Predigt · 5. Sonntag nach Trinitatis · 16. Juli 2017 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
Matthäus. 6 ,25 – 34
Ihr Lieben,
sorget nicht –
sorget nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet,
noch um euren Leib, was ihr anziehen werdet.
Sorget nicht.
Diesen Text aus der Bergpredigt Jesu, den wir soeben hörten,
hat eine kleine Gruppe aus dem GKR ausgesucht in Vorbereitung auf
meinen letzten Gottesdienst im Amte.
Die Ermutigung, sich doch nicht zu sorgen,
haben wir – so nehme ich an – alle bitter nötig.
Wir kennen die Sorgen um unsere Gesundheit, unsere Kinder,
unseren Arbeitsplatz, unsere Umwelt –
um den heillosen Zustand dieser Erde.
Und bei solch einem Ereignis wie heute, habe ich natürlich auch
meine ganz speziellen Sorgen: –
wie wird das werden mit der neuen Pfarrerin,
werden die Finanzen in Zukunft ausreichen,
wie kommt die Gemeinde ohne mich zurecht,
aber schlimmer noch: wie komme ich ohne euch – ohne die
Gemeinde zurecht?
Liebe Schwestern und Brüder, als ich vor 36 Jahren hier anfing zu
arbeiten, war ich blutjung.
Mit 29 Jahren, zwei Töchtern, im Alter von 4 und 6 Jahren und einem
Mann, der gerade mit dem Theologiestudium begann,
trat ich hier meinen Dienst als Pfarrerin an.
Mich drückten damals auch sehr viele Sorgen:
Kann ich den Anforderungen als Frau genügen in einem überwiegend
von Männern dominierten Bereich?
Wie wird diese Kirche in einem atheistisch geprägtem Umfeld
überleben können?
Wird das schmale Gehalt bis zum Monatsende reichen?
Werden unsere Töchter studieren dürfen?
Und von allen Sorgen war die größte die Sorge um den Frieden in
diesem Land und in Europa.
Die Angst vor einem Atomkrieg, die Sorge um die Zukunft unserer
Kinder und die Empörung über die verordnete Dummheit
angebotener Lösungen mobilisierte viele Menschen.
Die evangelische Kirche öffnete ihre Türen für sie –
so auch die Pankower Gemeinde.
In den stürmischen 1980ziger Jahren haben wir in dieser Kirche und
im Gemeindehaus das freie Denken gelernt und demokratische
Strukturen eingeübt.
Als dann die Mauer fiel, keine Gewalt ausbrach, kein Blut vergossen
wurde und die Welt uns allen offen stand,
glaubten wir dem Frieden in Europa und in der Welt ganz nahe zu
sein.
Es war nur ein kurzes Aufatmen.
Kriege, Wirtschaftskrisen und Flüchtlingsströme bestimmen nach und
nach wieder die Tagesordnung.
Die Sorgen haben uns wieder fest im Griff.
„Sorget nicht um euer Leben“,
liebe Schwestern und Brüder, dieser Zuspruch Jesu begleitet mich
nun schon mehr als 40 Jahre.
Es ist auch der Spruch, den mein Mann und ich uns zu unserer
Hochzeit ausgesucht haben.
Ist er nach all den durchlebten Ängsten, Sorgen und Schmerzen denn
immer noch wahr?
Ich weiß nicht, ob er wahr ist – ich weiß aber, dass er trägt.
Ja, er trägt – er erhellt das Herz in Zeiten der Dunkelheit
und wird zum Jubelspruch in Zeiten der Gnade und der Freude.
„Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft“ –
Ja, jeder einzelne von uns wird von Gott gesehen,
niemand wird vergessen, niemand geht verloren.
Liebe Schwestern und Brüder,
wie oft wurde dieser Text kritisiert und geschmäht:
Das wäre die Anleitung zum sozialen Schmarotzertum
und die Idealisierung des Müßiggangs,
Das können aber nur die sagen, die den letzten Satz des Textes
übersehen, der da heißt:
„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner
Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen“
Liebe Schwestern und Brüder,
hier wird nicht die Passivität und der Müßiggang verherrlicht,
nein hier gibt es eine klare Anweisung:
Wartet nicht auf das Reich Gottes,
sondern arbeitet jetzt und hier für das Reich Gottes
und für die Gerechtigkeit, die Gott darin vorgesehen hat.
Denn diese Gerechtigkeit sieht Nahrung, Kleidung und Auskommen
in ausreichender Menge für jeden vor.
