kurzfristigen Aufgeregtheiten des Windes nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Aktualistische Aufgeregtheiten, spontane Skandalisierung, situative Hysterie des Wassers verdienen Unaufgeregtheit und die Beibehaltung eines klaren Kurses; deswegen können wir auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
2. Die zweite Form von Wellen hängt an der Windstärke, die am Tage oder in der Nacht herrscht; viel Wind, viele hohe Wellen, wenig Wind, flache See. Da der Wind auf dem Weg in die Karibik aber immer von schräg hinten bläst, lässt man sich wie schon Kolumbus, Magellan und Vasco da Gama vom Passatwind von Ost nach West treiben, seglerisch eine überschaubare Herausforderung. Mitunter gab es schon ordentlichen Wind, 5 oder 6 Windstärken, dann wird das Schiff sogar überspült und naß, die Fenster sollten verschlossen sein, damit man in einer trockenen Koje schlafen kann. Diese Wellen sind für einen jeden Segler sozusagen der Alltag, das Normale, sie Umspielen das Schiff und müssen mit einiger Steuerkunst ausgeglichen werden, damit man nicht hin und hergeworfen wird wie eine wehrlose Nußschale. Kurs halten in unruhiger See, die Segelfläche angemessen reduzieren und nicht mit dem Bug in die Welle steuern, sonst stampft sich das Schiff fest. Also auch auf hoher See nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern ein guter Segler steuert elegant die Wellen hinauf und hinunter, nicht ängstlich oder mutlos, sondern die Wellenhöhe nüchtern einschätzen, auch die nächste und übernächste Welle schon im Blick nehmen und so das Schiff heil durch die Wogen bringen. Wir können auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
3. Die dritte Form von Wellen auf dem Atlantik sind die gewaltigsten, die höchsten und geheimnisvollsten. Denn sie sind unabhängig von der Tagesform des Windes, sind mitunter 6 oder 7 Meter hoch, sie rollen von schräg hinten auf das Segelschiff zu, heben es gleichsam ein Stockwerk hoch, um es gleich wieder fallen zu lassen in ein Wellental, in dem man nur noch Wasser umgeben ist, sozusagen mit den Fischen auf Augenhöhe. Aber Freundschaft mit ihnen ist nicht möglich, denn schon im nächsten Augenblick wird das Schiff wieder hochgerissen auf den Wellenkamm, mit glänzender Aussicht auf die vielen kleinen fliegenden Fische, die rechts und links vom Schiff wegfliegen, weil sie das Schiff verständlicher Weise als Fressfeind wahrnehmen. Diese Wellen haben etwas Erhabenes, etwas Majestätisches, solche Wellen gibt es weder in der Ost- noch in der Nordsee. Und das Bemerkenswerte an dieser „hohen Tiefendünnung“ ist, dass ihre Quelle, ihr Ursprung ganz woanders liegt und gar nicht klar ist: Irgendwo auf dem Atlantik, im hohen Norden bei Island oder im tiefen Süden bei Patagonien mag es ein schwerer Sturm sein, ein gigantisches Tief, eine dramatische Kaltfront, die 1000 oder 2000 Seemeilen weg eine solch schwere Dünung hervorbringt.
Manchmal wirkt es wie eine fundamentale Bewegung, besser eine Bewegung der Fundamente, nicht weil es ein paar große Wellen gibt, sondern weil das ganze Meer, der ganze Grund, auf dem wir segeln, in Unruhe gerät. Und irgendwie erinnert diese gewaltige Dünung, diese wuchtige See an all die beunruhigenden Veränderungen, die unser Leben seit einigen Jahren und Jahrzehnten erfassen und unsere Seelen verunsichern. Denn diese Wellenberge lassen einen klein werden, bescheiden oder auch demütig: man wird von diesen Wellen erfasst, hochgespült, in die Tiefe gerissen, man spürt plötzlich eine Wucht des Wassers, die zugleich Staunen und Furcht – oder wie man früher gesagt hätte – Faszination und Erschrecken auslösen. Und plötzlich weiß man, diese hohe Dünung spüren wir zur Zeit überall, sei es bei Kriegs- oder Klimakrisen, sei es bei Migrations- oder Inflationskrisen, sei es bei der fehlenden Hörfähigkeit oder unangemessenen Redeweise im Netz – immer hat man den Eindruck: es sind nicht normale Wellen hier und da, sondern der Grund selbst, auf dem unser Lebensschiff schwimmt, ist in Bewegung geraten.
„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“; dieser Spruch soll ja eigentlich die Unsicherheit formulieren, also die Ungewissheit, die Unberechenbarkeit, wie ein Gerichtsurteil oder auch eine Segelpartie ausgeht. Aber ich habe in all der meditativen Stille der vielen Wellenberge doch auch wieder den anderen Sinn des Spruches herausgehört – nämlich, dass wir in Gottes Hand sind auch auf hoher See. Dazu aber zuletzt drei Einsichten:
1.Wenn Gott uns erreicht, dann ist das immer in Form menschlicher Rede, menschlicher Bilder und Geschichten, in Metapher und Allegorien, aber nie 1:1. Gott wird Mensch und menschlich auch in der Sprache, in der er mit uns spricht. Wir können von ihm erzählen in Bildern und Geschichten, wir können ihn darin spüren und erfahren, aber nie gefangen nehmen in unseren Worten. Gott ist unverfügbar und frei. Zugleich heißt das: Schon ein anderer, der neben mir auf dem Schiff sitzt und die gleichen Wellen sieht, kann gar nichts anderes sehen als eben: Wellen, nüchterne, profane, erklärbare Wellen. Gottes Gegenwart ist nie objektiv feststellbar, es bleibt mein Herz, meine Seele, die ihn erahnt.
2. Sodann gilt: „Man sieht nur, was man weiß!“ – mit diesem Spruch hat früher das Reisemagazin „Merian“ geworben. Wir könnten sagen: Man hört nur, was man kennt. Man kann Gott nur erkennen und spüren, wenn man jedenfalls in Ansätzen von ihm etwas gehört hat, wenn man überhaupt damit rechnet, dass es ihn gibt und dass er in der Welt erfasst werden kann. Das ist ja der wirkliche Jammer unserer kirchlichen Situation: dass es uns immer weniger gelingt, die Geschichten von Gott und seiner Nähe zu den Menschen weiterzugeben. Dieser ganze Vertrauensverlust der großen Kirchen führt dazu, dass der christliche Glaube selbst, das Gott selbst in Mißkredit gezogen wird. Im Grunde denke ich manchmal: Gott und Glauben müssen erst ein Stück weit ausziehen aus den Kirchen, um wieder Gehör finden zu können; aber das ist ein anders Thema.
