Predigt zu Lätare · 22. März 2020 · Pfarrer Michael Hufen
Prediger 9, 7 – 10
Liebe Gemeinde,
was bleibt uns übrig?
Als ich diese Überschrift über meinem Beitrag zur Predigtreihe zum Thema „Weisheit“ wählte, war von Corona nur als Krankheit in Wuhan/China die Rede.
Und auch an welchen der Passionssonntage ich die Predigt halten würde, war nicht klar.
Nun haben wir die größten Eingriffe ins öffentliche Leben seit dem 2.Weltkrieg, das öffentliche Leben ist fast zum Erliegen gekommen und wir starren gespannt und voller Sorge auf die Kurve, die die Zahl der Neuinfektionen mit Covid 19 beschreibt, welche Veränderungen im sozialen Leben noch kommen, ja, wie viele Menschen diesem Virus noch zum Opfer fallen.
Wir haben den Sonntag Lätare, Freut euch – allem Leiden zum Trotz – Lätare, ein kleines vorweggenommenes Osterfest.
Und wir haben einen Predigttext aus dem Buch Prediger: Kap 9
„Darum iss dein Brot und trink deinen Wein und sei fröhlich dabei!
So hat es Gott für die Menschen vorgesehen und so gefällt es ihm.
Nimm das Leben als ein Fest: Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf dein Haar! … „
Genieße jeden Tag mit der Frau, die du liebst, solange das Leben dauert, das Gott dir unter der Sonne geschenkt hat, dieses vergängliche und vergebliche Leben. Denn das ist der Lohn für die Mühsal und Plage, die du hast unter der Sonne. Wenn sich dir die Gelegenheit bietet, etwas zu tun, dann tu es mit vollem Einsatz. Denn du bist unterwegs zu dem Ort, von dem kein Mensch wiederkehrt. Wenn du tot bist, ist es zu Ende mit allem Tun und Planen, mit aller Einsicht und Weisheit.
Ja – was bleibt uns Menschen übrig In Zeiten von Corona, in der Passionszeit und – so groß macht es der Prediger: im Leben.Was uns immer als frommer Auftrag in der Passionszeit vor Augen stehet und dann doch allzu oft nicht gelingt: sieben Wochen Ohne. So eine vorösterliche Fastenzeit hat wohl niemand erwartet. ohne Kino, ohne Theater, ohne Veranstaltungen, ohne Schule, die meisten Geschäfte geschlossen und auch viele Verwaltungen und Betriebe. Wir können nicht ausweichen, schummeln oder abbrechen. Wir sind seit Tagen und wahrscheinlichnoch für Wochen auf uns, auf den engsten Kreis von Menschen um uns reduziert. Bei allem was fehlt, was abgesagt, unterbrochen ist, haben wir aber auch schon etwas gewonnen: Viel Zeit! Viel Zeit zum Nachdenken, zum Runterkommen, ja auch zum Sorgen.Einen ersten Lichtblick und ich hoffe es gibt noch viele in den kommenden Wochen, bekam ich dann schon am Dienstag von einer Freundin. Sie schickte mir eine kleine Andachtskarte, auf der steht:
Sonne ist nicht abgesagt
Frühling ist nicht abgesagt
Beziehungen sind nicht abgesagt
Liebe ist nicht abgesagt
Lesen ist nicht abgesagt
Zuwendung ist nicht abgesagt
Musik ist nicht abgesagt
Phantasie ist nicht abgesagt
Freundlichkeit ist nicht abgesagt
Gespräche sind nicht abgesagt
Hoffnung ist nicht abgesagt
Beten ist nicht abgesagt
Beim Mittagessen mit den Erzieherinnen im Schülerladen, fragten die mich nach einem Mittagssegen und ich hab diesen kleinen Text vorgelesen. Und erst an ihrer Reaktion merkte ich, welchen Schatz ich da mit ihnen teilen konnte. Sie wurden ganz ruhig und nach einer Weile Stille bedankten sie sich.
Nicht, was nicht mehr geht, funktioniert und nicht mehr möglich ist, ist wichtig, sondern das was bleibt. Alles, von dem wir sagen es wäre das Leben: Arbeiten, Erfolg, Geld, Anerkennung, Karriere, Schönheit, Fitness – ist es sicher nicht. Nicht die unglaubliche Beschleunigung unserer sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Vielmehr das, was wir in unserer so schnellen, hektischen, geschäftigen Welt gerne vergessen, wegschieben, als überflüssig abtun und gering schätzen.
