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Predigt · Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres · 17. November 2019 · Pastor Thies Gundlach

Posted on Nov 17, 2019 in Predigten

2. Korinther 5,10

Gnade sei mit uns und Frieden von Gott, unserem Vater und
unserem Herrn Jesus Christus. Amen.


„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel
komm.“


Liebe Gemeinde, wer von Ihnen ist mit diesem Verslein groß
geworden?
Vermutlich doch einige und richtig daran ist, dass unser
Glaube kein endgültiges Ziel in dieser Welt hat, weder den
perfekten Menschen noch die perfekte Gesellschaft. Denn die
Erfahrung lehrt: Wer den Himmel auf Erden bauen will, wird
über kurz oder lang totalitär. Deswegen haben wir als
Christen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht,
den Himmel zu erklären. Es ist ein Dienst am Diesseits, das
Jenseits zu verteidigen. Und die letzten drei Feiertage im
Kirchenjahr sind durchaus geeignet, diese Verteidigung des
Himmlischen gegen jede Gefangenschaft im Diesseits
vorzunehmen.


Nun gestehe ich, dass diese Frage wohl gerade Euch
Konfirmanden nicht die drängendste Frage des Tages ist; für
dieses Thema vorzeitig aus dem Schlaf gerissen zu werden,
das muss man als Eltern auch erstmal begründen können.
Vielleicht so – um mal Hilfestellung zu leisten:
Kennt ihr Konfirmanden denn noch die Filmserie mit dem
Terminator – mit Arnold Schwarzenegger? Gerade geht eine
Wiederholung durch die Kinos? In diesem Filmtyp kommt der
Retter immer aus der Zukunft, er ist unendlich stark und
unzerstörbar und rettet die zukünftige Welt vor den Fehlern,
die wir heute machen. Es ist nicht wirklich schwer, diese
Erzählung sozusagen als säkular gewordene christliche
Variante zu verstehen, nur dass unser Erlöser Jesus Christus
nicht aus der Zukunft, sondern aus dem Himmel kommt. Und
Jesus ist in keiner Weise ein Held, sondern ein mitfühlender,
mitleidender Mensch. Aber hier wie dort kommt Hilfe von
außen und hilft, heilt und befreit unsere Gegenwart. Und
genau dies ist der zentrale Gedanke: Wenn wir nicht hoffen
können auf Hilfe, müssen wir alles alleine machen und
werden autoritär, brutal und vernichten alles, was sich in den
Weg stellt. Es ist ein Dienst am Diesseits, das Jenseits zu
verteidigen.


II.
Nur, liebe Gemeinde, bisher habe ich nur erzählt, wie wichtig
der Himmel für die Welt ist; aber wie sieht es dort aus, was
passiert dort, was kann man sagen über jenen Ort, der im
Englischen eben heaven und nicht sky heißt? Ich versuche
es mal so:


Am 5. Februar diesen Jahres schrieb ein älterer Herr
folgenden Brief an den Vorsitzenden des Rates der EKD

Sehr geehrter Herr Bedford-Strohm!
In der Adventszeit des vergangenen Jahres nahm ich als
Gast an einem Gottesdienst in einer Gemeinde teil. Im
Zusammenhang mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest
wies der Prediger auf die Bedeutung Jesu Christi als Erlöser
und Heiland hin. Wer dieses Angebot nicht annehme, komme
nach seinem Tod in die Hölle. Dies sei von Gott
unabä
nderlich so festgelegt. Drei Merkmale nannte der
Prediger in Bezug auf die Hölle:

-In ihr brennen Flammen. Sie peinigen die Verdammten
körperlich.

-In der Hölle werden die Verdammten durch die
Trennung von Gott auch psychisch gequält.