3. Zuletzt: Mitten in jener majestätischen Dünung, mitten in den gewaltigen Wellenbergen auf dem Atlantik und im Alltag höre ich diese uralte Einsicht: „auf hoher See in Gottes Hand“; Gott ist jenseits dieser Wellen, er ist das Wasser selbst, das – aufgeregt oder nicht – unser kleines (Lebens-) Schiff trägt. Vielleicht ist es ja etwas naiv und fromm, diese kleine Philosophie der Wellenformen auch als Bild, als Allegorie einer Gottesgewissheit zu verstehen. Aber ich war an allen Tagen dieser Reise davon überzeugt: Wir bleiben auch in schwerer See in Gottes Hand. Und mit dieser Gewissheit konnte ich mich dann auch wieder den acht Mitseglern zuwenden und das Kochen oder die Wache übernehmen – was die anderen deutlich angemessen fanden. Amen
Liebe Gemeinde,
wie können wir Gott hören, ihn erfahren, gar sehen und spüren? Denn zugegeben: ich wäre schon gerne fruchtbarer Boden und nicht so gern Fels oder Dornen, auf die Gottes Wort fällt. Aber wie? Wir alle sind vermutlich lange genug evangelische Christen, um zu wissen: Gott kann man nicht herbeikommandieren, man kann ich nicht einbestellen oder zur Anwesenheit nötigen, auch nicht mit einem Gottesdienst: Gott ist frei in seinem Wort. Aber nur abwarten? Ich erzähle Ihnen jetzt eine Situation meiner Reise und Sie werden schnell merken, dass sie von mehr als nur einer Reise erzählt. Aber schauen wir mal!
Wenn man mit neun weitgehend fremden Menschen auf einem relativ engen Raum – 16 Meter war unser Segelboot lang, 5 Meter breit – 21 Tage zusammen ist, dann muss man sich gut vertragen, sonst geht das schief. Und Vertragen insbesondere im letzten Drittel der Reise, denn spätestens nach 2 Wochen sind alle Geschichten erzählt, alle Witze gemacht, alle Diskussionen geführt. Und man ist zunehmend in einer gleichsam meditativen, betrachtenden, sinnierenden Stimmung. Nachts hält einen mitten auf dem Atlantik ein unfassbar schöner, klarer, gigantischer Sternenhimmel wach und am Staunen; am Tage stärkt diese meditative Stimmung eine immer intensiver strahlende Sonne mit ihren unfassbaren Auf- und Untergängen, die von berückender Schönheit sein können. Es wird stiller an Bord, die Bewegungen des Schiffes werden zu einer Art rhythmischer Tanz, der Wind bringt warme, trockene Luft in mal heftiger, mal komfortablen Stärke in die Segel. Und wir neun Segler*innen fallen in eine Art opiumfreie Trance, eine Art Versenkung in die Gegenwart, die man kaum wieder verlassen mag, obwohl man mit Kochen dran ist oder mit der Schiffs-Wache.
Aber in all dieser zeitlosen Zeit fällt dir plötzlich auf, dass es drei ganz verschiedene Formen von Wellen gibt, die das Schiff bewegen und herausfordern. Und diese Wellen sind mehr als Wasser, mehr als äußerliche Bewegung, sind werden transparent und durchscheinend für mehr!
1. Da sind zuerst diese kleinen, begrenzten, kräftigen und oft auch gefährlichen Böen, ein unerwarteter Windstoß, den jeder Segler am Kräuseln des Wassers erkennen kann. Und klug dran tut, diese kurzfristige Aufgeregtheit, die aktualistische Hysterie des Windes frühzeitig zu erkennen. Denn man darf dieser Bö, diesem kurzfristigen Schaumkronen-Macher keinesfalls nachgeben, keinesfalls ausweichen, denn dann trifft einen der Windstoß nur umso heftiger und das Schiff liegt schräg. Gute Segler steuern darum das Schiff in den Windstoß hinein, sie halten gleichsam dagegen, ja, sie nutzen die Bö aus, um den eigenen Kurs umso klarer festzuhalten und sich von diesen kurzfristigen Aufgeregtheiten des Windes nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Aktualistische Aufgeregtheiten, spontane Skandalisierung, situative Hysterie des Wassers verdienen Unaufgeregtheit und die Beibehaltung eines klaren Kurses; deswegen können wir auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
2. Die zweite Form von Wellen hängt an der Windstärke, die am Tage oder in der Nacht herrscht; viel Wind, viele hohe Wellen, wenig Wind, flache See. Da der Wind auf dem Weg in die Karibik aber immer von schräg hinten bläst, lässt man sich wie schon Kolumbus, Magellan und Vasco da Gama vom Passatwind von Ost nach West treiben, seglerisch eine überschaubare Herausforderung. Mitunter gab es schon ordentlichen Wind, 5 oder 6 Windstärken, dann wird das Schiff sogar überspült und naß, die Fenster sollten verschlossen sein, damit man in einer trockenen Koje schlafen kann. Diese Wellen sind für einen jeden Segler sozusagen der Alltag, das Normale, sie Umspielen das Schiff und müssen mit einiger Steuerkunst ausgeglichen werden, damit man nicht hin und hergeworfen wird wie eine wehrlose Nußschale. Kurs halten in unruhiger See, die Segelfläche angemessen reduzieren und nicht mit dem Bug in die Welle steuern, sonst stampft sich das Schiff fest. Also auch auf hoher See nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern ein guter Segler steuert elegant die Wellen hinauf und hinunter, nicht ängstlich oder mutlos, sondern die Wellenhöhe nüchtern einschätzen, auch die nächste und übernächste Welle schon im Blick nehmen und so das Schiff heil durch die Wogen bringen. Wir können auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
3. Die dritte Form von Wellen auf dem Atlantik sind die gewaltigsten, die höchsten und geheimnisvollsten. Denn sie sind unabhängig von der Tagesform des Windes, sind mitunter 6 oder 7 Meter hoch, sie rollen von schräg hinten auf das Segelschiff zu, heben es gleichsam ein Stockwerk hoch, um es gleich wieder fallen zu lassen in ein Wellental, in dem man nur noch Wasser umgeben ist, sozusagen mit den Fischen auf Augenhöhe. Aber Freundschaft mit ihnen ist nicht möglich, denn schon im nächsten Augenblick wird das Schiff wieder hochgerissen auf den Wellenkamm, mit glänzender Aussicht auf die vielen kleinen fliegenden Fische, die rechts und links vom Schiff wegfliegen, weil sie das Schiff verständlicher Weise als Fressfeind wahrnehmen. Diese Wellen haben etwas Erhabenes, etwas Majestätisches, solche Wellen gibt es weder in der Ost- noch in der Nordsee. Und das Bemerkenswerte an dieser „hohen Tiefendünnung“ ist, dass ihre Quelle, ihr Ursprung ganz woanders liegt und gar nicht klar ist: Irgendwo auf dem Atlantik, im hohen Norden bei Island oder im tiefen Süden bei Patagonien mag es ein schwerer Sturm sein, ein gigantisches Tief, eine dramatische Kaltfront, die 1000 oder 2000 Seemeilen weg eine solch schwere Dünung hervorbringt.
