Predigt · Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres · 19. November 2017 · Pfarrer Michael Hufen
Lukas 16, 1-9
Liebe Gemeinde,
Ende des Kirchenjahres
Volkstrauertag
Buß und Bettag
Totensonntag oder doch Ewigkeitssonntag?
Saure Gurken Zeit ohne Feste?
Und das geht jetzt strenggenommen bis Weihnachten so weiter.
Denn – auch wenn wir es gerne anders hätten und es auch anders
leben – ab dem Kirchenjahresanfang am 1. Advent hängt hier
vorne das lila Parament für die Buss- und Fastenzeit – bis
Weihnachten.
Wie bei den meisten Dingen, die wir tun, hängt das eigene
Erleben, der Zugang, ja vielleicht sogar der Gewinn, den wir
daraus ziehen, von unserer eigenen Haltung ab.
„Erinnern“ und „Vorbereiten“ – diese beiden Worte beschreiben
für mich die Haltung am Ende und am Anfang des Kirchenjahres.
Wirklich trennen, können wir aber die Begriffe gar nicht.
Zum Erinnern gehört Vorbereiten.
Warum sollte ich mich denn Erinnern an längst vergangenen
Ereignisse, wenn es nicht auch um die Zukunft, das Kommende
geht.
Und wenn ich mich auf etwas Vorbereite, spielt die Erinnerung
daran wie es war, warum es ist und was das für mich bedeutet
eine kaum zu überschätzende Rollen.
„Erinnerung“: ein Wort aus dem Althochdeutschen „Giinnaren“
was soviel bedeutet wie: sich öffnen, inne werden lassen.
Erinnerung. Viele von uns erleben Erinnerung als Ausgeliefertsein
an zurückliegende Ereignisse.
Die Bilder, Erinnerungsfetzen, Gerüche und Geräusche, die wir mit
Erlebtem verbinden, kommen plötzlich, überfallen uns und lassen
uns nicht los.
Krieg und Vertreibung sind 72 Jahre nach Kriegsende nur noch für
wenige Menschen ein wesentlicher Teil ihrer Erinnerung und
ihres Lebens. Immer weniger Menschen können uns Jüngeren von
ihren Erlebnissen erzählen. Und trotzdem wissen wir, dass diese
Erinnerungen und die mit ihnen verbundenen persönlichen und
historischen Ereignisse ein ganz wesentlicher Teil unseres
eigenen Lebens sind.
Meine Großeltern wären im Umgang mit mir andere Menschen
gewesen, wenn sie genau wie ich nur Friedenszeiten erlebt hätten.
Meine Mutter und mein Vater hätten sich anders entwickelt, wenn
die Lebensumstände ihre Kinderzeit nicht von den
Kriegserinnerungen der Eltern und den Sorgen des
Wiederaufbaus geprägt gewesen wären.
Es ist zeitlich schon lange her, aber doch so nah, ein Teil von uns.
Umso wichtiger ist es also inzwischen, dass wir uns tatsächlich
öffnen für das, was zu dieser Erinnerung gehört. Das wir es uns
inne werden lassen – neudeutsch heißt das dann „Verinnerlichen“.
Dass es zu einem festen Teil unseres Denkens und vor allem auch
Handelns wird, so wie es ja sowieso schon immer ist – dass wir es
wirklich in uns aufnehmen und es nicht nur mit unserm Mund
bekennen – auch wenn das heute schon schwer genug ist.
Wofür sollen wir uns denn nun öffnen und ins Innere aufnehmen?
Ich sage es mal so:
Die Kriege in Europa der letzten 100 Jahre waren Verbrechen.
Angriffskriege, Völkermord. Unendliches Leid vor allem für die Völker Osteuropas; Polen,
Russen; für Juden und auch für uns Deutsche; …. Millionen
Vertriebene, Ausgebombte, Heimatlose.
Wie können wir diese Erinnerungen in unser Inneres
hineinlassen?
Was richten sie in uns an?
Hilft uns die Vorstellungen des Gerichts über die Täter? All die
Politiker und Mächtigen, die ihre Völker gegeneinander hetzen
und Unschuldige in Kriegen, die nur den Interessen einer kleinen
Gruppe dienen, umkommen lassen.
Ich glaube daran, dass es ein Gericht am Ende der Zeit gibt.
Wie das ist, wenn wir alle vor den Richterstuhl Gottes stehen,
kann ich mir aber nicht vorstellen.
Das gehört zu den letzten Dingen.
Zu den vorletzten Dingen gehört aber, wie wir mit unseren
Erinnerungen und unseren Erwartungen umgehen.
Und dabei eröffnet uns Jesus mit einem Gleichnis im Lukas
Evangelium (16,1-9) eine neue Perspektive:
1 Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann,
der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er
verschleudere ihm seinen Besitz.
2 Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von
dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst
hinfort nicht Verwalter sein.
3 Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein
Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich
mich zu betteln.
4 Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser
aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.
5 Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für
sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn
schuldig?
6 Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm
deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.
7 Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du
schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm:
Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
8 Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug
gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter
ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
9 Und ich sage euch Macht euch Freunde mit dem: ungerechten
Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die
ewigen Hütten.
Liebe Gemeinde!
