Predigt · 4. Sonntag nach Trinitatis · 9. Juli 2017 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
1.Mose 50,15-21
Liebe Schwestern und Brüder,
ein letztes mal habe ich im Amte einen Religionskurs durchgeführt,
dessen Abschluss wir heute begehen.
Deshalb begrüße ich auch besonders die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer dieses Kurses, die heute an dem Gottesdienst
teilnehmen..
Insgesamt waren wir 11 Personen, die sich ein mal pro Woche in
meinem Wohnzimmer versammelt haben.
Angefangen haben wir in der dunklen Jahreszeit im Januar,
nun in der hellsten Zeit mit den längsten Tagen und den kürzesten
Nächten beenden wir das Seminar.
Dabei haben wir festgestellt, dass noch längst nicht alle Frage
gestellt, geschweige denn beantwortet wurden.
Ein weiter führender Kurs wurde gewünscht und wir werden sehen,
was sich da machen lässt.
Der heutige Predigttext ist einer Geschichte entnommen, die wir im
Religionskurs intensiv behandelt haben.
Es ist die Geschichte aus dem 1. Buch Mose, die das Leben von Josef
erzählt, dem Sohn des Erzvaters Jakob, später dann Israel genannt,
mit all seinen Höhen und Tiefen.
Die letzten Verse davon werde ich lesen:
Text lesen……..
Den Text, den wir eben aus dem 1. Buch Mose hörten,
schildert das Ende einer langen Geschichte über den Lebensweg des
Lieblingssohnes vom Erzvater Jakob.
Kaum eine Geschichte aus der Bibel ist so ausführlich und
phantasievoll erzählt und so bekannt wie diese.
Thomas Mann konnte sich der Faszination dieser Erzählung auch
nicht entziehen und schuf ein epochales Werk in drei Bänden:
„Josef und seine Brüder“ – eine Urlaubslektüre, die ich wirklich nur
jedem empfehlen kann.
Vom Ende her gesehen hat sie ein happy end –
alles ist wieder gut,
Versöhnung auf allen Seiten
und ein volles und pralles Leben unter dem Segen Gottes ist dem
Josef geschenkt worden.
Bei genauerem Hinsehen aber ist Josefs Lebensweg ein ständiges Auf
und Ab,
vom hohem Thron fällt er immer wieder in die tiefe Grube,
Hochmut, Neid, Gottverlassenheit und tiefste Finsternis
wechseln sich ab mit höchster Gunst, Erfolg, Beliebtheit und
strahlendem Licht.
Alles fängt an mit seiner Geburt als der heiß ersehnte Sohn der
geliebten Frau Rahel –
vom Vater wird er geliebt und den anderen Söhnen vorgezogen,
das macht den kleinen Prinzen hochmütig und unsensibel gegenüber
den Gefühlen seiner Brüder.
Die rächen sich an diesem verzogenen und eingebildeten Jüngling,
verkaufen ihn an einen Sklavenhändler nach Ägypten
und erzählen dem Vater, dass sein Lieblingssohn von einem wilden
Tier gerissen wurde.
Geschlagen von der Wucht dieser Nachricht
und der dunklen Ahnung,
dass seine abgöttische Bewunderung für diesen schönen und klugen
Sohn einen Anteil an diesem schrecklichen Schicksal hat,
fällt Jakob in tiefe Depression und Trauer.
Josefs Schicksal aber nimmt seinen eignen Lauf.
Gott ist mit ihm – so wird immer wieder erzählt –
und der kluge und schöne Jüngling erwirbt die Gunst aller Männer
und Frauen, die ihm begegnen
und er macht eine steile Karriere bei einem Angestellten des Pharao.
Das führt aber keineswegs zum direkten und nachhaltigen Erfolg –
seine Reifeprüfung ist noch längst nicht abgeschlossen.
Gott will ihn schleifen wie einen kostbaren Edelstein,
der nicht nur mit seiner äußerlichen Strahlkraft fasziniert,
sondern aus dem der Glanz ganz von innen,
vom Herzen her kommt.