Manchmal wirkt es wie eine fundamentale Bewegung, besser eine Bewegung der Fundamente, nicht weil es ein paar große Wellen gibt, sondern weil das ganze Meer, der ganze Grund, auf dem wir segeln, in Unruhe gerät. Und irgendwie erinnert diese gewaltige Dünung, diese wuchtige See an all die beunruhigenden Veränderungen, die unser Leben seit einigen Jahren und Jahrzehnten erfassen und unsere Seelen verunsichern. Denn diese Wellenberge lassen einen klein werden, bescheiden oder auch demütig: man wird von diesen Wellen erfasst, hochgespült, in die Tiefe gerissen, man spürt plötzlich eine Wucht des Wassers, die zugleich Staunen und Furcht – oder wie man früher gesagt hätte – Faszination und Erschrecken auslösen. Und plötzlich weiß man, diese hohe Dünung spüren wir zur Zeit überall, sei es bei Kriegs- oder Klimakrisen, sei es bei Migrations- oder Inflationskrisen, sei es bei der fehlenden Hörfähigkeit oder unangemessenen Redeweise im Netz – immer hat man den Eindruck: es sind nicht normale Wellen hier und da, sondern der Grund selbst, auf dem unser Lebensschiff schwimmt, ist in Bewegung geraten.
„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“; dieser Spruch soll ja eigentlich die Unsicherheit formulieren, also die Ungewissheit, die Unberechenbarkeit, wie ein Gerichtsurteil oder auch eine Segelpartie ausgeht. Aber ich habe in all der meditativen Stille der vielen Wellenberge doch auch wieder den anderen Sinn des Spruches herausgehört – nämlich, dass wir in Gottes Hand sind auch auf hoher See. Dazu aber zuletzt drei Einsichten:
1.Wenn Gott uns erreicht, dann ist das immer in Form menschlicher Rede, menschlicher Bilder und Geschichten, in Metapher und Allegorien, aber nie 1:1. Gott wird Mensch und menschlich auch in der Sprache, in der er mit uns spricht. Wir können von ihm erzählen in Bildern und Geschichten, wir können ihn darin spüren und erfahren, aber nie gefangen nehmen in unseren Worten. Gott ist unverfügbar und frei. Zugleich heißt das: Schon ein anderer, der neben mir auf dem Schiff sitzt und die gleichen Wellen sieht, kann gar nichts anderes sehen als eben: Wellen, nüchterne, profane, erklärbare Wellen. Gottes Gegenwart ist nie objektiv feststellbar, es bleibt mein Herz, meine Seele, die ihn erahnt.
2. Sodann gilt: „Man sieht nur, was man weiß!“ – mit diesem Spruch hat früher das Reisemagazin „Merian“ geworben. Wir könnten sagen: Man hört nur, was man kennt. Man kann Gott nur erkennen und spüren, wenn man jedenfalls in Ansätzen von ihm etwas gehört hat, wenn man überhaupt damit rechnet, dass es ihn gibt und dass er in der Welt erfasst werden kann. Das ist ja der wirkliche Jammer unserer kirchlichen Situation: dass es uns immer weniger gelingt, die Geschichten von Gott und seiner Nähe zu den Menschen weiterzugeben. Dieser ganze Vertrauensverlust der großen Kirchen führt dazu, dass der christliche Glaube selbst, das Gott selbst in Mißkredit gezogen wird. Im Grunde denke ich manchmal: Gott und Glauben müssen erst ein Stück weit ausziehen aus den Kirchen, um wieder Gehör finden zu können; aber das ist ein anders Thema.
3. Zuletzt: Mitten in jener majestätischen Dünung, mitten in den gewaltigen Wellenbergen auf dem Atlantik und im Alltag höre ich diese uralte Einsicht: „auf hoher See in Gottes Hand“; Gott ist jenseits dieser Wellen, er ist das Wasser selbst, das – aufgeregt oder nicht – unser kleines (Lebens-) Schiff trägt. Vielleicht ist es ja etwas naiv und fromm, diese kleine Philosophie der Wellenformen auch als Bild, als Allegorie einer Gottesgewissheit zu verstehen. Aber ich war an allen Tagen dieser Reise davon überzeugt: Wir bleiben auch in schwerer See in Gottes Hand. Und mit dieser Gewissheit konnte ich mich dann auch wieder den acht Mitseglern zuwenden und das Kochen oder die Wache übernehmen – was die anderen deutlich angemessen fanden. Amen
Liebe Gemeinde,
wie können wir Gott hören, ihn erfahren, gar sehen und spüren? Denn zugegeben: ich wäre schon gerne fruchtbarer Boden und nicht so gern Fels oder Dornen, auf die Gottes Wort fällt. Aber wie? Wir alle sind vermutlich lange genug evangelische Christen, um zu wissen: Gott kann man nicht herbeikommandieren, man kann ich nicht einbestellen oder zur Anwesenheit nötigen, auch nicht mit einem Gottesdienst: Gott ist frei in seinem Wort. Aber nur abwarten? Ich erzähle Ihnen jetzt eine Situation meiner Reise und Sie werden schnell merken, dass sie von mehr als nur einer Reise erzählt. Aber schauen wir mal!
