Predigt · Letzter Sonntag nach Epiphanias · 30. Januar 2022 · Pfarrer Michael Hufen
Exodus 2. Mose 34, 29 – 35
„Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen“ / „Christen müssten erlöster aussehen“
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
auf einem Bild von Marc Chagall empfängt Mose die Tafeln des Gesetzes. Auf einem strahlenden gelben Farbfeld, fast schwebend streckt er die Hände zu Gott – den Chagall „natürlich“ nicht gemalt hat – und empfängt die beiden Gesetzestafeln.
Und Mose hat Hörner auf dem Kopf. So wie in vielen anderen künstlerischen Darstellungen unseres heutigen Predigttextes aus dem 2. Buch Mose:
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Ich habe mich als Student immer gefragt, warum Mose auf einmal Hörner auf dem Kopf hat.
Die Vorstellung, dass Mose Hörner bekommen hatte, entspringt einer Doppeldeutigkeit im Hebräischen: Strahl und Horn sind dasselbe Wort. Von einem gehörnten Gesicht wird man im Unterschied zu einem strahlenden Gesicht wohl eher nicht sprechen. Andererseits sind „Hörner“ im damaligen Kulturkreis durchaus ein Zeichen von Göttlichkeit. In Psalm 118,27 heißt es: Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars! Oder: in Ägypten gilt ein Stier als Verkörperung des Gottes Ptah; oder: Darstellungen des Baal: sie zeigen ihn mit gehörntem Helm. Es scheint also nicht völlig unsinnig zu sein, dass Mose nach der Begegnung mit Gott selber göttliche Attribute erhält: Hörner.
Bekommt er aber nicht, sondern sein Gesicht leuchtet: Es strahlt so sehr, dass sich die Israeliten fürchten und Mose sich den Kopf bedeckt.
Über die religionsgeschichtlichen Bezüge dieser Frage kann man sicher einmal einen Gemeindeabend machen, aber heute hier in der Predigt geht es mir um etwas anderes:
Mose ist Gott begegnet
Und sein Gesicht leuchtet, es strahlt – so sehr, dass er eine Decke darüber ziehen muss, weil es die anderen sonst nicht aushalten.
Aber sie merken es natürlich trotzdem.
Für Mose stand der Himmel ein Stück offen, der Glanz der Ewigkeit spiegelt sich nun in ihm wider.
Er hat mit Gott von Angesicht zu Angesicht geredet, wie ein Mann mit seinem Freund redet. Er hat erlebt, dass den Israeliten das Warten auf ihn zu lange wurde und sie sich ein goldenes Kalb machten. Wütend zerschlägt Mose die Tafeln des Gesetzes, Gottes Wort ein Scherbenhaufen. Und Mose wütet auch gegen sein Volk – bleibt aber hartnäckig im Gespräch mit Gott und in der Fürbitte für sein ungeduldiges Volk.
Und er wagt etwas, vielleicht gehen ihm auch alle spirituellen Gäule durch: er will Gottes Herrlichkeit sehen – darf er auch, allerdingst geschützt vor dieser Herrlichkeit in einer sicheren Felsspalte und er darf nur hinterhersehen – mehr könnte auch er nicht aushalten.
Und sein Angesicht leuchtete.
Der Wiederschein der vorbeigezogenen Herrlichkeit Gottes, erleuchtet sein Gesicht.
So stark, dass sich Aaron und alle Israeliten fürchteten.
Die Begegnung mit Gott bringt Menschen zum Leuchten.
„Die Christen müssten erlöster aussehen.!“
Glauben, bekennen und lehren sie doch – und das steht sicher hinter dem Gedanken des christenhassenden Pfarrerssohnes Friedrich Nietzsche – auf ganz besondere Weise diesem Gott nahe zu sein.
Auch wenn sie nicht wie die Jünger seine Stimme hören „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.“
Christen kommen Gott auf ganz andere Weise nahe als Mose. Das ist vielleicht auch besser so. Vielleicht ist diese Wucht der direkten Gottesbegegnung für uns Menschen auch zu heftig.
Uns begegnet Gott in Jesus. Als Kind in der Krippe: „Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht sattsehen.“
Weil wir bei allem guten Willen den Himmel nicht öffnen können, uns nicht von uns aus mit Gott vereinen können, tut er es. Er zeigt uns in Jesus sein Gesicht. Gott lässt es zu, dass wir Menschen Herz an Herz mit ihm leben. Das glauben wir Christen.
Und trotzdem haben wir so unsere Probleme mit der Zuwendung Gottes.
