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Bürgerdialog 24.11.20

Posted on Nov 25, 2020 in im Kiez, Nachrichten/Archiv
Bürgerdialog 24.11.20

Wolfgang Schäuble sagte am 26. April 2020 im Interview mit dem Tagesspiegel:

„Aber wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“

Herr Schäuble hat hier früh etwas angesprochen, was dann sehr schnell im Mediengewitter untergegangen ist: die Aufforderung zu einem unverstellten öffentlichen Nachdenken über Leben und Tod. So wurde er auch am 24.11. beim Bürgerdialog  mehrmals zitiert.

Dem Dialog, der von Pfarrer Michael Hufen moderiert wurde, waren drei Statements vorangestellt:

Peggy Utz, Krankenschwester auf einer der Covid-19-Isolierstation des Virchow-Klinikums, berichtete von dem Alltag in der Klinik. Sie würden dort aus Enthusiasmus arbeiten, der Infektionszuschlag von 10 – 25 EUR im Monat jedenfalls würde das Risiko, unter dem sie jetzt arbeiteten, nicht kompensieren. Es leuchte ihr nicht ein, dass die Gelder gerade jetzt nicht in das Gesundheitswesen flössen. Jedenfalls käme beim Pflegepersonal nichts an, und die Stationen seien unterbesetzt, was die Infektionsgefahr unter dem Personal gefährlich erhöhe. So würde man kein qualifiziertes Personal gewinnen können. Ihr sei auch unverständlich, dass nicht, wie im Frühjahr geschehen, die planbaren Operationen ausgesetzt würden. Es ginge in den Krankenhäusern immer noch um Wirtschaftlichkeit, in anderen Sektoren aber spiele Geld scheinbar keine Rolle, aber um den Schutz des Gesundheitssystems ginge es doch. Das sei doch der ganze Sinn der Maßnahmen, oder?
Ein Thema, das Sören Benn als Mitglied der LINKEN natürlich freute – seine Partei hätte immer wieder darauf hingewiesen, dass Rentabilität und Privatisierung im Gesundheitswesen die falschen Instrumente seien. So weit, so gut.

Jes Möller, Präsident des Verwaltungsgerichtes des Landes Brandenburg, ordnete das neue Infektionsgesetz ein. Klar musste dieses erneuert werden. Verordnungen ohne Gesetzesgrundlagen, das ginge einfach nicht. Das alte Gesetz kam aus den 50er Jahren und der beschlossene Gesetzesvorschlag wäre nach diversen Nachbesserungen jetzt ganz brauchbar – jedenfalls beteuerte er, eine erneute Schließung der Kirchen und Verbot von Versammlungen seien nicht mehr so ohne weiteres möglich.

Demokratie und Pandemie, Rückschau und Zukunft. Ein Thema für einen extra Themenabend.

Besonders bewegend sprach Andrej Hermlin, leidenschaftlicher Pankower, Leiter des Swing Dance Orchestras, Musiker aus Passion. Eine Welt ohne Kunst, Theater, Musik sei für ihn nicht denkbar, auch nicht in Krisenzeiten. Und das hätte es auch noch nie gegeben. Eine solche Gesellschaft falle zwangsläufig zurück in die Barbarei, da könnten ihn keinerlei Zahlenspielereien überzeugen. Politische Maßnahmen müssten immer vom Ende her gedacht werden, so schloss er mahnend.
Zum Nachhören:


Sören Benn war gekommen, um sich vor allem den Pankower Bürgern zu stellen. Dafür sei ihm gedankt. Er hatte trotz des Infektionsgeschehens Wort gehalten und war gekommen, und wir hatten Wort gehalten – die Hygieneauflagen konnten eingehalten, die Teilnehmerzahl auf 40 Personen begrenzt werden. Sören Benn schien den direkten Kontakt mit den Pankowern zu genießen.

Herr Backhaus von der Suppenküche schilderte eindrucksvoll die Situation im Franziskanerkloster. 150 – 200 obdachlose Gäste kämen täglich, eigentlich, um sich nicht nur eine Mahlzeit abzuholen, sondern auch um die Gemeinschaft in den Aufenthaltsräumen zu genießen, die Kleiderkammer und die Duschen zu besuchen. Letzeres könnten sie den Gästen nicht mehr bieten, was ihn persönlich sehr schmerze. Benn hielt dagegen, dass der Bezirk sich bemühe in den leer stehenden Hostels Unterkunft und Aufenthalt 24/7 bereitzustellen. Unklar blieb, warum aber bestehende Strukturen nicht einfach wieder ermöglicht werden können.

Ein Fußballtrainer berichtete eindrucksvoll von der Situation mit den Kindern. Die Kinder seien nicht ausgelastet, besonders die Jungen bräuchten den Sport, den Wettkampf, die soziale Nähe. Aber die Corona-Regeln erlaubten nur 10er Gruppen und auch nur bis zum 12. Lebensjahr. Wie soll er das den 13 jährigen vermitteln? Warum nicht bis zum 18. Lebensjahr, wie beispielsweise in Mecklenburg und ohne Begrenzung der Trainingsgruppen? Unverständnis. Ja, Bewegung sei wichtig – ein Thema, das nach der Pandemie unbedingt weiter verfolgt werden müsse, so Benn.

Aus den Schulen wurde berichtet, wie die Schüler in Decken gehüllt lernen würden. Warum dürfen die einzelnen Schulen ihre Konzepte nicht individuell anpassen, Hybrid-Modelle realisieren, Klassen aufteilen und im Schichtsystem unterrichten? Verwirrung in den Quarantäne-Regeln. Bei Schülern, Eltern, Lehrern. Wie läuft das mit der Lohnfortzahlung im Quarantänefall bei den betreuenden Eltern?

Klar, viele Fragen. Sören Benn zeigte viel Verständnis für die Einzelfälle, bat aber um Nachsicht, man müsse die Kontakte beschränken und zwar konkret um 75%, das hätten wir immer noch nicht erreicht. Es könne nicht jedem recht gemacht werden. Die allgemeine Linie sei richtig. Der Großteil der Bevölkerung teile die Meinung der Regierung und 30% würden noch strengere Maßnahmen einfordern. Dieses Gefühl konnten die Teilnehmer des Bürgerdialogs nicht teilen. Umfrageergebnisse sind das eine. Lebenswirklichkeiten und direktes Gespräch, wie mir scheint, das andere.

Viele Fragen konnten gar nicht gestellt werden. 90 Minuten vergingen wie im Fluge. Das Wichtigste war für uns alle das befreiende Gefühl, gemeinsam öffentlich reden zu können und von den anderen Pankowern zu hören, wie es ihnen ergehe.

Pfarrer Michael Hufen zitierte aus dem Blog von Dr. Francesco De Meo, dem Vorstand der Helios Health Kliniken: „Covid-19 ist eine Krankheit bei Menschen, die durch Viren verursacht wird. Covid-20 nenne ich eine Krankheit der Gesellschaft, die durch den Umgang mit Covid-19 verursacht wird. Covid-20 ist allgegenwärtig. Die Menschen achten auf Infektionszahlen wie früher auf das Wetter. Und sie haben Angst.“ Zum Abschluss las er den Psalm 30 und sprach den Segen.

Nach der Veranstaltung standen wir noch lange vor der Tür. Menschen, die sich nicht kannten, kamen aus ihren Corona-Kohorten heraus und sprachen miteinander. Ein Anfang?

Renate Wegener

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