Wenn man mit neun weitgehend fremden Menschen auf einem relativ engen Raum – 16 Meter war unser Segelboot lang, 5 Meter breit – 21 Tage zusammen ist, dann muss man sich gut vertragen, sonst geht das schief. Und Vertragen insbesondere im letzten Drittel der Reise, denn spätestens nach 2 Wochen sind alle Geschichten erzählt, alle Witze gemacht, alle Diskussionen geführt. Und man ist zunehmend in einer gleichsam meditativen, betrachtenden, sinnierenden Stimmung. Nachts hält einen mitten auf dem Atlantik ein unfassbar schöner, klarer, gigantischer Sternenhimmel wach und am Staunen; am Tage stärkt diese meditative Stimmung eine immer intensiver strahlende Sonne mit ihren unfassbaren Auf- und Untergängen, die von berückender Schönheit sein können. Es wird stiller an Bord, die Bewegungen des Schiffes werden zu einer Art rhythmischer Tanz, der Wind bringt warme, trockene Luft in mal heftiger, mal komfortablen Stärke in die Segel. Und wir neun Segler*innen fallen in eine Art opiumfreie Trance, eine Art Versenkung in die Gegenwart, die man kaum wieder verlassen mag, obwohl man mit Kochen dran ist oder mit der Schiffs-Wache.
Aber in all dieser zeitlosen Zeit fällt dir plötzlich auf, dass es drei ganz verschiedene Formen von Wellen gibt, die das Schiff bewegen und herausfordern. Und diese Wellen sind mehr als Wasser, mehr als äußerliche Bewegung, sind werden transparent und durchscheinend für mehr!
1. Da sind zuerst diese kleinen, begrenzten, kräftigen und oft auch gefährlichen Böen, ein unerwarteter Windstoß, den jeder Segler am Kräuseln des Wassers erkennen kann. Und klug dran tut, diese kurzfristige Aufgeregtheit, die aktualistische Hysterie des Windes frühzeitig zu erkennen. Denn man darf dieser Bö, diesem kurzfristigen Schaumkronen-Macher keinesfalls nachgeben, keinesfalls ausweichen, denn dann trifft einen der Windstoß nur umso heftiger und das Schiff liegt schräg. Gute Segler steuern darum das Schiff in den Windstoß hinein, sie halten gleichsam dagegen, ja, sie nutzen die Bö aus, um den eigenen Kurs umso klarer festzuhalten und sich von diesen kurzfristigen Aufgeregtheiten des Windes nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Aktualistische Aufgeregtheiten, spontane Skandalisierung, situative Hysterie des Wassers verdienen Unaufgeregtheit und die Beibehaltung eines klaren Kurses; deswegen können wir auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
2. Die zweite Form von Wellen hängt an der Windstärke, die am Tage oder in der Nacht herrscht; viel Wind, viele hohe Wellen, wenig Wind, flache See. Da der Wind auf dem Weg in die Karibik aber immer von schräg hinten bläst, lässt man sich wie schon Kolumbus, Magellan und Vasco da Gama vom Passatwind von Ost nach West treiben, seglerisch eine überschaubare Herausforderung. Mitunter gab es schon ordentlichen Wind, 5 oder 6 Windstärken, dann wird das Schiff sogar überspült und naß, die Fenster sollten verschlossen sein, damit man in einer trockenen Koje schlafen kann. Diese Wellen sind für einen jeden Segler sozusagen der Alltag, das Normale, sie Umspielen das Schiff und müssen mit einiger Steuerkunst ausgeglichen werden, damit man nicht hin und hergeworfen wird wie eine wehrlose Nußschale. Kurs halten in unruhiger See, die Segelfläche angemessen reduzieren und nicht mit dem Bug in die Welle steuern, sonst stampft sich das Schiff fest. Also auch auf hoher See nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern ein guter Segler steuert elegant die Wellen hinauf und hinunter, nicht ängstlich oder mutlos, sondern die Wellenhöhe nüchtern einschätzen, auch die nächste und übernächste Welle schon im Blick nehmen und so das Schiff heil durch die Wogen bringen. Wir können auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
3. Die dritte Form von Wellen auf dem Atlantik sind die gewaltigsten, die höchsten und geheimnisvollsten. Denn sie sind unabhängig von der Tagesform des Windes, sind mitunter 6 oder 7 Meter hoch, sie rollen von schräg hinten auf das Segelschiff zu, heben es gleichsam ein Stockwerk hoch, um es gleich wieder fallen zu lassen in ein Wellental, in dem man nur noch Wasser umgeben ist, sozusagen mit den Fischen auf Augenhöhe. Aber Freundschaft mit ihnen ist nicht möglich, denn schon im nächsten Augenblick wird das Schiff wieder hochgerissen auf den Wellenkamm, mit glänzender Aussicht auf die vielen kleinen fliegenden Fische, die rechts und links vom Schiff wegfliegen, weil sie das Schiff verständlicher Weise als Fressfeind wahrnehmen. Diese Wellen haben etwas Erhabenes, etwas Majestätisches, solche Wellen gibt es weder in der Ost- noch in der Nordsee. Und das Bemerkenswerte an dieser „hohen Tiefendünnung“ ist, dass ihre Quelle, ihr Ursprung ganz woanders liegt und gar nicht klar ist: Irgendwo auf dem Atlantik, im hohen Norden bei Island oder im tiefen Süden bei Patagonien mag es ein schwerer Sturm sein, ein gigantisches Tief, eine dramatische Kaltfront, die 1000 oder 2000 Seemeilen weg eine solch schwere Dünung hervorbringt.
Manchmal wirkt es wie eine fundamentale Bewegung, besser eine Bewegung der Fundamente, nicht weil es ein paar große Wellen gibt, sondern weil das ganze Meer, der ganze Grund, auf dem wir segeln, in Unruhe gerät. Und irgendwie erinnert diese gewaltige Dünung, diese wuchtige See an all die beunruhigenden Veränderungen, die unser Leben seit einigen Jahren und Jahrzehnten erfassen und unsere Seelen verunsichern. Denn diese Wellenberge lassen einen klein werden, bescheiden oder auch demütig: man wird von diesen Wellen erfasst, hochgespült, in die Tiefe gerissen, man spürt plötzlich eine Wucht des Wassers, die zugleich Staunen und Furcht – oder wie man früher gesagt hätte – Faszination und Erschrecken auslösen. Und plötzlich weiß man, diese hohe Dünung spüren wir zur Zeit überall, sei es bei Kriegs- oder Klimakrisen, sei es bei Migrations- oder Inflationskrisen, sei es bei der fehlenden Hörfähigkeit oder unangemessenen Redeweise im Netz – immer hat man den Eindruck: es sind nicht normale Wellen hier und da, sondern der Grund selbst, auf dem unser Lebensschiff schwimmt, ist in Bewegung geraten.