Am Anfang des Buches Prediger fällt sogar ein hartes Urteil über die Weisheit: sie bleibt auch nicht, sie ist nur Windhauch. Alles was wir Menschen wissen können ist Windhauch, vergänglich –wenn wir nicht begreifen, dass dieses Leben das größte ist, das wir haben. Es ist nur dieses eine, kurz, zerbrechlich.Alles ist eitel, alles ist Windhauch.Wenn das alles wäre, müsste eigentlich die Empfehlung des Predigers sein, denn schließlich ist es ja ein Bibeltext, dass wir Menschen uns ganz auf Glaube und Hoffnung verlassen sollen. Es ist aber anders.
Der Prediger empfiehlt Liebe, Freude und Feiern:Um es vorweg zu sagen, der Prediger ist nicht blauäugig oder gar ein wirklichkeitsblinder Phantast, er weiß sehr wohl, was Leben ist. Das Leben macht Mühe, es ist auch Sorge, Arbeit, manchen eine Last. Geprägt von Alltag, Krankheit und Leiden und vom Tod, der uns gerade in so erschreckender Wirklichkeit nahe kommt, wie schon lange nicht mehr. Und gerade deshalb: Gott gefällt es, wenn Menschen Freude am Leben haben.Warum? Martin Luther sagt es mit einem Bild: weil Gott ein glühender Backofen voller Liebe ist. Und der Prediger, Kohelet, hat für Luther dabei einen ganz klaren Auftrag, er soll uns den rechten Gebrauch der Welt lehren. Bei Luther heißt das dann so: wir Christenmenschen sollen keine traurigen und grauen Schlapphüte tragen, sondern erhobenen Hauptes ein rotes Barrett tragen – also ohne falschen Moralismus den Kopf hochhalten und unser Leben leben, es feiern: Gottesglauben – der Glauben an Jesus seinen Sohn, der Glauben an die Auferstehung, macht fröhlich – Lätare.
Iss dein Brot mit Freuden, trinke den Wein mit frohem Herzen, geniesse dein Leben mit einer Frau – mit einem Menschen – den du liebst – alle deine flüchtigen Tage lang. Ob das stimmt? Lasst uns die Gegenprobe machen! Im Mittelalter gab es die Lehre von den 7 Todsünden. Eine davon war die Acedia: eine Gefühlsmischung aus Trauer, Sinnlosigkeit und Langeweile – meist demonstrativ vor sich hergetragen, alles ist mies, alles wird bestimmt noch vielschlimmer – abgestumpft gegenüber dem Leben, gegenüber den Wundern der Natur, der Kultur – ist das nicht langweilig und wahrlich ein Sünde?
Nimm das Leben als ein Fest – feiere deine Feste – nicht die Corona-Party im Schlosspark ist gemeint, sondern die wirklich großen Feste, die die Menschen überall auf der Welt feiern – die religiösen Feste. Wie viel Musik, wie viele schöne Zeremonien, wie viel Glanz ist da zu erleben. Und welche Leere und Tristesse ohne sie!
Nimm das Leben als ein Fest – das ist kein Programm für die Spaßgesellschaft. Es ist eine Ermunterung, das Leben neu wahrzunehmen, als ein Fest, zu dem wir eingeladen sind. Im Leben hat alles seine Zeit – wahrscheinlich haben sie die Verse aus dem 3. Kapitel im Ohr – alles hat seine Zeit und Stunde, Geborenwerden wie das Sterben, das Jubeln wie die Trauer. Der Prediger, Kohelet spricht vom wirklichen Leben und schaut nicht weg, wenn unser Leben seine dunklen und schwierigen Seiten zeigt. Und das macht ihn zum Weisen – es gibt so viel engstirniges Wissen, soviel verbissene Wissenschaft, der die Freude, das Staunen und auch das Lachen fehlt.Aber, wie kann man nur so sprechen angesichts der grossen Probleme, der Not und Gefährdung vieler Menschen auf dieser Erde? Vielleicht gerade darum, gerade darum sich nicht in Weltschmerz zurückziehen auf sich selber – sondern im Alltag die festlichen Momente wahrzunehmen, die Freude suchen und die Freuden pflegen, damit man sein Tagewerk tun kann – und dann auch jene Veränderungen in den Blick nehmen kann, die wirklich anstehen, wo wir dann nicht nur feiern, sondern auch kämpfen können müssen. Nicht nur mit den seichten Worten kirchlicher Verlautbarungen, sondern tatsächlich dafür einstehen, was wir glauben und deshalb für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt fordern müssen.
„Freut euch – allem Leiden zum Trotz!“ Mitten in der Passionszeit erklingt dieser Ruf am Sonntag Lätare. Freuen – warum? Weil Gottes Zusage gilt: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“
Amen