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Predigt · Heiligabend · 24. Dezember 2016 · Pfarrerin Ruth Misselwitz

Posted on Dez. 27, 2016 in Predigten

Lukas 1 46 – 56

Gesegnete Weihnachten, liebe Schwestern und Brüder,
das heißt: Friede sei mit euch,
die ihr heute den Weg in diese Kirche gefunden habt .


Friede sei mit euch :
Nehmt getrost diesen Gruß an,
denn es ist der Gruß der Engel an die Hirten und an diese Welt.


Jetzt ist die Stunde der Ruhe und Besinnlichkeit
nach all den tagelangen, wochenlangen Vorbereitungen auf dieses
Fest


Und auch wenn dich noch so manche Angst und Unruhe wegen der
schrecklichen Ereignisse der letzten Tage um treibt,
so lass dich nun ein auf die besondere Botschaft dieser Nacht.


„Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes,
denn er hat die Erniedrigung seiner Magd angesehen.“ –


so jubelt Maria als sie erfährt, dass sie ein Kind bekommt.


Sie jubelt über dieses unerwartete Geschenk,
das sie völlig unvorbereitet trifft – sie bekommt ein Kind –
ein Kind bedeutet Zukunft, Hoffnung, Neuanfang.
Und wie jede Mutter will auch sie darum kämpfen,
dass dieses Kind es einmal besser haben wird als sie.


Und sie richtet sich stolz auf und lässt all ihren Hoffnungen
aber auch ihrem Zorn freien Lauf –
sie droht den Mächtigen und tröstet die Erniedrigten.


„Gott hat Gewaltiges bewirkt. Mit seinem Arm hat er die
auseinandergetrieben, die ihr Herz darauf gerichtet haben, sich über
andere zu erheben. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die
Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen
leer ausgehen.“ – singt sie laut.


Diese junge Frau aus den unteren Schichten des Volkes Israel bäumt
sich auf und wird zur rebellischen Wortführerin.


Es reicht – es ist genug – kein Schweigen mehr, kein geduldiges
Aushalten mehr, kein Beugen und Ducken mehr.
Das Leben ist mehr als nur Wasser und Brot, Gehorchen und Dienen,
Geschlagen und Getreten werden.


Mit dem Lobgesang der Maria legt der Evangelist Lukas die uralten
Hoffnungen und Visionen der Propheten Israels in den Mund der
werdenden Mutter.


Die Visionen vom Friedensreich Gottes, das sich ausbreiten wird über
die ganze Erde,
in dem Gerechtigkeit – aber auch Barmherzigkeit herrschen wird,
in dem die Hungernden satt und die Reichen enteignet werden,
in dem die Kriegstreiber und Oligarchen entmachtet werden
und die Erniedrigten zu ihrem Recht kommen –


diese Vision ergriff zur Zeit der Geburt Jesu wieder ein mal mit
besonderer Heftigkeit die Herzen und Gemüter der Menschen.


Das Volk Israel litt unter der imperialen römischen Gewaltherrschaft.


Ausgerechnet aus dem Mund einer Frau niedriger Herkunft kommen
diese rebellischen Worte.


Maria ruft zum Umsturz auf – zur Revolution.
Da wird das Unterste zu oberst gekehrt, das Hohe soll erniedrigt und das Krumme soll gerade werden.


Eine Frau klagt ihre und ihres Volkes Würde ein.


Sie wird zur Wortführerin einer sozialen Bewegung, die in der Folge
danach weltweite Ausmaße bekommt.


Liebe Schwestern und Brüder,
in den Jahrhunderten danach haben sich Frauen wie auch Männer
immer wieder an dieser Maria orientiert.


Hoch verehrt, aber auch schändlich missbraucht wurde sie.


Aus der alleinerziehenden und hart arbeitenden Mutter von mehreren
Söhnen und Töchtern wurde eine „reine Jungfrau“ gemacht,
von der man Wunder erflehte und einklagte.


Aus der rebellischen jungen Frau, die gegen Gewaltherrschaft und
Männermacht protestierte,
wurde die unterwürfige Gottesgebärerin in goldenen Rüschen
in Stein gehauen und auf Altäre gestellt,


Vor ihr verbeugten sich dann im blasphemischen Kniefall die
Gewaltherrscher, die sie so sehr verabscheute.


Die andere Maria aber, die junge mutige Frau aus Nazareth,
sprang immer wieder aus ihren Brokatkleidern heraus und von den
Altären herab
und war da gegenwärtig, wo Männer wie Frauen sich gegen ihr
menschenunwürdiges Schicksal auflehnten.


Bis heute ist diese Maria für viele Frauen ein Symbol für
Gottvertrauen, Mut und aufrechten Gang.
Sie hat es gewagt, als unverheiratete Frau, ein Kind zu empfangen,
entgegen allen gesellschaftlichen Normen.


Sie hat sich in das Erbe ihrer Mütter und Väter gestellt
und die Vision einer gerechten, einer friedlichen Welt weiter
getragen,
so wie Gott es seinem Volk versprochen hat.


Sie hat Gott an sein Versprechen erinnert, es besungen und gelebt.


Sie hat dafür das größte Glück – aber auch das bitterste Leid erfahren
müssen.


Die Freuden und Schmerzen einer Geburt am Anfang –
der qualvolle Tod ihres Sohnes am Ende.


Ich erkenne heute das Gesicht dieser Maria in all den Frauen wieder,
die um ihre Würde und die ihrer Kinder und Kindeskinder kämpfen.


In den Müttern und Großmüttern, die in den Armenvierteln
lateinamerikanischer Großstädte um eine gewaltfreie und
menschenfreundliche Umgebung ringen,


in den Frauen und Mädchen, die in den religiösen und kulturellen
Vorstellungen ihrer Familien entmündigt und entwürdigt werden,
seien es nun christliche, muslimische, jüdische oder andere religiöse
Entartungen.


Ich sehe das Gesicht dieser Maria in den Frauen der endlosen
Flüchtlingstrecks und auf den Schlauchbooten,
die um der Zukunft ihrer Kinder willen alles verlassen haben
und eine ungewisse Zukunft allemal besser zu sein scheint, als Krieg
und Terror.
Und ich sehe dieses Gesicht in all den Helfern und Helferinnen, die sich berühren lassen von diesem Elend
und bei denen das Mitleid stärker ist als alle Vorbehalte und alles
Misstrauen.


Liebe Schwestern und Brüder,
Maria hat ihrem Sohn Jesus bis zum Tod beistehen können, weil sie
ihr Gottvertrauen nicht verloren hat.


Noch vor der Geburt ihres Sohnes hat sie Gott an das Versprechen
einer gerechten, einer friedlichen Welt erinnert und herbei gesungen,


als er dann so schrecklich am Kreuz starb,
hat sie drei Tage später das Unvorstellbare erlebt:
Er ist nicht tot, er lebt.


An seinem Leben und Sterben hat sie gelernt, dass in ihm die Kraft
zu einem Neuanfang lebendig wurde.


Aus seinen Gedanken und Taten ist eine Friedensbotschaft für die
Welt geworden, die bis heute gültig ist und die da heißt:


»Beantwortet Gewalt nicht mit Gegengewalt.
Seid beharrlich in dem, was ihr für richtig erkannt habt.
Widersetzt euch allem, was das Miteinander der Menschheit zerstört.
Aber tut es ohne Gewalt.
Noch immer kann alles neu werden.
Vertraut darauf!«


Amen.