„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“; dieser Spruch soll ja eigentlich die Unsicherheit formulieren, also die Ungewissheit, die Unberechenbarkeit, wie ein Gerichtsurteil oder auch eine Segelpartie ausgeht. Aber ich habe in all der meditativen Stille der vielen Wellenberge doch auch wieder den anderen Sinn des Spruches herausgehört – nämlich, dass wir in Gottes Hand sind auch auf hoher See. Dazu aber zuletzt drei Einsichten:
1.Wenn Gott uns erreicht, dann ist das immer in Form menschlicher Rede, menschlicher Bilder und Geschichten, in Metapher und Allegorien, aber nie 1:1. Gott wird Mensch und menschlich auch in der Sprache, in der er mit uns spricht. Wir können von ihm erzählen in Bildern und Geschichten, wir können ihn darin spüren und erfahren, aber nie gefangen nehmen in unseren Worten. Gott ist unverfügbar und frei. Zugleich heißt das: Schon ein anderer, der neben mir auf dem Schiff sitzt und die gleichen Wellen sieht, kann gar nichts anderes sehen als eben: Wellen, nüchterne, profane, erklärbare Wellen. Gottes Gegenwart ist nie objektiv feststellbar, es bleibt mein Herz, meine Seele, die ihn erahnt.
2. Sodann gilt: „Man sieht nur, was man weiß!“ – mit diesem Spruch hat früher das Reisemagazin „Merian“ geworben. Wir könnten sagen: Man hört nur, was man kennt. Man kann Gott nur erkennen und spüren, wenn man jedenfalls in Ansätzen von ihm etwas gehört hat, wenn man überhaupt damit rechnet, dass es ihn gibt und dass er in der Welt erfasst werden kann. Das ist ja der wirkliche Jammer unserer kirchlichen Situation: dass es uns immer weniger gelingt, die Geschichten von Gott und seiner Nähe zu den Menschen weiterzugeben. Dieser ganze Vertrauensverlust der großen Kirchen führt dazu, dass der christliche Glaube selbst, das Gott selbst in Mißkredit gezogen wird. Im Grunde denke ich manchmal: Gott und Glauben müssen erst ein Stück weit ausziehen aus den Kirchen, um wieder Gehör finden zu können; aber das ist ein anders Thema.
3. Zuletzt: Mitten in jener majestätischen Dünung, mitten in den gewaltigen Wellenbergen auf dem Atlantik und im Alltag höre ich diese uralte Einsicht: „auf hoher See in Gottes Hand“; Gott ist jenseits dieser Wellen, er ist das Wasser selbst, das – aufgeregt oder nicht – unser kleines (Lebens-) Schiff trägt. Vielleicht ist es ja etwas naiv und fromm, diese kleine Philosophie der Wellenformen auch als Bild, als Allegorie einer Gottesgewissheit zu verstehen. Aber ich war an allen Tagen dieser Reise davon überzeugt: Wir bleiben auch in schwerer See in Gottes Hand. Und mit dieser Gewissheit konnte ich mich dann auch wieder den acht Mitseglern zuwenden und das Kochen oder die Wache übernehmen – was die anderen deutlich angemessen fanden. Amen
Liebe Gemeinde,
wie können wir Gott hören, ihn erfahren, gar sehen und spüren? Denn zugegeben: ich wäre schon gerne fruchtbarer Boden und nicht so gern Fels oder Dornen, auf die Gottes Wort fällt. Aber wie? Wir alle sind vermutlich lange genug evangelische Christen, um zu wissen: Gott kann man nicht herbeikommandieren, man kann ich nicht einbestellen oder zur Anwesenheit nötigen, auch nicht mit einem Gottesdienst: Gott ist frei in seinem Wort. Aber nur abwarten? Ich erzähle Ihnen jetzt eine Situation meiner Reise und Sie werden schnell merken, dass sie von mehr als nur einer Reise erzählt. Aber schauen wir mal!
Wenn man mit neun weitgehend fremden Menschen auf einem relativ engen Raum – 16 Meter war unser Segelboot lang, 5 Meter breit – 21 Tage zusammen ist, dann muss man sich gut vertragen, sonst geht das schief. Und Vertragen insbesondere im letzten Drittel der Reise, denn spätestens nach 2 Wochen sind alle Geschichten erzählt, alle Witze gemacht, alle Diskussionen geführt. Und man ist zunehmend in einer gleichsam meditativen, betrachtenden, sinnierenden Stimmung. Nachts hält einen mitten auf dem Atlantik ein unfassbar schöner, klarer, gigantischer Sternenhimmel wach und am Staunen; am Tage stärkt diese meditative Stimmung eine immer intensiver strahlende Sonne mit ihren unfassbaren Auf- und Untergängen, die von berückender Schönheit sein können. Es wird stiller an Bord, die Bewegungen des Schiffes werden zu einer Art rhythmischer Tanz, der Wind bringt warme, trockene Luft in mal heftiger, mal komfortablen Stärke in die Segel. Und wir neun Segler*innen fallen in eine Art opiumfreie Trance, eine Art Versenkung in die Gegenwart, die man kaum wieder verlassen mag, obwohl man mit Kochen dran ist oder mit der Schiffs-Wache.
Aber in all dieser zeitlosen Zeit fällt dir plötzlich auf, dass es drei ganz verschiedene Formen von Wellen gibt, die das Schiff bewegen und herausfordern. Und diese Wellen sind mehr als Wasser, mehr als äußerliche Bewegung, sind werden transparent und durchscheinend für mehr!
