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Predigt · 2. Advent · 7. Dezember 2014 · Pfarrerin Ruth Misselwitz

Posted on Dez 10, 2014 in Predigten

Lukas 21, 25 – 33

„Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt
eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“


liebe Schwestern und Brüder, so hörten wir es in der
Evangeliumslesung .


In dieser Rede Jesu ist von schrecklichen Zeichen die Rede,
an Sonne, Mond und Sternen –
also das Himmelsgebäude wird ins Wanken geraten,
auf der Erde wird Angst und Schrecken unter den Völkern sein,
die Meere werden brausen und toben,
die Kräfte des Himmels und der Erde werden erbeben und aus den
Fugen geraten,
die ganze kosmische Ordnung, die Halt und Sicherheit birgt,
wird zusammenbrechen.


Und ein paar Zeilen davor lesen wir von der bevorstehenden
Zerstörung Jerusalems,
von den Fluchtszenarien, die darauf folgen,
von den Zerrüttungen innerhalb der Familien,
von den Verfolgungen und Inhaftierungen der Anhänger Jesu,
von den vielen falschen Propheten und Irrlehrer, die das Volk ins
Verderben führen.


Was für ein schreckliches Szenarium!


Liebe Schwestern und Brüder, der Evangelist Lukas,
der diese Reden Jesu aufgeschrieben hat, weiß, wovon er redet.


Er hat das alles selber erlebt.


Das Lukasevangelium ist am Ende des 1. Jahrhundert verfasst worden
– so die Bibelwissenschaftler –
also nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 nach Christus.


Lukas befindet sich also mitten in all diesen schrecklichen
Ereignissen von Krieg und Zerstörung
und findet deren Ankündigungen in den Reden Jesu wieder.


Für ihn und alle Juden damals ist das Universum ins Wanken geraten.


Jerusalem liegt in Schutt und Asche,
der Tempel ist zerstört und der Staat Israel ist von der römischen
Besatzungsmacht zerschlagen worden.
Eine große Fluchtbewegung setzt ein,
die Juden wandern aus und siedeln sich in ganz Europa an
fern ihrer Heimat und der Gräber ihrer Vorfahren.


Den jungen christlichen Gemeinden steht eine schwere Zeit bevor –
die Christenverfolgungen beginnen.


Und mitten in dieses Bangen und Ängstigen schreibt Lukas die Worte
Jesu nieder:
„Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt
eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“


Liebe Schwestern und Brüder,
ja, die ersten christlichen Gemeinden haben noch in der Hoffnung
gelebt, dass,
bevor sie sterben werden,
Jesus wiederkommen und die Welt erlösen wird von allem Bösen
und das Gottesreich erstehen wird,
in dem Frieden und Gerechtigkeit sein wird für alle Menschen,


Auf die endgültige Erlösung dieser Welt warten wir noch bis heute, aber das Einbrechen des Reiches Gottes hier mitten unter uns
können wir täglich erleben.


Liebe Schwestern und Brüder, mir ist derzeit auch angst und bange.


Ich habe, wie seit langem nicht mehr, Angst vor einem Krieg.


Damals vor 25 Jahren haben wir geglaubt, dem Frieden in der Welt
wunderbar nahe gekommen zu sein.


Heute stehen wir wieder an der Schwelle eines Krieges in Europa.


Der Papst Franziskus redet sogar von einer Vorkriegszeit, in der wir
uns befinden.


Wir erleben wieder ein mediales Aufrüsten und die Konstruktionen
von Feindbildern auf allen Seiten.


Unsere Welt ist erschüttert von lokalen und internationalen
Krisenherden und Bürgerkriegen.


Gigantische Fluchtbewegungen ereignen sich auf unserem Globus
und erreichen uns nun auch hier in unserem Land.


Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein
und manch ein Seufzer wird wohl himmelwärts gehen:
Mach End, o Herr, mach End.


„Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt
eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“


Ja, mitten in diese brodelnde und bebende Welt kommt Gott uns
entgegen und will uns aufrichten.


Seht auf und erhebt eure Häupter, so heißt es.


Wir sollen uns nicht verkriechen und den Kopf vor lauter Angst und
Schrecken einziehen,


wir sollen uns nicht den Gewaltherrschern beugen und ihnen zu
Munde reden,


wir sollen nicht den falschen Propheten nachlaufen und uns von ihnen
die Irre führen lassen,


Wir sollen aufsehen und den Kopf heben und auf den schauen, der
uns entgegen kommt.


Der, der uns so in der Bibel überliefert wurde:


Erschienen ist er uns als kleines hilfloses Kind in einem erbärmlichen
Stall,


gelebt hat er als ein Mensch, der sich als ein Kind Gottes verstanden
hat in völligem Vertrauen auf Gott, den er seinen Vater genannt hat.


Abgelehnt hat er jegliche Anwendung von Gewalt –
noch nicht einmal zu seiner Selbstverteidigung,


Verkündet hat solche Werte wie Vertrauen, Barmherzigkeit, Sanftmut,
und Friedfertigkeit.


Gelebt hat er die Feindesliebe,


entflammt war er von der Gerechtigkeit Gottes, die den Armen und
Elenden erhöht und den Reichen und Starken vom Thron stürzt,


umgebracht wurde er von Soldaten einer Militärmacht,

die keinen anderen Gott als den Kaiser duldete.


Auferstanden ist er von den Toten, weil Gott es nicht zulässt, dass
seine Liebe zu den Menschen ans Kreuz genagelt wird.


Mitten in diese brodelnde und aufgewühlte Welt
hat sich Gott in Jesus den Menschen gleichgemacht
und durch ihn gezeigt, was ein gottgefälliges Leben ist.


Liebe Schwestern und Brüder,
in dem Menschen Jesu ist uns Gott nahe gekommen,
nichts, was uns Menschen bewegt, ist ihm fremd – unsere Ängste wie
unsere Freuden.


Lassen wir uns nicht irre machen von den falschen Propheten,
halten wir uns fest an der weihnachtlichen Botschaft der Engel,
dass Gott Frieden will für alle Menschen auf der ganzen Welt
und dass wir als seine Botschafter in diese aufgewühlte Welt gesandt
sind.


Liebe Schwestern und Brüder, wenn ich nicht diesen Glauben hätte,
ich würde heute geneigt sein, zu verzweifeln an den derzeitigen
schrecklichen Zeichen, die um uns geschehen.


Aber ich glaube trotz alledem, dass Gott uns nicht aufgegeben hat.


Ich sehe und erlebe so viel Gutes, so viel Aufrichtigkeit,
Mut und Entschlossenheit bei Jungen und Alten,


die sich für die Bewahrung unserer Umwelt engagieren,
die sich in den verschiedensten Organisationen für die Rechte und die
Würde der Menschen einsetzen,
die sich um das Schicksal von Flüchtlingen kümmern,
die sich für gewaltlose Konfliktlösungen einsetzen.


Überall da bricht das Reich Gottes in diese tobende Welt ein,
über all da leuchten die Lichter auf.


„Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt
eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“


Ich wünsche ihnen allen eine gesegnete Adventszeit.
Amen.