Predigt · Palmarum · 20. März 2016 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
Philipper 2 , 5 – 11
Liebe Schwestern und Brüder,
der heutige Sonntag wird Palmsonntag genannt.
Wir hörten vorhin die Geschichte von dem Einzug Jesu in Jerusalem.
Es ist der letzte Sonntag in der Passionszeit, der letzte Sonntag vor
Ostern.
Mit ihm beginnt die stille Woche, oder auch Karwoche genannt.
Mit welch einem Jubel haben die Einwohner von Jerusalem Jesus
damals empfangen.
Wie viele Hoffnungen und Erwartungen brachten sie ihm entgegen,
als er zum Passafest in die Stadt Jerusalem einzog.
Pessach – das größte jüdische Fest, an dem man an die Befreiung des
Volkes Israel aus der ägyptischen Sklaverei gedachte.
Ja, der Gott Israels ist ein Gott der Befreiung.
So hat er sich seinem Volk in der Geschichte gezeigt,
so erwarteten sie es von ihm immer noch.
Und gerade jetzt in Zeiten der großen Bedrängnis und Unterdrückung
durch das römische Reich, erinnerte man sich mit besonderer
Sehnsucht an den Auszug Israels aus der ägyptischen Knechtschaft.
Und von Jesus, dem Wanderprediger aus Nazareth, erzählte man sich,
dass er der ersehnte Befreier Israels wäre.
Er tat Wunder, heilte die Kranken, richtete die Gebeugten wieder auf
und sprach von dem Reich Gottes, das in Kürze anbrechen würde.
Ja, er würde das Volk Israel von den verhassten Römern befreien
können,
er hätte die nötige Kraft dazu, er ist der Messias, der Gesalbte Gottes.
Doch nicht auf einem stolzen Ross ritt er in die Stadt ein.
Auf einem ärmlichen Esel, dem Tier der armen Leute, ließ er sich
tragen, bescheiden und demütig.
Auf alle stolzen Symbole, wie Krone und Schwert und Purpurmantel
verzichtete er.
Das irritierte schon ein wenig, doch das Volk glaubte fest an ihn.
Palmen legten sie ihm auf den Weg und riefen: Hosianna, dem Sohn
Davids.
Doch was dann geschah, vernichtete alle ihre Hoffnungen.
Anstatt nun die Führung zum großen Befreiungsschlag zu
übernehmen, ließ sich Jesus gefangen nehmen, ohne sich zu wehren.
Er ließ sich verspotten und geißeln.
Nein, dieser Mensch war kein Held, kein Kämpfer.
Und als sie wählen sollten zwischen Barabas und Jesus, dann wollten
sie schon lieber den Barabas, weil der bewiesen hatte, dass er
zuschlagen konnte.
Und so schlug das hoffnungsvolle Hosianna um in „Kreuziget ihn,
kreuziget ihn.“
Und dann der Tod am Kreuz, der sichtbare Irrtum all ihrer
Hoffnungen .
Die meisten Anhänger wandten sich danach enttäuscht von der
Jesusbewegung ab. Er war wohl doch nicht der Messias, sie mussten
auf einen anderen warten.
Doch eine kleine Gruppe von Männern und Frauen hielt an ihrem
Glauben fest.
Ihnen erschien der auferstandene Jesus und sie erkannten und
glaubten, dass dieser gedemütigte, verspottete und gekreuzigte Jesus
doch der Messias, der Sohn Gottes, ja, Gott selber war, der sich in Menschengestalt unter die Menschen gemischt hatte, um ihnen ganz
und gar nahe zu sein.
Und sie sangen Lieder in ihren Gottesdiensten über das Wunder des
Mensch gewordenen Gottes.
Und der Apostel Paulus zitiert eines der ältesten christlichen Lieder
in seinem Brief an die Philipper, das der heutige Predigttext ist:
Phil. 2,5-11
Liebe Schwestern und Brüder, das ist ein schwerer Text, schwer zu
hören und noch schwerer etwas davon zu behalten.
Es ist ein Text, der schon eine Fülle von Glaubensaussagen über
Jesus Christus macht, kurz nach seinem Tod und seiner Auferstehung.
Da wird über ihn erzählt, dass er selbst Gott gleich war, aber nicht
daran festhielt, wie Gott zu sein, sondern von ganz oben nach ganz
unten hinabstieg,
Knechtsgestalt annahm und den Menschen gleich wurde.
Sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Kreuz.
