Predigt · Pfingstfest · 23. Mai 2021 ·Pfarrerin Stefanie Sippel
Liebe pfingstliche Gemeinde!
Am Himmelfahrtstag vor zehn Tagen haben wir uns erinnert, wie Jesus Christus seinen Jüngern die Geschicke der Welt anvertraut hat. Sie nahmen diese Herausforderung an und lebten als Gemeinschaft und erzählten von Gott. Sie feierten weiterhin ihre Feste. Kurz nach der Himmelfahrt stand das Wochenfest an. Es ist eines der großen Wallfahrtsfeste des Judentums, wie es noch heute und in dieser Woche gefeiert wird. Zur Zeit des Zweiten Tempels kamen sie aus dem ganzen Land nach Jerusalem und brachten ihre Opfer dar zum Dank für die Erstlingsfrüchte der Ernte. Es ist ein Fest auch zum Dank für Gottes Gabe der Thora.
Es wird erzählt, dass dieses Schawuot anders war als sonst. Denn dieses Mal brauste es, und Feuerzungen stiegen auf und der Heilige Geist kam über sie und sie erlebten ein Sprachenwunder. Es kam ihnen vor, als würden sie die jeweils anderen, die aus Regionen anderer Sprache kamen, in ihrer eigenen Sprache sprechen hören.
Diese Geschichte gibt es noch einmal umgekehrt. Gleich zu Beginn der Bibel im elften Kapitel wird berichtet vom Turmbau zu Babel. Dort sprachen die Menschen alle dieselbe Sprache, und es geschah ein Wunder, so dass Gott ihnen verschiedene Sprachen gab. Sie konnten sich nicht mehr verständigen.
Alle Bewohner der Erde aber hatten eine Sprache und ein und dieselben Worte. Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und ließen sich dort nieder. Und sie sagten zueinander: Auf, wir wollen Ziegel formen und sie hart brennen. So diente ihnen der Ziegel als Baustein, und der Asphalt diente ihnen als Mörtel. Und sie sagten: Auf, wir wollen eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und uns so einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Da stieg der Herr herab, um die Stadt zu besehen und den Turm, die die Menschen bauten. Und der Herr sprach: Sieh, alle sind ein Volk und haben eine Sprache. Und dies ist erst der Anfang ihres Tuns. Nun wird ihnen nichts mehr unmöglich sein, was immer sie sich zu tun vornehmen. Auf, lasst uns hinabsteigen und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner mehr die Sprache des andern versteht. Und der Herr zerstreute sie von dort über die ganze Erde, und sie ließen davon ab, die Stadt zu bauen. Darum nannte man sie Babel, denn dort hat der Herr die Sprache aller Bewohner der Erde verwirrt, und von dort hat der Herr sie über die ganze Erde zerstreut.
Während ganz zu Beginn einmal eine Zeit war, in der die Menschen zerstreut worden sind, kam zu Pfingsten alles wieder zusammen. Das ist das typische Bild. Eine Negativfolie und ein gutes Beispiel. Unangenehm für diejenigen, die nichts von Pfingsten wissen. Wie die Jüdinnen und Juden. Sie müssen sich scheinbar ein Beispiel nehmen an den Christ*innen, die Bescheid wissen in Sachen Einheit erzielen. Aber auch das ergibt keinen richtigen Sinn. Gott selbst ist einmal gegen die Einheit und stört sie, und einmal führt er sie wieder zusammen?
Ich kann mir auf gewisse Weise vorstellen, wie Gott verlangt, dass der Mensch eigentlich lieber über ihn staunt.
Hochhäuser wie dieser Turm zu Babel faszinieren. Ich denke an das World Trade Center.
Diese hohen Bauwerke haben etwas Kühnes, Provozierendes an sich.
Auch für die Hochhäuser in Dubai kann man das sagen, dass die Höhe von Häusern etwas mit Selbstbewusstsein zu tun haben. Im Moment zieht es viele Menschen dorthin und in noch weiter entfernte östliche Metropolen wie Singapur.
Aber nein, der Turm ist wohl keine Konkurrenz. Gott muss ganz nach unten in die Tiefe kommen, um überhaupt den Turm zu sehen. Warum will Gott den Turmbau verhindern?
Ich dachte übrigens immer, der Turm sei durch Gott zerstört worden. Auch das scheint so eine Deutung zu sein, die erst an die Geschichte herangetragen wird.
Gott straft nicht. Er hat kein Problem mit dem Turm. Er verwirrt die Menschen, und sie bauen nicht weiter.
