Predigt · Totensonntag · 22. November 2015 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
Offenbarung 21, 1 – 7
Nun sind die Tage grau wie nie zuvor
und der November trägt den Trauerflor.
Was man besaß, weiß man, wenn man´s verlor.
Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen,
es regnet, Freunde, und der Rest ist Schweigen.
Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor,
und der November trägt den Trauerflor.
Liebe Schwestern und Brüder,
mit diesem Gedicht trifft Erich Kästner m.E. sehr gut die Stimmung
für den Monat November.
Wieder geht das Jahr zu Ende und wir gedenken der Verstorbenen aus
unseren Reihen.
In der dunklen Jahreszeit werden wir auf die Endlichkeit und
Begrenztheit unseres Lebens hingewiesen.
Das kann auf der einen Seite sehr schmerzlich sein,
weil man das Leben liebt, die Lieben um sich herum,
die Sonne, die sich immer wieder durch den Nebel kämpft
und den Mond, der die Nacht mit einem warmen Schein erhellt,
und weil man sich der Einzigartigkeit des Lebens bewusst wird,
das einem – je älter man wird – umso wertvoller erscheint.
Das kann aber auch auf der anderen Seite hoffnungsvoll und
befreiend wirken, weil man weiß, alles geht einmal zu Ende –
das Leid um Krankheit und Tod,
der Schmerz um enttäuschte Hoffnungen und Pläne,
die Trauer um einen verlorenen Menschen,
die Verzweiflung über Krieg, Gewalt und Hass auf unserer Erde.
Das alles hat einmal ein Ende.
Und je größer der Leidensdruck ist, umso mehr erscheint der Tod
nicht wie der klappernde Knochenmann mit einer Sense,
sondern wie eine weise und liebevolle alte Frau,
die das Menschenkind an die Hand nimmt und es hinüber führt
an das andere Ufer des Flusses.
In manch alten Kulturen ist der Tod in der Tat nicht ein Mann,
sondern eine Frau, die aus diesem Leben hinausbegleitet in ein neues
Leben.
Liebe Schwestern und Brüder, auch in unserer Bibel gibt es tröstliche
Geschichten über das Ende und den Tod.
Eine hörten wir vorhin aus dem Buch der Offenbarung des Johannes,
da sagt er:
„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste
Himmel und die erste Erde sind vergangen…
Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach:
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
………………..
Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod
wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird
mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“
Der Seher Johannes hatte allen Grund, sich nach diesem neuen
Himmel und dieser neuen Erde zu sehnen.
In der Gefangenschaft auf Patmos, einer wüsten und zerklüfteten
Insel im Mittelmeer,
geschunden und niedergetreten von der römischen Gewaltherrschaft,
umtost von oft gefährlichen Wogen, hat er diese Vision gehabt.
Eine Vision, die ihn in eine Welt jenseits von Zeit und Raum führt.
Er sieht das Ende der Zeit und den Beginn der Ewigkeit,
der überwältigenden Herrlichkeit Gottes.
Er sieht das Ende der römischen Herrschaft, das Ende von Gewalt
und Krieg, das Ende von Terror und Unterdrückung –
und er sieht den Sieg der göttlichen Herrschaft über das Böse,
denn Gott wird Gericht halten und sein Reich aufrichten,
ein Reich des Friedens, der Liebe und der Gerechtigkeit.
Liebe Schwestern und Brüder, ich gestehe es ganz ehrlich, diese
Bilder faszinieren auch mich.
Wenn ich derzeit die schrecklichen Nachrichten über Terroranschläge
und Kriegseinsätze,
über Hunger- und Dürrekatastrophen,
über Flüchtlingsströme und Finanzkrisen sehe,
dann berühren mich solche Worte:
„und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der
Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz
wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“
Und ich sehe eine Mutter, die ihre geschundenen Kinder in die Arme
nimmt und sie wiegt und tröstet und sagt:
Nun ist alles gut, du hast alles überstanden, alles ist vorbei,
hier kann dir nichts böses mehr passieren, denn du bist jetzt bei mir,
ich beschütze dich.
Liebe Schwestern und Brüder,
dieses Bild ist ein tröstliches und wir dürfen uns daran festhalten und
es weiter geben,
es nimmt uns die Angst vor dem Tod.
Dieses Bild gibt uns aber auch Kraft für unser irdisches Leben,
das nicht selten durch so manches Labyrinth führt und von
Dunkelheit überschattet ist.
Dieses Bild macht uns auch auf die glücklichen Seiten in diesem
Leben aufmerksam, in denen wir uns gehalten und geborgen fühlen
von der mütterlichen Hand Gottes.
Dieses Bild hatte auch Jesus vor Augen, als er sich voller Vertrauen
in Gottes Liebe und Fürsorge auf den Weg machte und von Gottes
Reich predigte.
In diesem Glauben geben auch wir die Lebenden und die Toten in die
Hände Gottes.
Dem allmächtigen und barmherzigen Gott vertrauen wir uns und
unsere Lieben nah und fern an
und unsere Toten, die uns vorangegangenen sind in seine
Herrlichkeit.
Amen.