Und weil er auf alle Macht und Herrlichkeit verzichtete, hat ihn Gott
am Ende erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen
ist: Jesus Christus, der Herr.
Was den meisten Menschen nach seinem schmählichen Tod nur
Enttäuschung, Wut oder auch nur Lächerlichkeit war,
wurde nun für seine Anhänger das eigentliche Wunder.
Der allmächtige Gott, der ferne, große, undurchsichtige
Weltenschöpfer macht sich ganz klein und verletzlich.
Er nimmt die Gestalt des Menschen an und verzichtet so auf der
einen Seite auf alle göttliche Macht, auf der anderen aber verleiht er
dem menschlichen Leben einen göttlichen Wert.
Die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth,
sein Leben in Liebe und Zuwendung zu den Ärmsten und
Ausgestoßenen der Gesellschaft,
sein Verzicht auf Gewalt und Kraft ist ein einziger Status- und
Machtverzicht.
Hätte er sich die Gesetze dieser Welt zu eigen gemacht,
er wäre nicht am Kreuz geendet.
Er wäre in einem Palast geboren und nach einem ruhmreichen Leben
und Wirken schlimmstenfalls als Held auf irgendeinem Schlachtfeld
geendet.
Aber so ist es nicht gekommen, liebe Schwestern und Brüder.
Und das es so ganz anders gekommen ist, als man das von einem
göttlichen Befreier erwartet, das ist bis heute für uns schwer zu
verstehen.
Zumindest ab dem 4. Jahrhundert, als die christliche Religion von
dem römischen Kaiser Konstantin zur Staatsreligion erklärt wurde,
wollte sie nur allzugern diesen Statusverzicht, den Jesus vorgelebt
hatte, vergessen.
Das Kreuz auf der Weltkugel wurde das Symbol der kirchlichen
Macht über die Welt.
Doch trotz alledem gab es immer wieder Menschen, die sich an
diesen Status- und Machtverzicht Jesu erinnerten
und die Kirche ermahnten und reformierten,
angefangen bei den Bettelorden, wie den des Franz von Assisi über
Martin Luther
bis hin zu einem Dietrich Bonhoeffer, der die unheilvolle
Verstrickung der evangelischen Kirche mit dem Naziregime
anprangerte.
Das Ärgernis dieser Erniedrigung, dieses Statusverzichtes aber blieb durch alle christliche Konfessionen hindurch erhalten.
Wir Christen behandelten in der Geschichte andersgläubige
Menschen eben nicht mit der nötigen Demut und Wertschätzung,
Rechthaberei und Arroganz prägten oftmals das Handeln.
Wir waren in der Geschichte allzu häufig auf der Seite der Starken
und Mächtigen zu finden,
anstatt sich der Not der Unterdrückten und Ausgebeuteten
anzunehmen.
Und heute sind Christen, die die Botschaft Jesu ernst nehmen,
auch nicht an ihrem Namen zu erkennen,
sondern an ihrer Haltung gegenüber Flüchtlingen, Obdachlosen,
sozial schwachen Menschen.
Wer den Reichtum der Reichen schützt und die Armut der Armen
vergrößert – global und lokal –
lebt am Evangelium vorbei.
Unsere Aufgabe ist es, den Anteil zu erkennen, den wir an dieser
weltweiten Ungerechtigkeit haben,
die die Ursache von Krieg und Vertreibung, Flucht und sozialer
Ausgrenzung ist.
Sie sehen liebe Schwestern und Brüder, der Glaube,
der den Mensch gewordenen Gott in Jesus von Nazareth bekennt,
gibt bis heute Anlass zu Verwerfungen und Streit.
Streiten aber will ich heute nicht mit ihnen.
Ich will vielmehr mit ihnen staunen über diesen wunderbaren Gott,
der uns Menschen so nahe gekommen ist,
dem wir Menschen so wertvoll sind, dass er sich uns gleich gemacht
hat,
damit er uns durch alle Höhen und Tiefen dieses Lebens begleiten
kann,
ja nicht nur in diesem Leben, sondern durch den Tod hindurch uns
führen kann in sein Reich.
Das ist eine wunderbare Nachricht,
und ich wünsche ihnen allen, dass sie diese Botschaft glauben können
und dass diese Botschaft sie zu liebenden, hoffenden und glücklichen
Menschen macht.
Auch wenn es manchmal ganz dunkel um uns herum scheint,
dann dürfen wir gewiss sein, dass Gott mit uns diese Dunkelheit teilt,
unsere Hand nimmt und uns weiterführt.
Amen.