1. Da sind zuerst diese kleinen, begrenzten, kräftigen und oft auch gefährlichen Böen, ein unerwarteter Windstoß, den jeder Segler am Kräuseln des Wassers erkennen kann. Und klug dran tut, diese kurzfristige Aufgeregtheit, die aktualistische Hysterie des Windes frühzeitig zu erkennen. Denn man darf dieser Bö, diesem kurzfristigen Schaumkronen-Macher keinesfalls nachgeben, keinesfalls ausweichen, denn dann trifft einen der Windstoß nur umso heftiger und das Schiff liegt schräg. Gute Segler steuern darum das Schiff in den Windstoß hinein, sie halten gleichsam dagegen, ja, sie nutzen die Bö aus, um den eigenen Kurs umso klarer festzuhalten und sich von diesen kurzfristigen Aufgeregtheiten des Windes nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Aktualistische Aufgeregtheiten, spontane Skandalisierung, situative Hysterie des Wassers verdienen Unaufgeregtheit und die Beibehaltung eines klaren Kurses; deswegen können wir auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
2. Die zweite Form von Wellen hängt an der Windstärke, die am Tage oder in der Nacht herrscht; viel Wind, viele hohe Wellen, wenig Wind, flache See. Da der Wind auf dem Weg in die Karibik aber immer von schräg hinten bläst, lässt man sich wie schon Kolumbus, Magellan und Vasco da Gama vom Passatwind von Ost nach West treiben, seglerisch eine überschaubare Herausforderung. Mitunter gab es schon ordentlichen Wind, 5 oder 6 Windstärken, dann wird das Schiff sogar überspült und naß, die Fenster sollten verschlossen sein, damit man in einer trockenen Koje schlafen kann. Diese Wellen sind für einen jeden Segler sozusagen der Alltag, das Normale, sie Umspielen das Schiff und müssen mit einiger Steuerkunst ausgeglichen werden, damit man nicht hin und hergeworfen wird wie eine wehrlose Nußschale. Kurs halten in unruhiger See, die Segelfläche angemessen reduzieren und nicht mit dem Bug in die Welle steuern, sonst stampft sich das Schiff fest. Also auch auf hoher See nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern ein guter Segler steuert elegant die Wellen hinauf und hinunter, nicht ängstlich oder mutlos, sondern die Wellenhöhe nüchtern einschätzen, auch die nächste und übernächste Welle schon im Blick nehmen und so das Schiff heil durch die Wogen bringen. Wir können auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
3. Die dritte Form von Wellen auf dem Atlantik sind die gewaltigsten, die höchsten und geheimnisvollsten. Denn sie sind unabhängig von der Tagesform des Windes, sind mitunter 6 oder 7 Meter hoch, sie rollen von schräg hinten auf das Segelschiff zu, heben es gleichsam ein Stockwerk hoch, um es gleich wieder fallen zu lassen in ein Wellental, in dem man nur noch Wasser umgeben ist, sozusagen mit den Fischen auf Augenhöhe. Aber Freundschaft mit ihnen ist nicht möglich, denn schon im nächsten Augenblick wird das Schiff wieder hochgerissen auf den Wellenkamm, mit glänzender Aussicht auf die vielen kleinen fliegenden Fische, die rechts und links vom Schiff wegfliegen, weil sie das Schiff verständlicher Weise als Fressfeind wahrnehmen. Diese Wellen haben etwas Erhabenes, etwas Majestätisches, solche Wellen gibt es weder in der Ost- noch in der Nordsee. Und das Bemerkenswerte an dieser „hohen Tiefendünnung“ ist, dass ihre Quelle, ihr Ursprung ganz woanders liegt und gar nicht klar ist: Irgendwo auf dem Atlantik, im hohen Norden bei Island oder im tiefen Süden bei Patagonien mag es ein schwerer Sturm sein, ein gigantisches Tief, eine dramatische Kaltfront, die 1000 oder 2000 Seemeilen weg eine solch schwere Dünung hervorbringt.
Manchmal wirkt es wie eine fundamentale Bewegung, besser eine Bewegung der Fundamente, nicht weil es ein paar große Wellen gibt, sondern weil das ganze Meer, der ganze Grund, auf dem wir segeln, in Unruhe gerät. Und irgendwie erinnert diese gewaltige Dünung, diese wuchtige See an all die beunruhigenden Veränderungen, die unser Leben seit einigen Jahren und Jahrzehnten erfassen und unsere Seelen verunsichern. Denn diese Wellenberge lassen einen klein werden, bescheiden oder auch demütig: man wird von diesen Wellen erfasst, hochgespült, in die Tiefe gerissen, man spürt plötzlich eine Wucht des Wassers, die zugleich Staunen und Furcht – oder wie man früher gesagt hätte – Faszination und Erschrecken auslösen. Und plötzlich weiß man, diese hohe Dünung spüren wir zur Zeit überall, sei es bei Kriegs- oder Klimakrisen, sei es bei Migrations- oder Inflationskrisen, sei es bei der fehlenden Hörfähigkeit oder unangemessenen Redeweise im Netz – immer hat man den Eindruck: es sind nicht normale Wellen hier und da, sondern der Grund selbst, auf dem unser Lebensschiff schwimmt, ist in Bewegung geraten.
„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“; dieser Spruch soll ja eigentlich die Unsicherheit formulieren, also die Ungewissheit, die Unberechenbarkeit, wie ein Gerichtsurteil oder auch eine Segelpartie ausgeht. Aber ich habe in all der meditativen Stille der vielen Wellenberge doch auch wieder den anderen Sinn des Spruches herausgehört – nämlich, dass wir in Gottes Hand sind auch auf hoher See. Dazu aber zuletzt drei Einsichten:
1.Wenn Gott uns erreicht, dann ist das immer in Form menschlicher Rede, menschlicher Bilder und Geschichten, in Metapher und Allegorien, aber nie 1:1. Gott wird Mensch und menschlich auch in der Sprache, in der er mit uns spricht. Wir können von ihm erzählen in Bildern und Geschichten, wir können ihn darin spüren und erfahren, aber nie gefangen nehmen in unseren Worten. Gott ist unverfügbar und frei. Zugleich heißt das: Schon ein anderer, der neben mir auf dem Schiff sitzt und die gleichen Wellen sieht, kann gar nichts anderes sehen als eben: Wellen, nüchterne, profane, erklärbare Wellen. Gottes Gegenwart ist nie objektiv feststellbar, es bleibt mein Herz, meine Seele, die ihn erahnt.
