Predigt · 2. Advent · 10. Dezember 2017 · Pfarrer Michael Hufen
Jesaja 63, 15 – 19; 64, 1 – 3
Mit – Leiden
Liebe Gemeinde
Am Freitag habe ich mit meinen Schülern am Gymnasium die
Weihnachtsgeschichten nach Lukas und nach Matthäus
besprochen. Sie sollten die Texte vergleichen und
herausarbeiten, warum bei Lukas die Hirten und bei Matthäus
die Weisen aus dem Morgenland so wichtig sind. Die Hirten
als erste Hörer der frohen Botschaft von der Geburt des
Herrn, als erste Besucher an der Krippe. Die Hirten, arme,
überriechende Knechte, mit denen man eigentlich nichts zu
tun haben wollte, als Empfänger und Verbreiter der Botschaft
vom in Menschengestalt geborenen Gottessohn. Gott kommt
zu denen, die am Boden sind, am Rand, zu denen die seine
Hilfe brauchen.
„Ist das nicht ungerecht gegenüber den Reichen?“ fragte
dann ein Schüler mit ernsthafter Entrüstung – seinem Vater
gehört eine große Firma.
Erreichen uns die biblischen Texte zum Advent und zu
Weihnachten eigentlich noch?
Oder ist es so, dass wir nach dem ganzen Jahresendtrubel,
nach Weihnachtsfeiern und Festvorbereitungen nur noch mit
einem Gläschen Rotwein unterm Weihnachtsbaum sitzen
wollen?
Vorbereitungszeit auf Weihnachten – das soll Advent sein.
Zur Ruhe kommen. Zu sich kommen. Darauf einstellen, dass
Gott in Jesus zu uns kommt.
In diese Stimmung poltert der Prophet Jesaja mit seinem
Klagepsalm, der unser heutiger Predigtext ist.
Jes 63,15-19; 64,1-3:
So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner
heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und
deine Macht?
Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.
Bist du doch unser Vater;
denn Abraham weiß von uns nichts,
und Israel kennt uns nicht.
Du Herr, bist unser Vater;
»unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name.
Warum läßt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen
und unser Herz verstocken, daß wir dich nicht fürchten?
Kehr zurück um deiner Knechte willen,
um der Stämme willen, die dein Erbe sind!
Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben,
unsere Wiedersacher haben dein Heiligtum zertreten.
Wir sind geworden wie solche, über die du niemals
herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt
wurde.
Ach daß du den Himmel zerrißest und führest herab,
daß die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet
und wie Feuer Wasser sieden macht,
daß dein Name kund würde unter deinen Feinden
und die Völker vor dir zittern müßten,
wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten –
und führest herab daß die Berge vor dir zerflössen! –
und das man von alters her nicht vernommen hat.
Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen
einen Gott außer dir,
der so wohl tut denen, die auf ihn harren.
Liebe Gemeinde!
So ging Vorbereitung und Sehnsucht auf das Kommen des
Herrn vor 2500 Jahren.
Der Tempel in Jerusalem entweiht, zerstört und dem
Erdboden gleichgemacht, das Volk weggeführt oder
unterdrückt. Nun das Exil überstanden, zurück in Israel, stellt
Jesaja fest, dass das Volk alles vergessen hat, was es
geglaubt und gehofft hat.
Die Welt ist nicht mehr so wie sie war, in der Welt wie sie
jetzt ist, müssen die Rückkehrer erst wieder leben lernen.
In dieser Welt, die sie fassungslos ansehen und darüber zu
Gott schreien.
Es ist so schlimm, dass selbst der durch Gottes Kommen
herbeigeführte Weltuntergang wünschenswert ist und von
Gott erbeten wird.
Gott möge den Herren dieser Welt das Fürchten lehren.
Wann haben wir zuletzt so gebetet, wie Jesaja?
Heute – unter uns – ist solche Sehnsucht, solche Leidenschaft
selten.
Dabei: an Gründen zur Klage mangelt es nicht – haben wir
uns wirklich schon an alles gewöhnt?
Oder trauen wir unseren eigenen Worten nicht mehr?
Früher jaa, da waren wir mutig. Gegen Aufrüstung in Ost und
West. Für eine ökologische Wende, für Gerechtigkeit
zwischen den Völkern. Für Frieden, Gerechtigkeit und
Bewahrung der Schöpfung.
Gegen die Gängelung durch die Medien und das
ideologischen Verbiegen der Kinder in den Schulen.