– Die Höllenstrafen werden nie ein Ende haben. Sie
dauern ewig.
Im Katechismus der katholischen Kirche (R. Oldenbourg
Verlag, München 2005) gibt es auf Seite 295 unter der
Nummer 1035 eine kurze Textpassage, die inhaltlich dem
entspricht, was der Prediger … zu diesem Thema gesagt hat.
…. Meine Frage an Sie: Was für eine Lehre bzw. Wahrheit in
Bezug auf die Hölle vertritt die Evangelische Kirche in
Deutschland heute?“


Liebe Gemeinde,
nach evangelischem Verständnis sind wir alle evangelische
Kirche, sind wir alle Volk Gottes. Und insofern trifft auch uns
alle diese sorgenvolle Frage: Und wie würden Sie antworten?
Es ist ja nicht üblich, während der Predigt eine
Diskussionsphase einzulegen, aber die Frage ist dennoch
gut, sehr gut sogar. Drohen auch wir mit so einem
Höllenspektakel? Droht Ihnen jemand mit dem ewigen
Höllenfeuer? Glauben wir wirklich an einen Gott, der die
Toten quält, peinigt und auf ewig verdammt?


Ich lüfte nun ein Geheimnis, das Sie vielleicht schon erahnen;
nicht alle Briefe, die der Ratsvorsitzende bekommt, werden
auch von ihm persönlich beantwortet, genau genommen
kaum einer. Das kann er gar nicht schaffen. Deswegen kam
der Brief zu mir mit der Bitte um Beantwortung im Namen der
evangelische Kirche. Und diesen Brief möchte ich auch gerne
zitieren, wobei vorab um Verständnis für den etwas amtlichen
Ton. Aber es ist keineswegs so, dass in der evangelischen
Kirche alles Denkbare gelehrt und gesagt und behauptet
werden kann. Kriegen Sie keinen Schreck, aber auch wir
haben ein Lehramt, das willkürliche Behauptungen korrigiert,
auch wenn wir keinen Papst in Wittenberg oder gar Hannover
haben.


III.
Sehr geehrter Herr
Ihre Anfragen hinsichtlich eines evangelischen
Verständnisses von Hölle im Verhältnis zu dem, was Sie
sowohl in einem baptistischen Gottesdienst erlebten als auch
im katholischen Katechismus lesen mussten, führen in
gewichtige theologische Fragestellungen. Im Kern geht es
um die Frage nach einem Jenseits des Lebens nach dem Tod, von dem wir als evangelische Kirche auch nicht anders
glauben, reden und sprechen können als es sich durch
unseren Rechtfertigungsglauben erschließt. D.h. so wie wir
glauben, dass Gott schon in diesem Leben allein aus Gnade
allein um Christi willen allein um des Glaubens willen die
Sünde vergibt, so wird er – das ist unsere ganze Hoffnung –
die Sünde auch nach dem Tod jedem Menschen vergeben
wollen. Denn warum sollte Gott in dieser Welt anders
handeln als in jener Welt? Nach evangelischem Verständnis
kann daher jeder Mensch darauf hoffen, dass Gott ihm
vergibt, selbst wenn er sehr spät umkehrt und sich erst spät
abwendet von seiner Sünde. Ewige Strafen also gibt es nicht
– weder heiße noch kalte!


Warum glauben wir Evangelischen das?


Weil Sünde zuerst gar nicht irgendwelche schlechte Taten
und moralisches Versagen meint, sondern in der Tiefe die
Abwendung von Gott, das beständige Vergessen Gottes, ein
Gott-links-liegen-lassen und ihn einen guten Mann sein
lassen, die dann entsprechende Taten zur Folge hat. Abkehr
von der Sünde heißt daher umgekehrt: Hinwendung zu Gott,
Hören auf Gottes Wort, Glauben an seine Gegenwart und
Güte.


Hat man sich diesen Gedanken einmal vor Augen geführt,
dann folgt daraus, dass die „Hölle“ verstanden werden muss
als Ort konsequenter Abkehr von Gott. Diese Hölle der
Gottvergessenheit beginnt aber nicht erst nach dem Tode im
Jenseits, sondern immer schon mitten im Leben hier und
heute. Die Hölle ist eine Dimension des Lebens selbst in
unserer Welt, nicht erst ein Ort oder Raum hinter, unter oder
nach dieser Welt. So heißt es im Johannesevangeliums:


„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen
eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht
verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott
hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt
richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer
an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt,
der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen
des eingeborenen Sohnes Gottes.“ (Joh 3, 16 – 18)


Jean Paul Sartre, der französische Existenzialist und
Philosoph hat einmal gesagt: „Die Hölle, das sind die
anderen“. Damit meinte er, dass wir Menschen uns sehr viel
leichter und schneller und gründlicher die `Hölle heiß
machen‘ können als der barmherzige Gott es jemals tun
würde. Und tatsächlich ist es ja nicht schwer, die von
Menschen für Menschen gemachte Hölle auf Erden zu
erkennen, das 20. Jahrhundert war voll von solchen Höllen,
und das 21. Jahrhundert scheint alles versuchen zu wollen,
selbst einen neuen Rekord aufzustellen.