Diese Gerechtigkeit gilt nicht nur einer kleinen auserwählten Gruppe,
sondern sie gilt allen Menschen gleichermaßen und ohne Ausnahme.
In diesem Reich wird es keine Kriege, keine Hungernden,
keine Ausgebeuteten und keine von ihrem Land Vertriebenen mehr
geben,
denn die Gerechtigkeit Gottes gilt allen Menschen gleichermaßen.
Das wissen wir aus den wunderbaren prophetischen Visionen des 1.
Testamentes,
das hörten wir vorhin aus dem Bund, den Gott mit Noah geschlossen
hat, in dem er verspricht, dass er nie wieder die Erde in den Fluten
ertränken wird.
Zum Zeichen seines Bundes hat er den Regenbogen an den Himmel
gestellt, damit wir uns immer wieder an dieses Versprechen erinnern.
Spätestens seitdem wissen wir, dass Naturkatastrophen, Kriege,
Krisen oder andere Schrecknisse nicht aus dem Willen Gottes als
Strafe geschehen.
Nein – der Plan Gottes sieht etwas anderes vor –
es ist die Bewahrung seiner Schöpfung
und die Errichtung seiner Gerechtigkeit, in dem jeder und jede ihren
Platz hat.
Uns hat er als Arbeiterinnen und Arbeiter in seinen Weinberg gestellt.
Und wir haben dafür zu sorgen, dass dieser Weinberg gute Früchte
bringt und alle ernähren kann, die sich daran beteiligen.
Bei aller Verantwortung, die wir tragen und allem Fleiß, der uns
abverlangt wird,
dürfen wir aber auch die letzte Verantwortung für uns und für diese
Welt aus unserer Hand in die Hände Gottes geben.
Aus seinem Willen ist diese Erde mit all seinen Geschöpfen
entsprungen,
aus ihm kommt Anfang und Ende, Tod und Leben,
von ihm kommen wir – zu ihm gehen wir wieder zurück.
Am Ende meines Dienstes in dieser Gemeinde und in dieser Kirche
darf ich voller Dankbarkeit sagen, dass ich mich in all den Jahren
umsorgt und getragen fühlte.
Hin und wieder war ich meiner Kirche eine recht unbequeme
Arbeiterin im Weinberg. Da gab es heftige Kontroversen wie z.B. die
jüngste Debatte um den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche.
Dankbar bin ich dieser Gemeinde für die vielen Möglichkeiten
meiner ehrenamtlichen Tätigkeiten insbesondere die 10 Jahre im
Vorstand von ASF. Hier habe ich erfahren, welch schwere Schuld wir
Christen gegenüber den Juden seit 2000 Jahren aufgehäuft haben
und wie mühselig es ist, wieder Vertrauen aufzubauen.
In der Gemeinde und darüber hinaus gab es immer wieder Menschen,
die mir zur Seite standen,
die mich ermutigten oder mir auch meine Grenzen zeigten.
Manch einem konnte auch ich weiter helfen, manch eine habe ich
auch enttäuscht.
Ich lege nun alles in die Hände Gottes im Vertrauen, dass Gott aus
unseren Schwächen wie auch aus unseren vermeintlichen Stärken
Gutes bewirken kann.
Ich überlasse die Führung und die Geschäfte dieser Gemeinde nun
ganz in Frieden meiner Nachfolgerin Stefanie Sippel.
Sie wird sicher einiges anders machen – aber sie wird es gut machen,
davon bin ich überzeugt.
Ich möchte schließen mit einem Bild:
Am Ende des Kirchentages haben wir in unserer Kirche einen
wunderschönen ökumenischen Gottesdienst gefeiert mit grandioser
Musik, Abendmahl und einer großen Beteiligung der Gemeinde.
Danach wurden wir von unseren muslimischen Freunden eingeladen
zum Fastenbrechen zu Beginn des Ramadan in unseren
Gemeindegarten.
Bei köstlichem Essen und warmen Wetter saßen wir zusammen,
haben Koranverse gehört, die mir wie aus unserer Bibel erschienen
und erlebten Gemeinschaft über die Grenzen der Konfessionen und
der Religionen hinweg.
Für einen winzigen Augenblick öffnete sich für mich das himmlische
Jerusalem, in dem alle Menschen in Frieden und Gerechtigkeit
zusammen leben werden.
Der Zuspruch: „Sorget nicht“ – wurde für einen Moment Realität.
Möge Gott diese Gemeinde
und alle, die sich in dieser Kirche versammeln,
behüten und beschützen vor allem Bösen
und stärken und kräftigen zu allem Guten.
Amen.