Früher jaa, da waren wir mutig – zumindest einige von uns.
Jetzt scheint es mir so, dass wir alle nur noch mit den
Achseln zucken, wir haben uns an zu viel gewöhnt, nehmen
es hin, wo wir eigentlich laut schreien müssten.
Wir drehen uns weg, wenn wir das Elend nicht mehr sehen
können. Nehmen zur Kenntnis und machen weiter wie
bisher.
Sind wir heute aus so anderem Holz als damals Jesaja?
Nein! – Ja! – Jain!
Ach daß du den Himmel zerrißest und führest herab,
daß die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet
und wie Feuer Wasser sieden macht,
Wer so betet, will das es endlich aufhört.
Dass die Ungerechtigkeit aufhört. Das der Krieg aufhört. Die
Zerstörung dieser Welt aufhört.
Dass das Reden über Bildung aufhört und endlich Schulen
gebaut, Lehrer ausgebildet werden und Kinder fröhliche
Schüler ohne Zukunftsangst sein können.
Dass das Reden über Mietsteigerungen endlich aufhören
kann, weil es für alle Gruppen unserer Gesellschaft
bezahlbaren Wohnraum gibt.
Dass nicht nur der Krieg im Jemen, in Syrien, Afghanistan
aufhört, sondern das Deutschland endlich aufhört an die
Kriegsparteien Waffen zu liefern.
Dass wir nicht mehr achselzuckend zusehen, wie ganze
Regionen plattgemacht werden, weil Weltkonzerne ihre
Profite sichern wollen.
Dass wir …, ja was eigentlich alles, sie wissen es doch
genausogut wie ich.
daß doch die Berge zerflössen und Gott mit donnernder
Stimme auf all die Leiden hinweise, damit es die Menschen
begreifen, damit es ein Ende nimmt.
Unsere Art zu leben zerstört nicht nur diesen Planeten.
Immer mehr Menschen nehmen ernsthaften Schaden an ihrer
Seele. Sie halten den dauerhaften Druck der Veränderungen
nicht mehr stand. Sie verlieren die Orientierung für ihr Leben, weil auch wir als Kirche nur noch Leuchtturm sein wollen.
Nicht mehr schreien für sie, weil wir es uns in unserer
gutbürgerlichen Wohlanständigkeit schön gemütlich gemacht
haben.
Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts,
und Israel kennt uns nicht. Du Herr, bist unser Vater; »unser
Erlöser«, das ist von alters her dein Name.
Von alters her – offensichtlich ist die Verbindung mit den
eigenen Traditionen, die Bindung an Bräuche und die
Orientierung an stabilen Systemen schon bei Jesaja wichtiger
als die Fähigkeit in einer internationaler werdenden Welt
überall anschlussfähig zu sein..
Unser Vater, unser Erlöser
Die Verheißungen Gottes gelten allen Lebenden. Allen, die
ihn zum Vater haben, Ihnen, und mir genauso wie dem Syrer
im zerstörten Haus und der Familie im Jemen, die an Cholera
erkrankt ist.
„Unser Erlöser“ ist Gottes Name. Gott schreitet ein in dieser
Welt. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott
außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.
Gott tut wohl, Gott schreitet ein, doch so wie es kein Ohr
vorher gehört hat, so wie es niemand im Leid oder in der
Gewohnheit vermutet:
Er kommt als Leidender. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes
Mit-Leid.
Das ist Frohe Botschaft, für alle die in Not sind. Das ist frohe
Botschaft, für alle, denen Menschen in Not nicht gleichgültig
sind, das ist frohe Botschaft für alle die sich einsetzen gegen
die Not und gegen Gewalt. Das ist frohe Botschaft für alle,
die Ungerechtigkeit erleiden oder empfinden. Das ist frohe
Botschaft für alle die sich so sehr an das Leid der Welt
gewöhnt und ihre Sehnsucht verloren haben.
Gott kommt. Er leidet mit, mit denen die schreien vor Not. Er
ist bei denen, die voller Leidenschaft sind.
Und er kommt zu uns anderen und weckt wieder den
Schmerz an dieser und damit die Sehnsucht nach einer neue
Welt, in der wir keine verstockten Herzen mehr haben.
Gott kommt, der Heiland reißt die Himmel auf. Das ist die
Adventsbotschaft. Wohl denen die auf ihn harren.
Amen