Sehr geehrter Herr …., das ist aber nur die eine Hälfte
evangelischer Lehre:


Denn mit dieser Haltung soll nicht gesagt, dass es eine Hölle
am Ende des Lebens gar nicht geben könne. Wohl bringen
wir Menschen in aller Regel Vorstellungen von der Hölle mit
zu Gott, die zwar unsere Ängste und Schuldgefühle, unsere
Rachephantasien und Strafgelüste spiegeln, nicht aber Gottes Handeln. Doch sollen wir auch nicht zu harmlos von
Gott denken; letztlich steht es uns Menschen nicht zu, Gottes
Tun und Lassen im Jenseits als durchschaut zu behaupten.


Wir sollen zuerst und zuletzt Gott die Ehre geben und ihn
nicht vereinnahmen, auch nicht für eine Vorstellung vom
Jenseits. Der große Theologe Karl Barth hat einmal paradox
formuliert: „Die Allversöhnung lehre ich nicht, aber ich lehre
sie auch nicht nicht!“


Lieber Herr … , auch wenn wir uns nun in den Bereich der
symbolischen Bilderrede begeben: Nach evangelischem
Verständnis ist Gott auch ein Gott der Gerechtigkeit, nicht nur
der Liebe. Wie er aber Liebe und Gerechtigkeit
zusammenbekommt, das verstehen auch wir Prediger und
Theologen vermutlich wirklich erst am Ende aller Tage. Aber
jeder Mensch, der Gott vergessen und missachtet hat und
entsprechend nachlässig mit seinen Mitmenschen und seiner
Umwelt umgegangen ist – und das tut jeder Mensch immer
und zu allen Zeiten -, der wird sich vielleicht schämen
müssen am Ende aller Tage, weil er selbst im Jenseits noch
dem Gott der Güte, der Vergebung, der Barmherzigkeit
begegnet, der weder Strafen verhängt noch alte Rechnungen
begleichen noch Rache üben will. Aber Güte kann mehr
beschämen als jede noch so gerechte Strafe!


Man sollte sich daher dieses `Sich-Schämen´ nicht zu
harmlos vorstellen, es kann einem schon sehr heiß werden,
wenn man am Ende all die Tage und Taten erinnern muss,
bei denen man offensichtlich Gott und seine Güte missachtet
hatte und darum entsprechend Böses getan hat. Aber unsere
Kirche ist überzeugt davon, dass eine wie auch immer
vorzustellende jenseitige Hölle niemals gänzlich ohne das
Licht Christi bleibt, niemals ohne seine Güte und seinen
Trost, niemals ganz ohne das Angebot zur Umkehr.


IV.
Liebe Gemeinde, der Antwortbrief endete natürlich noch mit
einem freundlichen Gruß und der Aufforderung, weitere
Fragen gerne zu stellen. Der ältere Herr aber rief alsbald
zurück und bedankte sich ausführlichst für die Antwort. Er sei
froh, evangelisch zu sein. Das hört man auch nicht alle Tage!


„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel
komm“, dieser Kindersatz ist klüger und tiefer als man auf
Anhieb denkt. Denn um Furcht und Zittern vor einem Gott der
Höllenqualen geht es beim Himmel nicht; sondern dort
werden Feste der Befreiung gefeiert, Befreiung von falschen
Ängsten und Befreiung zur Wahrheit über mich selbst. Und
deswegen können wir in tiefer Gelassenheit und großer
Zuversicht den Wochenspruch hören – womit ich den
Zielpunkt meiner Predigt heute erreiche: „Wir müssen alle
offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.“ (2. Kor. 5. 10a).


Gott sei Dank und Amen