2. Sodann gilt: „Man sieht nur, was man weiß!“ – mit diesem Spruch hat früher das Reisemagazin „Merian“ geworben. Wir könnten sagen: Man hört nur, was man kennt. Man kann Gott nur erkennen und spüren, wenn man jedenfalls in Ansätzen von ihm etwas gehört hat, wenn man überhaupt damit rechnet, dass es ihn gibt und dass er in der Welt erfasst werden kann. Das ist ja der wirkliche Jammer unserer kirchlichen Situation: dass es uns immer weniger gelingt, die Geschichten von Gott und seiner Nähe zu den Menschen weiterzugeben. Dieser ganze Vertrauensverlust der großen Kirchen führt dazu, dass der christliche Glaube selbst, das Gott selbst in Mißkredit gezogen wird. Im Grunde denke ich manchmal: Gott und Glauben müssen erst ein Stück weit ausziehen aus den Kirchen, um wieder Gehör finden zu können; aber das ist ein anders Thema.
3. Zuletzt: Mitten in jener majestätischen Dünung, mitten in den gewaltigen Wellenbergen auf dem Atlantik und im Alltag höre ich diese uralte Einsicht: „auf hoher See in Gottes Hand“; Gott ist jenseits dieser Wellen, er ist das Wasser selbst, das – aufgeregt oder nicht – unser kleines (Lebens-) Schiff trägt. Vielleicht ist es ja etwas naiv und fromm, diese kleine Philosophie der Wellenformen auch als Bild, als Allegorie einer Gottesgewissheit zu verstehen. Aber ich war an allen Tagen dieser Reise davon überzeugt: Wir bleiben auch in schwerer See in Gottes Hand. Und mit dieser Gewissheit konnte ich mich dann auch wieder den acht Mitseglern zuwenden und das Kochen oder die Wache übernehmen – was die anderen deutlich angemessen fanden. Amen
Lukas 8, 4 – 8
Liebe Gemeinde,
wie können wir Gott hören, ihn erfahren, gar sehen und spüren? Denn zugegeben: ich wäre schon gerne fruchtbarer Boden und nicht so gern Fels oder Dornen, auf die Gottes Wort fällt. Aber wie? Wir alle sind vermutlich lange genug evangelische Christen, um zu wissen: Gott kann man nicht herbeikommandieren, man kann ich nicht einbestellen oder zur Anwesenheit nötigen, auch nicht mit einem Gottesdienst: Gott ist frei in seinem Wort. Aber nur abwarten? Ich erzähle Ihnen jetzt eine Situation meiner Reise und Sie werden schnell merken, dass sie von mehr als nur einer Reise erzählt. Aber schauen wir mal!
Wenn man mit neun weitgehend fremden Menschen auf einem relativ engen Raum – 16 Meter war unser Segelboot lang, 5 Meter breit – 21 Tage zusammen ist, dann muss man sich gut vertragen, sonst geht das schief. Und Vertragen insbesondere im letzten Drittel der Reise, denn spätestens nach 2 Wochen sind alle Geschichten erzählt, alle Witze gemacht, alle Diskussionen geführt. Und man ist zunehmend in einer gleichsam meditativen, betrachtenden, sinnierenden Stimmung. Nachts hält einen mitten auf dem Atlantik ein unfassbar schöner, klarer, gigantischer Sternenhimmel wach und am Staunen; am Tage stärkt diese meditative Stimmung eine immer intensiver strahlende Sonne mit ihren unfassbaren Auf- und Untergängen, die von berückender Schönheit sein können. Es wird stiller an Bord, die Bewegungen des Schiffes werden zu einer Art rhythmischer Tanz, der Wind bringt warme, trockene Luft in mal heftiger, mal komfortablen Stärke in die Segel. Und wir neun Segler*innen fallen in eine Art opiumfreie Trance, eine Art Versenkung in die Gegenwart, die man kaum wieder verlassen mag, obwohl man mit Kochen dran ist oder mit der Schiffs-Wache.
Aber in all dieser zeitlosen Zeit fällt dir plötzlich auf, dass es drei ganz verschiedene Formen von Wellen gibt, die das Schiff bewegen und herausfordern. Und diese Wellen sind mehr als Wasser, mehr als äußerliche Bewegung, sind werden transparent und durchscheinend für mehr!
1. Da sind zuerst diese kleinen, begrenzten, kräftigen und oft auch gefährlichen Böen, ein unerwarteter Windstoß, den jeder Segler am Kräuseln des Wassers erkennen kann. Und klug dran tut, diese kurzfristige Aufgeregtheit, die aktualistische Hysterie des Windes frühzeitig zu erkennen. Denn man darf dieser Bö, diesem kurzfristigen Schaumkronen-Macher keinesfalls nachgeben, keinesfalls ausweichen, denn dann trifft einen der Windstoß nur umso heftiger und das Schiff liegt schräg. Gute Segler steuern darum das Schiff in den Windstoß hinein, sie halten gleichsam dagegen, ja, sie nutzen die Bö aus, um den eigenen Kurs umso klarer festzuhalten und sich von diesen kurzfristigen Aufgeregtheiten des Windes nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Aktualistische Aufgeregtheiten, spontane Skandalisierung, situative Hysterie des Wassers verdienen Unaufgeregtheit und die Beibehaltung eines klaren Kurses; deswegen können wir auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
2. Die zweite Form von Wellen hängt an der Windstärke, die am Tage oder in der Nacht herrscht; viel Wind, viele hohe Wellen, wenig Wind, flache See. Da der Wind auf dem Weg in die Karibik aber immer von schräg hinten bläst, lässt man sich wie schon Kolumbus, Magellan und Vasco da Gama vom Passatwind von Ost nach West treiben, seglerisch eine überschaubare Herausforderung. Mitunter gab es schon ordentlichen Wind, 5 oder 6 Windstärken, dann wird das Schiff sogar überspült und naß, die Fenster sollten verschlossen sein, damit man in einer trockenen Koje schlafen kann. Diese Wellen sind für einen jeden Segler sozusagen der Alltag, das Normale, sie Umspielen das Schiff und müssen mit einiger Steuerkunst ausgeglichen werden, damit man nicht hin und hergeworfen wird wie eine wehrlose Nußschale. Kurs halten in unruhiger See, die Segelfläche angemessen reduzieren und nicht mit dem Bug in die Welle steuern, sonst stampft sich das Schiff fest. Also auch auf hoher See nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern ein guter Segler steuert elegant die Wellen hinauf und hinunter, nicht ängstlich oder mutlos, sondern die Wellenhöhe nüchtern einschätzen, auch die nächste und übernächste Welle schon im Blick nehmen und so das Schiff heil durch die Wogen bringen. Wir können auch in Kirche und Gesellschaft viele gute Segler gebrauchen!