In manchen Bibeln steht über diesem Text: Vom ungerechten
Verwalter
Der ungerechte Verwalter – es scheint so, als ob er gelobt wird.
Mir sind ein paar Gedanken zu diesem Text gekommen – vielleicht
helfen sie, den Text zu entschlüsseln und vielleicht auch noch
herauszufinden, warum gerade dieser Text für den heutigen
Sonntag ausgesucht wurde.
Wir haben da einen reichen Mann.
Wenn man von den Summen auf den Schuldscheinen ausgeht, war
er wohl nicht nur ein bisschen sondern richtig reich. Sein
Verwalter verschleudert nun seinen Besitz. Verschleudern: das
heißt soviel wie: nicht sorgfältig damit umgehen, falsch
investieren, unverantwortlich handeln. Der wird nun –
wahrscheinlich von Kollegen – angeschwärzt, zum Chef gerufen
und bekommt eine Gnadenfrist. Entweder kann er erklären, was er mit dem anvertrauten Besitz gemacht hat oder er wird
rausgeworfen.
Da denkte er sich: hart mit meinen eigenen Händen arbeiten kann
ich nicht, wenn ich meine Arbeit verliere, müsste ich wohl Betteln
gehen. Um das zu verhindern, kommt er auf einen genialen, wenn
auch hochkriminellen Gedanken: Ich nutze meine letzten
Arbeitstage dazu, mir für die Zukunft wohlgesonnene Menschen
zu schaffen. Ich werde die Schulden der Menschen beim großen
Chef einfach verringen. Dann haben sie mich gern und helfen mir
in Zukunft. Eine Hand wäscht die andere.
Dabei muss alles ganz schnell gehen. Der große Betrug, die
Fälschung von Schuldscheinen duldet keinen Aufschub. Denn bald
kommt der Chef zur Endabrechnung mit dem Verwalter.
Soweit eine Geschichte über menschliches Geschäftsgebaren und
die Untiefen des menschlichen Wesens.
Hier überrascht uns Jesus nun mit seiner Wertung des
Geschehens.
Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug
gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter
ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten
Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die
ewigen Hütten
Jesus lobt den Betrüger und Urkundenfälscher. Ja er stellt ihn für
die Kinder des Lichts als Beispiel hin.
Die Kinder des Lichts: Juden und Christen halten sich an die
Gebote Gottes. „Du sollst nicht lügen“ heißt es da. Das heißt
natürlich auch, Du sollst nicht fälschen. „Du sollst nicht begehren,
was deines Nächsten ist“, dass heißt doch aber auch, dass man das
Geld seines Chefs nicht einfach wegschenkt.
Will Jesus nun die Gesetze außer Kraft setzen?
Ich denke nicht! Er will uns aber sagen, dass es Situationen gibt, in
denen es geboten ist, nach den Regeln der Welt zu handeln. Wenn
alles auf dem Spiel steht, geht es manchmal nicht anders.
Der für meine Sicht auf das Gleichnis entscheidende Satz, ist aber
der Schlusssatz: Macht euch Freunde mit dem ungerechten
Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die
ewigen Hütten.
Großer Besitz verdankt sich meist nicht der harten Arbeit des
Besitzenden, sondern ist das Ergebnis der harten Arbeit von
vielen Menschen, die am Gewinn ihrer Arbeit nicht angemessen
beteiligt wurden. Aus dieser ungerechten Verteilung von Gewinn
und Besitz folgt dann das, was wir Schulden nennen. Aus dem
Mangel an eigenen Besitz sind Menschen gezwungen, bei denen,
die haben, Schulden zu machen, bei deren Rückzahlung sie den
Besitz der Gläubiger weiter vergrößern.
Wie wäre es, wenn die Schulden dieser Welt, die den Schuldnern
die Luft abdrücken, die allzuoft zu Elend, Tod und letztendlich
immer auch zu Krieg führen, wenn diese Schulden mit einem
Federstrich wegzustreichen wären?
Wir sollen von den Kindern dieser Welt lernen. Wir sollen lernen,
wie mit Geld und damit auch mit Macht umgegangen wird. Dieses
Wissen sollen wir nutzen, um für uns alle den Zugang zu den
ewigen Hütten zu ermöglichen.
Nicht nur die vermeintlichen Täter der Geschichte müssen
offenbar werden vor dem Richterstuhl Gottes. Wir alle werden
uns wohl fragen lassen müssen. Nicht nur, was wir getan haben,
sondern auch, was wir unterlassen haben.
Im Vertrauen auf die gnädige Annahme Gottes sollten wir es
wagen, nicht nur zu Erinnern, sondern tatsächlich das Kommen
des Friedensreiches Gottes mitzugestalten.
Was das am Volkstrauertag mit diesem Predigttext bedeuten
kann?
Mit den Mitteln dieser Welt ein überzeugendes Zeugnis für den
Frieden, durch die Nichtanrechnung von Schuld, durch wirkliche
Versöhnung abzugeben.
Das ist der einzige Weg, den bestehendn Frieden hier in Europa zu
bewahren und überall auf der Welt, wo noch Krieg herrscht,
Frieden zu ermöglichen.
Wir können uns dabei sicher sein, dass wir Gott auf unserer Seite
haben.
Amen.