Die Botschaft von Karfreitag, auf den wir heute am Ende der Epiphanias- ja am letzten Zipfel der Weihnachtszeit vorausblicken, als Botschaft der Herrlichkeit Gottes im Elend, der Erniedrigung lässt viele den Kopf schütteln, der Zuwendung Gottes aus dem Weg gehen.
Zumal wenn wir uns vergewissern, dass die Hinwendung Gottes zur Welt in Jesus nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen bedeutet, sondern, dass dieser Jesus auch sagt, dass er gekommen sei das Schwert zu bringen und Feuer auf die Erde zu werfen.
Schon bei Mose wird deutlich, dass die Begegnung mit Gott etwas ist, was dir die Sprache verschlägt. Ein tief greifendes Mysterium. Etwas, was dich durch und durch erschüttert.
Aber eben auch selbst zum Leuchten bringt – etwas in uns zum Leuchten bringt und vielleicht auch uns selbst.
So ging es den Menschen denen Jesus begegnet ist. Sie ließen sich anstecken, ließen die Fischernetze oder die Zollformulare liegen und pfiffen wie Maria Magdalene auf ihren schlechten Ruf oder brachen wie Martin Luther sein Gelübde.
Sie sind Jesus begegnet oder jedenfalls Menschen, deren Gesicht so einladend glänzte.
“Die Christen müssten erlöster aussehen“
In meiner Zeit im Seniorenheim habe ich Menschen getroffen, die so aussahen.
Frau Zernia war so eine, über 100 Jahre alt. Sie war blind, aber wenn sie im Gottesdienst sang – und sie konnte tatsächlich alle Lieder auswendig, auch wenn es ein Paul Gerhard mit mehr als 10 Versen war, dann hatte ihr Gesicht etwas Strahlendes, Fröhliches und auch etwas Getrostes. Wenn sie sang, dass Gott alles so herrlich regieret, entsprach das ihrer Erfahrung und „Jesu meine Zuversicht“ war mehr als ein Lied. Für sie waren Gedanken über ein Leben nach dem Tod nicht nur fromme Bekenntnisse, sondern ein tiefer Trost angesichts des zu Ende gehenden Lebens auf dieser Erde und Ausdruck der Gewissheit, dass dieser Gott mit dem sie ihr ganzes Leben verbracht hat, auf sie wartet und sie bald sehen wird, was sie glaubt.
Sie hat es erlebt und war sich sicher, dass dieser Gott ein großer Zweite-Chancen -Ermöglicher ist, auch wenn wir es beim ersten Mal ganz ordentlich vergeigt haben – so wie Mose, der die Tafeln mit den 10 Geboten auf dem Boden zerdeppert hat.
Gott war sich nicht zu schade ein zweite Edition von eigener Hand aufzulegen.
Mose erlebt, dass Gott mit sich reden lässt, niemand bleibt bei Gott auf sein Versagen festgelegt. Er will uns heute und immer wieder eine neue Chance schenken und einen neuen Anfang ermöglichen.
Wer das zu glauben vermag, die oder der kann tatsächlich erlöster aussehen, als ein Mensch, der in sich verkrümmt, an die eigenen Fehlern gekrallt nicht an einen Neuanfang glauben kann.
Ob diese Menschen wissen, dass sie strahlen? Sie halten sich jedenfalls für nicht Besonderes, aber sie wissen ganz tief in ihrem Herzen, dass sie ihrem Gott von Angesicht zu Angesicht begegnen werden. Ohne Decke über dem Kopf oder Maske vor dem Gesicht, ohne Abstand, ohne social distancing. Ganz direkt.
„Christen müssten erlöster aussehen?“
Bei Johann Sebastian Bach heißt es in seiner Weihnachtskantate „Ich freue mich in dir“:
„Ich habe Gott – wie wohl ist mir geschehen – von Angesicht zu Angesicht gesehen. Ach meine Seele muss genesen.“
Solche Momente können wir nicht erzwingen, Gott schenkt sie uns. Aber wir können diese Geschenke annehmen, uns auf sie einlassen, sie in uns aufnehmen und bewahren. Wir können einander davon erzählen und das Leuchten unserer Augen sagt mehr als unsere Worte und strahlt weit. Gott hat die Ewigkeit in unser Herz gelegt, heißt es bei Kohelet. Ihr Aufstrahlen erleben wir immer wieder. In einer Welt in der uns so vieles düster, rätselhaft und verborgen ist, gibt uns das Hoffnung und Zuversicht.
Dann leuchten vielleicht auch unsere Augen und wir sehen tatsächlich erlöster aus.
Der Friede Gottes, der größer ist als all unsere menschliche Vorstellungskraft bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.