Predigt · Gründonnerstag · 13. April 2017 · Pfarrerin Ilsabe Alpermann
Markus 17, 17 – 26
Liebe Gemeinde,
am Ende aller Wege Gottes mit uns Menschen steht
ein Tisch. Denn es werden kommen von Osten und von
Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen
werden im Reich Gottes (Lk 13,29). Es ist derselbe Tisch,
auf den der Beter des 23. Psalms hofft: Du bereitest vor
mit einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein
Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Ja, so kann ich
mir das Reich Gottes vorstellen: Eine himmlische
Tischgesellschaft, eine heitere Festversammlung, ein
Tisch, an dem alle Platz finden. Am Ende aller Wege
Gottes mit uns Menschen steht ein Tisch.
Diese letzte Tischgemeinschaft Jesu mit seinen
Jüngern, von der unser Predigttext berichtet, ist nun
allerdings keine heitere Festversammlung, sondern
steht ganz im Zeichen des Abschieds, ja des
Abbruchs. Dieser Tisch steht am Ende eines Weges,
der mit Schrecken, Trauer, Verrat einher geht. Und
doch ist dieses Essen nicht ohne Ausblick auf das
Reich Gottes: Wahrlich ich sage euch, dass ich nicht mehr
trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an
dem ich aufs neue davon trinke im Reich Gottes. Auch der
Apostel Paulus hat genau das im Blick, wenn er der
Gemeinde in Korinth schreibt: Sooft ihr von diesem Brot
esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des
Herrn, bis er kommt. Wir haben es vorhin in der Epistel
gehört.
Ich sitze gemeinsam mit Frauen und Männern meines
Lektorenkurses in einem Stuhlkreis. In der Mitte auf
dem Boden liegt eine schön bestickte kleine weiße
Tischdecke. Darauf liegt ein Holzbrett mit Ton, der
gut formbar ist. Ich beginne: Wir feiern nachher das
Abendmahl in einer sehr schlichten Form – hier im
Sitzen. Aber vorher wollen wir uns etwas aus unserem
Leben erzählen. Es geht um einen Abschied. Vielleicht
vor einer langen Reise, vielleicht auch ein Abschied für
immer, wenn ein lieber Mensch stirbt. Gehen Sie in
Gedanken durch Ihre Wohnung und halten Sie
Ausschau nach einem Erinnerungsstück. Etwas, das
Sie an einen lieben Menschen erinnert, der Ihnen
besonders wichtig ist. Während Sie nachdenken,
bekommen Sie von mir ein Stück weichen Ton. Und
wenn Sie etwas gefunden haben, einen kleinen oder großen Gegenstand, dann formen Sie ihn nach, so gut
Sie eben können.
Ich sehe, wie nach und nach Gegenstände aus dem
Ton geformt werden, während es im Raum ganz still
ist. Auch ich forme etwas. Nach einer Weile beginne
ich und zeige der Runde, was ich gemacht habe: Ich
habe ein Evangelisches Gesangbuch geformt, es
erinnert mich an meine Großmutter. Es gehörte ihr
und ist nun in meinem Besitz, nachdem meine
Großmutter vor vielen Jahren gestorben ist. Auf die
letzte Seite hat sie zwei Bibelverse mit ihrer sehr
charakteristischen und gut leserlichen Handschrift
eingetragen. Meine Großmutter hat gern gesungen
und mit Liedern gelebt. An ihrem Sterbebett haben
wir gemeinsam gesungen und erlebt, wie diese alten
Lieder des Gesangbuchs trösten können. – Dann lege
ich dieses kleine Gesangbuch aus Ton in die Mitte auf
die Tischdecke.
Nach und nach erzählen alle ihre Geschichten und
zeigen die kleinen Erinnerungsstücke aus Ton. Wir
spüren alle, wie sich der Raum füllt. Großeltern,
Mütter, Väter, Geschwister, Freunde, Paten sind nun
mit uns hier. Sie werden lebendig durch das Erzählen
und die Dinge, die sie hinterlassen haben. Nun stehen
auf dem Tischtuch Tassen und Teller, Ringe und
Möbelstücke, Kerzenständer, Bilder und Mitbringsel
aller Art.
Als alle Geschichten erzählt sind, nehme ich das Brett,
auf dem Ton lag, weg und stelle einen Tonkelch mit
Traubensaft und einen Teller mit Brot mitten in die
Erinnerungsstücke. Dann erzähle ich: Kelch und Brot
erinnern uns an das letzte Abendmahl, dass Jesus mit
seinen Jüngern gefeiert hat. [Predigttext Mk 14,17-26
lesen] Jesus hat seinen Jüngern ein Abschiedsgeschenk
gemacht. Er hoffte, dass sie sich an ihn erinnern,
wenn sie miteinander Brot und Wein teilten und dazu
seine Worte sprechen. So ist er unsichtbar anwesend
in Brot und Wein. So wie all unsere Lieben unsichtbar
anwesend sind, wenn wir Erinnerungsstücke formen
und uns von den Menschen erzählen, die sie uns
hinterlassen haben.
Dann geben wir Brot und Kelch herum. Die
Einsetzungsworte sind gesprochen und wir sind
sicher, dass Jesus bei uns ist. Zum Abschluss spreche
ich ein Dankgebet.
Ich schaue in die Gesichter und sehe tiefe
Ergriffenheit und Bewegung. Noch ist es ganz still. Die meisten Blicke richten sich nachdenklich auf das,
was da in der Mitte des Raumes auf dem Boden zu
sehen ist: der leere Kelch, die leere Schale für das Brot
und darum herum die vielen aus Ton geformten
Erinnerungsstücke. – Nun habe ich endlich
verstanden, was beim Abendmahl vor sich geht. – Das
ist eine oft so oder ähnlich gehörte Reaktion auf das
gemeinsam Erlebte. Manchmal irritiert die Schlichtheit
der Feier, ganz ohne Liturgie, ohne Vaterunser, ohne
Aufstehen. Viel häufiger höre ich, dass hier ein Weg
zum Verstehen geöffnet wird.
Es ist ein Weg der eigenen Erfahrung und nicht der
theologischen Auseinandersetzung um das
konfessionell unterschiedliche Verständnis des
Abendmahls. Es ist eine unter vielen möglichen
Annäherungen an das, was beim Abendmahl vorgeht.
Wie kann es sein, dass Jesus Christus in Brot und
Wein anwesend ist? Wie können wir darin seine Nähe
erfahren? Tut dies zu meinem Gedächtnis, tretet ein in
diesen lebendigen Erinnerungsraum der Liturgie.
Erinnert euch daran, wie Jesus mit den Seinen diese
letzte Mahlzeit gefeiert hat. Gemeinsam mit dem
Verräter, der dennoch nicht ausgeschlossen wurde.
Vom Gründonnerstag 2017 geht eine starke Botschaft
an alle Welt aus: Die Spirale von Hass und Gewalt, die
sich scheinbar unaufhaltsam weiter dreht, kann
durchbrochen werden. Jesus hat den Verräter gekannt
und seine Schuld benannt. Und er hat ihn zugleich als
Mensch wahrgenommen, der mit am Tisch saß. Er hat
Hass nicht durch neuen Hass beantwortet. Damit
weist er uns heute den Weg.
Wir gehen diesen Weg, weil wir zuversichtlich darauf
hoffen, dass uns am Ende aller Wege die
Tischgemeinschaft Gottes erwartet. Wir haben dort
einen Platz mit all unserer Unvollkommenheit, dem
Gelungenen und Misslungenen unseres Lebens. Am
Ende alle Wege Gottes mit uns Menschen steht ein Tisch.
Amen.