Der Tempel in Jerusalem war im Prinzip auch so ein Bauwerk, das Menschen zusammenführt, nur eben im Namen Gottes. Es zeigte, es gibt ein von Menschen Gemachtes überwältigendes Gebäude, das dann nicht als Konkurrenz auftritt, sondern dass im Gegenteil die Menschen eint und Gott ins Zentrum stellt. Dass es den Tempel gab, das ist schon eine Anfrage an die herkömmliche Auslegung der Turmbau zu Babel-Geschichte.
Es wird gesagt, sie haben eine Sprache. Vielleicht ist das mit der Verständigung dann auch anders gemeint. Es gibt heute Hunderte von Sprachen. Das kann zum Hemmnis werden, aber es gibt immer Möglichkeiten zu übersetzen. Eine unterschiedliche sprachliche Herkunft hindert nicht, ein großes Projekt aufzunehmen.
Ob man sich versteht oder nicht, hängt an anderem: an den diplomatischen Beziehungen, an der Kommunikation und auch an der Bildung.
Sprache ist nur ein Element in der Verständiung, und Gott hat sicher nichts dagegen, dass die Menschen eine gemeinsame Sprache haben und sich gut verstehen.
Die Geschichte deutet auf etwas anderes hin. Und zwar die Notwendigkeit der Selbstbegrenzung.
Die ist heute wichtiger als je zuvor. Man denke an die Massentierhaltung.
Das Besondere der Turmbau zu Babel-Geschichte ist, dass sie über die Gefahren der Stadtkultur spricht. Die Menschen haben aufgehört, Nomaden zu sein. Sie wissen nun, wie man Ziegel aus Lehm brennt. Die Lehmziegel sind auch automatisch als Sozialkritik zu denken, weil der Bau mit Ziegeln damals mit der Unterwerfung und Entrechtung von Sklaven einher ging. Diese sind typischerweise eingesetzt worden zur Lehmverarbeitung. Da kann dieses Bauwerk noch so eindrucksvoll sein. Es überzeugt nicht, solange es Ungerechtigkeiten zwischen Menschen zementiert, so dass die einen die reichen Turmbesitzer sind und die anderen sie Verarmten. Der Turm ist nicht sozialtauglich. Über diese Gefahren der Zivilisation will die Geschichte aufklären.
Je länger ich darüber nachdenke, desto ungeheuerlicher erscheint es mir, Babel und Pfingsten miteinander zu verbinden.
Vor Abraham und bis nach Jesu Geburt wäre die Zwischenzeit gewesen. Eine Zeit, in der die Menschen durch Gott behindert und in ihrer Fähigkeit, sich zu Großem zu vereinen, gehemmt gelebt hätten. Das hieße, dass der wesentliche Teil der Zeit, in der Gott sich offenbart hat, unter ungünstigen Bedingungen abgelaufen ist.
In dem Text heißt es, die Nomaden sehnten sich nach einem Fokus, einem Namen, der ihre Zertrennung einen würde. Dieser Name ist wohl der Name des Gottes Israels, der sich den Menschen als Geistkraft zeigt. Mit Abraham kam schon im darauffolgenden biblischen Kapitel eine konkrete Perspektive ins Spiel. Er wurde namentlich herausgerufen aus der Menge. Ihm, Sarah und den Nachkommen wird eine große Geschichte und der Bund verheißen. Gott ist nicht dagegen, dass sein Volk einen Namen und eine Geschichte haben. Nur nicht in Ausmaßen, die ihnen schaden.
Über Jahrhunderte lebten Jüdinnen und Juden zerstreut in der Diaspora. Diese Idee der Sammlung in Jerusalem und insofern die Staatsgründung Israels ist vielleicht eine Konsequenz aus dem Gedanken von Pfingsten. Dass es einen Ort gibt, an dem Menschen sich in Gottes Frieden sammeln können. Und dabei ist zu bedenken, dass das eine das andere nicht infrage stellt. Es kann auch jemand finden, er lebt lieber oder sicherer in der Zerstreuung. Es kommt nicht darauf an, gesammelt oder verstreut zu sein. Sondern es kommt auf die innere Haltung an. Da, wo Menschen im Namen Gottes handeln, wird es ihnen zum Besten dienen.
Die Geschichte des Lukas zeigt mit ihrer Chronologie und ihrer Geographie sehr schön die Ausbreitung des christlichen Glaubens. Es soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Heilige Geist schon bei Mose am Sinai bei der Gabe der 10 Gebote vorkam. Wie es beim Wochenfest erinnert wird.
Amen.