Predigt · Heiligabend open air · 24. Dezember 2021· Pfarrer Michael Hufen
Lukas 2, 1 – 20
Liebe Gemeinde!
Was ist in der Weihnachtsgeschichte, die wir gehört haben eigentlich das wichtigste Wort?
Ob es die Worte sind, in denen von den Mächtigen damals berichtet wird: von Quirinius, dem Statthalter Roms, und seinem Kaiser, dem mächtigen Augustus?
Doch die sich so mächtig vorkommen, sind doch nur Randfiguren in dem Geschehen.
Ob es die Tatsache ist, dass ein junges Paar Mühe hat, ein Dach über dem Kopf zu finden, um ein Kind zur Welt zu bringen? Doch solche Verhältnisse gibt es – leider – immer wieder in unserer Welt, in immer neuen Variationen.
Ob es die Hirten sind mit der Engelerscheinung, die sie erleben? Ob es das Kind ist, das die Hirten in der Krippe finden? Das alles bildet ja die Mitte der Erzählung.
Ohne Maria und Joseph, ohne die Hirten, ohne das Jesuskind gäbe es diese Geschichte nicht.
Und dennoch – so hat es Martin Luther, der Reformator, einst gesagt: Das wichtigste Wort in der Weihnachtsgeschichte ist das kleine Wörtchen: „Euch“. Der Engel sagt es zunächst den Hirten und mit den Hirten auch uns heute: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren!“ Dreimal taucht es auf, das wichtige „Euch“. Und die Hirten trauen dieser Botschaft und gehen los nach Bethlehem, das Kind zu sehen, das auch für sie geboren wurde.
Das „Euch“ sei das wichtigste Wort in der Weihnachtsgeschichte, sagt Luther. Und er meint damit, dass man die Geschichte von der Geburt in Bethlehem vielleicht anrührend oder lehrreich finden mag und dass man ohne sie eigentlich nicht Weihnachten feiern will, dass man aber dennoch das Wichtigste an ihr übersehen kann: das „Euch ist heute der Heiland geboren“.
Dir und mir – heute.
Und in seiner drastischen Sprache fügt Luther hinzu: Selbst der Teufel könnte glauben, dass Christus in der Krippe zu Bethlehem gelegen hätte. Aber der würde eben nicht glauben, dass das für ihn – ihm zugute – geschehen sei.
Euch ist heute der Heiland geboren – dir und mir.
Brauche ich einen Heiland, einen göttlichen Retter? Habe ich mein Leben nicht selbst im Griff? Hast du dein Leben, haben wir unser Leben – „im Griff“?
In einer Zeitschrift las ich vor kurzem, es gäbe so etwas wie eine „Angstreligion“ als neuen Glauben der gebildeten Mittelschicht in Deutschland. Ein Angstglaube, gespeist von ernsten ökologischen und wirtschaftlichen Gründen und nicht zuletzt durch die Herausforderungen durch Corona. Es gibt handfeste Gründe für die Angst doch zugleich wird sie auch geschürt von einer Angstindustrie, die mit diesem neuen Glauben gute Geschäfte macht mit immer neuen Versicherungspolicen, mit einer Flut von Büchern und Filmen, in denen Katastrophen und Weltuntergänge mit immer neuen Farben gemalt werden. Eine Angstreligion, die auch in den Regierungen unserer Länder neue Anhänger gefunden hat. Auch das kommende Jahr werde ein Jahr schlechter Nachrichten, warnen schon wieder Politiker.
Brauchen wir einen Heiland? Brauchen wir etwa keinen Heiland?
„Fürchtet euch nicht“, spricht der Engel zu den Hirten, „denn euch ist heute der Heiland geboren“.
Euch, uns, mir und dir zugute.
Das Kind in der Krippe kommt in eine Welt, in der es zwar viele verständliche Gründe gibt, sich zu fürchten. Aber es kommt, damit niemand mehr in einem Angstglauben leben muss, fixiert auf immer neue Horrormeldungen, sondern dass jeder im Vertrauen leben kann: im Wissen, dass inmitten vieler ungelöster Probleme dennoch Gott da ist, die große gute Kraft, hineingeboren in diese hoch problematische Welt. Und dass es sich lohnt zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Und dass es Sinn macht, im Kleinen oder Großen für diese Welt und ihre Zukunft zu kämpfen.
Dem Kind in der Krippe begegnen die Hirten, handfeste Leute, die Gott und religiöse Dinge aus ihrem Alltag ausblenden. Auch sie brauchen scheinbar keinen Heiland, keinen himmlischen Retter. Aber sie machen sich auf zu dem Kind von Bethlehem und begegnen in ihm dem lebendigen Gott: dem Gott, der so ganz anders ist, als sich das Menschen vorstellen, dem Gott, der ihnen so nahe kommt und der ein wirklicher Mensch, ein Baby wird, in Windeln gewickelt. Und diese Geburt verändert sie. Sie – die handfesten Leute – fangen an, über dem, was sie erlebt haben, Gott zu loben und zu preisen.
Das Kind in der Krippe kommt zu dir, jetzt in dieser Stunde. Das „Euch“ ist das wichtigste Wort in der Weihnachtsgeschichte. Jetzt, bei den Liedern, beim Hören auf die Weihnachtsgeschichte und beim Beten kommt es zu dir. Es will nicht nur im Stall von Bethlehem wohnen, sondern auch in deinem Herzen, dort, wo sich Angst und Sorge ausgebreitet haben mit den vielen Fragen, wie alles werden wird. Dort will es wohnen, die Sorgen zurechtrücken und dem Vertrauen Raum schaffen, dem Glauben, dass Gottes Liebe größer ist als du ahnst.
„Euch“, uns ist heute der Heiland geboren, Jesus Christus. Dir und mir. Deshalb können wir verändert von dieser Krippe weggehen wie einst die Hirten: mit Jesus im Herzen und einem Loblied für Gott auf den Lippen, überreich beschert von Gott noch vor unserer Bescherung zu Hause. Amen