3. Die dritte Form von Wellen auf dem Atlantik sind die gewaltigsten, die höchsten und geheimnisvollsten. Denn sie sind unabhängig von der Tagesform des Windes, sind mitunter 6 oder 7 Meter hoch, sie rollen von schräg hinten auf das Segelschiff zu, heben es gleichsam ein Stockwerk hoch, um es gleich wieder fallen zu lassen in ein Wellental, in dem man nur noch Wasser umgeben ist, sozusagen mit den Fischen auf Augenhöhe. Aber Freundschaft mit ihnen ist nicht möglich, denn schon im nächsten Augenblick wird das Schiff wieder hochgerissen auf den Wellenkamm, mit glänzender Aussicht auf die vielen kleinen fliegenden Fische, die rechts und links vom Schiff wegfliegen, weil sie das Schiff verständlicher Weise als Fressfeind wahrnehmen. Diese Wellen haben etwas Erhabenes, etwas Majestätisches, solche Wellen gibt es weder in der Ost- noch in der Nordsee. Und das Bemerkenswerte an dieser „hohen Tiefendünnung“ ist, dass ihre Quelle, ihr Ursprung ganz woanders liegt und gar nicht klar ist: Irgendwo auf dem Atlantik, im hohen Norden bei Island oder im tiefen Süden bei Patagonien mag es ein schwerer Sturm sein, ein gigantisches Tief, eine dramatische Kaltfront, die 1000 oder 2000 Seemeilen weg eine solch schwere Dünung hervorbringt.
Manchmal wirkt es wie eine fundamentale Bewegung, besser eine Bewegung der Fundamente, nicht weil es ein paar große Wellen gibt, sondern weil das ganze Meer, der ganze Grund, auf dem wir segeln, in Unruhe gerät. Und irgendwie erinnert diese gewaltige Dünung, diese wuchtige See an all die beunruhigenden Veränderungen, die unser Leben seit einigen Jahren und Jahrzehnten erfassen und unsere Seelen verunsichern. Denn diese Wellenberge lassen einen klein werden, bescheiden oder auch demütig: man wird von diesen Wellen erfasst, hochgespült, in die Tiefe gerissen, man spürt plötzlich eine Wucht des Wassers, die zugleich Staunen und Furcht – oder wie man früher gesagt hätte – Faszination und Erschrecken auslösen. Und plötzlich weiß man, diese hohe Dünung spüren wir zur Zeit überall, sei es bei Kriegs- oder Klimakrisen, sei es bei Migrations- oder Inflationskrisen, sei es bei der fehlenden Hörfähigkeit oder unangemessenen Redeweise im Netz – immer hat man den Eindruck: es sind nicht normale Wellen hier und da, sondern der Grund selbst, auf dem unser Lebensschiff schwimmt, ist in Bewegung geraten.
„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“; dieser Spruch soll ja eigentlich die Unsicherheit formulieren, also die Ungewissheit, die Unberechenbarkeit, wie ein Gerichtsurteil oder auch eine Segelpartie ausgeht. Aber ich habe in all der meditativen Stille der vielen Wellenberge doch auch wieder den anderen Sinn des Spruches herausgehört – nämlich, dass wir in Gottes Hand sind auch auf hoher See. Dazu aber zuletzt drei Einsichten:
1.Wenn Gott uns erreicht, dann ist das immer in Form menschlicher Rede, menschlicher Bilder und Geschichten, in Metapher und Allegorien, aber nie 1:1. Gott wird Mensch und menschlich auch in der Sprache, in der er mit uns spricht. Wir können von ihm erzählen in Bildern und Geschichten, wir können ihn darin spüren und erfahren, aber nie gefangen nehmen in unseren Worten. Gott ist unverfügbar und frei. Zugleich heißt das: Schon ein anderer, der neben mir auf dem Schiff sitzt und die gleichen Wellen sieht, kann gar nichts anderes sehen als eben: Wellen, nüchterne, profane, erklärbare Wellen. Gottes Gegenwart ist nie objektiv feststellbar, es bleibt mein Herz, meine Seele, die ihn erahnt.
2. Sodann gilt: „Man sieht nur, was man weiß!“ – mit diesem Spruch hat früher das Reisemagazin „Merian“ geworben. Wir könnten sagen: Man hört nur, was man kennt. Man kann Gott nur erkennen und spüren, wenn man jedenfalls in Ansätzen von ihm etwas gehört hat, wenn man überhaupt damit rechnet, dass es ihn gibt und dass er in der Welt erfasst werden kann. Das ist ja der wirkliche Jammer unserer kirchlichen Situation: dass es uns immer weniger gelingt, die Geschichten von Gott und seiner Nähe zu den Menschen weiterzugeben. Dieser ganze Vertrauensverlust der großen Kirchen führt dazu, dass der christliche Glaube selbst, das Gott selbst in Mißkredit gezogen wird. Im Grunde denke ich manchmal: Gott und Glauben müssen erst ein Stück weit ausziehen aus den Kirchen, um wieder Gehör finden zu können; aber das ist ein anders Thema.
3. Zuletzt: Mitten in jener majestätischen Dünung, mitten in den gewaltigen Wellenbergen auf dem Atlantik und im Alltag höre ich diese uralte Einsicht: „auf hoher See in Gottes Hand“; Gott ist jenseits dieser Wellen, er ist das Wasser selbst, das – aufgeregt oder nicht – unser kleines (Lebens-) Schiff trägt. Vielleicht ist es ja etwas naiv und fromm, diese kleine Philosophie der Wellenformen auch als Bild, als Allegorie einer Gottesgewissheit zu verstehen. Aber ich war an allen Tagen dieser Reise davon überzeugt: Wir bleiben auch in schwerer See in Gottes Hand. Und mit dieser Gewissheit konnte ich mich dann auch wieder den acht Mitseglern zuwenden und das Kochen oder die Wache übernehmen – was die anderen deutlich angemessen fanden. Amen