Und noch einmal wird er in die Grube geworfen –
gerät unter Verbrecher im finstersten Kerker.
Und hat wieder Zeit, über sein Leben und sich und Gott
nachzudenken.
Aber Gott ist mit ihm – auch in der tiefsten Grube.
Wieder beeindruckt er mit seinen Gottesgaben, wie z.B. dem
Traumdeuten.
Wieder wird er aus der Grube geholt,
kommt vor den Pharao
und wird die rechte Hand des mächtigsten Herrschers in Ägypten.
Er führt ein kluges Vorratssystem ein,
das nicht nur die Ägypter vor dem Verhungern rettet,
sondern auch die umliegenden Länder.
So kommen auch die Brüder des Josefs
und erwerben Getreide, ohne dass sie wissen, wer da vor ihnen steht.
Nach zweimaliger harter Prüfung gibt sich Josef zu erkennen,
holt seinen alten aber glückseeligen Vater nach Ägypten
und siedelt auch die Familien seiner Brüder in Ägypten an.
Nach langer und wechselvoller Geschichte,
in denen sein Vertrauen zu Gott eine immer stabilere Grundlage
gewinnt
und sein Hochmut sich in Dankbarkeit und Demut verwandelt,
ist er aufgestiegen in die höchsten Ebenen der Gesellschaft
und genießt Ansehen und Wohlstand.
Nun aber ist der Vater gestorben und die Brüder fürchten seinen
späten Zorn.
„Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt?
Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen,
aber Gott gedachte es gut zu machen.“
Josef ist angekommen, er hat das Ziel erreicht –
aller Zorn ist verraucht,
alle Wunden sind geheilt –
er ist mit sich und der Welt versöhnt –
er hat allen Schmerz, allen Zorn und alle Schuld Gott übergeben,
er kann nun in Frieden leben.
Liebe Schwestern und Brüder,
die Geschichte von Josef ist die Geschichte des Lebens,
wie ein jeder von uns sie durchlebt.
Es ist die Geschichte des Erwachsenwerdens und der Reife.
Es ist die Geschichte einer Gottesbeziehung die sich vom Kopf in das Herz entwickelt
und so zu einer Befreiung wird,
einer Befreiung von Selbstüberschätzung und Kontrollmacht
hin zu Vertrauen und Dankbarkeit.
„Stehe ich denn an Gottes statt?“ fragt Josef
und gibt somit seine vermeintliche Macht ab
und überlässt es Gott, zu handeln.
Liebe Schwestern und Brüder,
jeder und jede von uns ist vom Leben und vom Schicksal gezeichnet.
Wir tragen diese Spuren in unserer Seele
wie eine Landkarte in uns.
Und auf jeder Landkarte wird es die unterschiedlichsten Bilder
geben: von sonnigen Almwiesen
über stürmische Meereswellen
bis hin zu schroffen Abgründen.
Und dabei wird es so manche Begegnung gegeben haben,
die uns tiefe Wunden und Leid zugefügt hat,
so wie auch wir Wunden bei anderen hinterlassen haben.
Selig – oder auch glücklich – ist der Mensch, der sein Gottvertrauen
dabei nicht verloren hat,
der alles in die Hände Gottes übergeben kann
und der am Ende feststellen kann, dass er getragen wird von Gott.
Diese Erfahrungen haben viele Menschen in ihrem Leben gemacht
und werden sie weiterhin auch noch machen.
Einer von diesen war Dietrich Bonhoeffer, der noch in den letzten
Tagen des Krieges hingerichtet wurde, weil er sich dem
Totalitätsanspruch eines nationalsozialistischen Regimes widersetzte.
Er hat 1932, ein Jahr vor der Machtergreifung Hitlers, folgendes
Glaubensbekenntnis formuliert:
Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
soviel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht
vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen
fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube,
dass Gott kein zeitloses Fatum ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
1932
(Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, © 1998,
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH)